Beiträge vom 22. September 2014

Appenzeller Vergewisserungen / Aus der Tiefe

Montag, 22. September 2014 0:20

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(Das Wildkirchli sind drei Höhlen, die sich in der steil nach Osten abfallenden Felswand der Ebenalp befinden. Vor etwa hundert Jahren entdeckt, wohnten dort vor mehreren zehntausend Jahren – ähem – Höhlenmenschen, Neandertaler, feuerhütende Aufrechtgeher. Später Einsiedler, Solitäre, Menschenscheue. In einer der drei Höhlen fand man zudem etliche Knochenreste, die darauf hindeuteten, daß sich in einer der drei Höhlen bevorzugt Bären aufhielten. Vor noch mehreren zehntausend Jahren.)

„Hömma Mahler, komfortabel ist dat nicht, wie Ihre Vorfahren hier früher hausten. Et zieht und tropft permanent vonne Decke.“

„Aber in der Höhle nebenan gab es lecker Einsiedler und draußen allerlei anderes Getier und Preiselbeeren. Bär war versorgt.“

„Iss dat hier also sonne Art von Verwandschaftsbesuch, weshalb Sie mich an diese grauenhaften Abgründe geschleppt haben. Herr Mahler treibt Ahnenforschung, oder wat?“

„Nein, mein Bester. Frau Pelagia wollte eigentlich auf den Säntis da hinten, aber Ernst Albert sagte, daß dies zu teuer sei und deshalb sind wir hier. Und der erste und oberste Chef von Herrn Ernst Albert ist Madame Coincidencia.“

„Dat soll ich glauben tun. Dat iss von langer Hand und Hinterhältigkeit geplant!“

„Falsch! Der Herr Albert hebt die schwörenden Finger und bemerkt erst heute sei ihm überhaupt aufgefallen, daß der Bär das Wappentier vom Appenzell ist.“

„Ha! Wo der feine Herr Jahre von seine Jugend anne Grenze zu diesen hügeligen Ländereien verbringen tun durfte. Zweifelnd vibrieren mir die Löffel!“

„Es dauert manchmal, bis man begreift, was man Jahre lang sah, ohne zu sehen. Und: Es gibt keine Zufälle, außer man glaubt nicht an sie.“

„Dat iss woll richtig. Hinschauen iss ein aktiver Vorgang. Wenn dir wat gänzlich unreflektiert auffe Iris fällt, hasse lang noch nichts gesehen, geschweige denn begriffen.“

„Eingesehen, auch so ein Wort!“

„Bevor wir getz wieder inne Bärenphilosaufereien abgleiten, noch wat Touristisches. Wieso heißt dat Gelände getz Wildkirchli?“

„Ein paar Schritte noch!“

(Weiter über glitschigen Stein, unter tropfender Decke, vorbei an Fundstätten verwandtschaftlicher Knochen schritt man, es verengte sich die große Höhle zu einer kleineren mit grandiosem Blick hinab in tiefste Tiefe: die Altarhöhle.)

„Hier haben also die Einsiedler ihre ersten Altäre errichtet und Zwiesprache mit oben gehalten!“

„Dat kann ich nachvollziehen. Hinten am zitternden Pöter ihre hungrige Bärenverwandschaft und vorne vorre Nase biblische Abgründe. Datte da die Pfötken falten tust, dat leuchtet sogar meine Wenichkeit ein.“

„De profundis ad te clamavi domine! Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir!”

„Dat iss ja interessant. Zu Dir wird gerufen, nich nach Dir! Warum?“

„Freiwilligkeit!“

„Und wat iss dat für ein Liedken getz, wat von unten zu uns ruft?“

„Man ruft zu uns aus der Tiefe. Engel vielleicht. Hinab denn.“

(Man macht sich auf den Abstieg zum Seealpsee und ahnt nichts von den daraus erwachsenden Folgen. Während Herr Mahler sich so seine Gedanken darüber macht, warum sein Urahn, der die beiden Kantonswappen und etliche Gemeindewappen im Appenzell prägt, stets ein aufrechtgehender und mit eindeutig geschlechtlicher Zuordnung versehener Bär ist, zitiert Herr Albert den legendären Spruch, der in einer Nische des legendären Cafe Bohe zu Konschtanz a. B. hing, in dem er statt Algebra die legendären Butterbrezeln studierte: „Schilt nicht den Jäger, der sonntags nicht zur Kirche geht. Ein frommer Blick zum Himmel, ist besser als ein falsch Gebet.“ Herr Archibald Mahler aber bleibt stehen und dreht sich noch einmal um.)

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Thema: Appenzeller Vergewisserungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth