Beiträge vom 21. September 2014

Appenzeller Vergewisserungen / Der Schwindel

Sonntag, 21. September 2014 11:11

app_05

(Man hatte sich also losgerissen vom Idyll, stieg hinab den steilen, schmalen Pfad Richtung Wildkirchli, später dann Seealpsee.)

„Hömma hier iss Wandererverkehr wie am Kamener Kreuz, nachmittags annem Freitach.“

„In diesem verregneten Sommer stürzt nun mal, wenn die Sonne sich zeigt, alles wie auf ein geheimes Kommando hinaus ins Licht!“

„Tja, watte inne Mediums lesen konntest, hatt et die hier unten ganz besonders feucht erwischt in diesem Jahr!“

„Das mag wohl sein!“

(Wenig wird gesprochen ansonsten, der Pfad fordert sicheren Tritt. Nun gut, das ein oder andere obligatorische „Gruezi“ huscht den Wanderern über die Lippen. Und dann tut er sich plötzlich auf – nach guten zwanzig Minuten des Weges – unerwartet und jäh (welch herrliches Wort!!!): der Abgrund.)

„Mahler, halt mich. Dat glaub ich nich, wie et sich hier auftut in Richtung freien Fall. Da schlottert dat Bein und dat Hasenherz pumpt. Ihre Pfote her, Herr Bär!“

„Gewiß! Aber vergessen wir nicht diese wohlig schaudernde Faszination beim Blick hinab. Stellen Sie sich vor, man könnte fliegen!“

„Nee, dat überschreitet des Budnikowskis Horizont in ganzer Komplettheit. Einen Fluch meinerseits kann ich da nicht sehen tun, bestenfalls einen unkontrollierbaren Sturz inne Tiefe der Unendlichkeit. Der Aufprall mal komplett inne Verdrängung geparkt. Mir schwindelt.“

„Ist Ihnen schon mal aufgefallen: der Schwindel, der jemanden erfaßt und der Schwindel, den man gebraucht, um einem Gegenüber geschönte Wahrheit zu verkaufen: ein gleiches Wort.“

„Bei die Japaners, wenn ein Strich bei denen ihre kalligraphischen Wortgemälde nur eine Millimeterkes verrutscht ist, iss die ganze Bedeutung innet komplette Gegenteil verrückt. Verrückt!“

„Nachdem er unzählige Chancen vergeben hatte, wünschte er vergebens, alle mögen ihm vergeben!“

„Hat dat der Gomez gesacht?“

„Sind wir nicht alle ein bißchen Gomez?“

„Um auffe Schwindel zurück zu kommen: ich denk ja immer, schon aus eigene hasenherzige Erfahrung heraus, wennse jemand anschwindeln tust, merkse dat inne Moment vonne Schwindelei sofort und dann bisse erfaßt vom anderen Schwindel, woll. Bei die einen schwächer, bei die anderen mehr.“

„Wie sagte Georg Büchner treffend: Was ist es, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“

„Tja, das willste doch kein Aufrechtgeher sein!“

„Da können Sie ein Lied von singen!“

„Welches?“

„Konzentrieren wir uns auf den Abstieg!“

(Weiter hinab den immer steiler und schmaler werdenden Pfad. Waden und Oberschenkel senden erste Zeichen. Man summt ein altes Lied. Die Sonne wärmt den Fels. Rechterhand. Nicht stolpern. Runter brauchts mehr Konzentration als Rauf!)

app_06

Thema: Appenzeller Vergewisserungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth