Vorletzte Fragen in diesen Tagen / Eins
(Vorbemerkung: Als die Dinge geschahen, von denen im folgenden und mehreren Kapiteln berichtet werden soll, wußte keiner der Beteiligten, nein, man ahnte es in diesem Ausmaß nicht einmal oder wollte es nicht wahrhaben, was da geschehen sollte heute und die letzten Tage. Reden, schreiben wir also von Ahnungen. Und einem Vielleicht.)
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Ein Misthaufen am Rande des Aufbruchs
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Es hatte sich Mist angehäuft die letzten Wochen und Monate. Täglich, nächtens, penetrant gleichmäßig. Schuldfragen im Zusammenhang mit dem rasanten Wachstum des stinkenden Hügels bleiben obsolet, viele waren am Aufhäufen beteiligt und ganz gewiß auch jener, der hier die Größe des dampfenden Mahnmals klagend besingt.
Wie es auch sei, es stank so einiges gen Himmel, wie der Volksmund dies knapp und präzise ausdrückt, als der Ehrenwerte Herr Ernst Albert wieder zu einer seiner Reisen aufbrach, die ohne die Begleitung seines Erzähl – und Zuhörgenossen Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz so möglich, aber nicht sinnvoll wären.
Man hatte in der Kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen einen Bummelzug bestiegen, der – keine laaaaange Fahrt, so mindestens war es vorgesehen – die zwei Reisenden ein Stündchen Richtung Süden bringen sollte. Doch erst wollte die Lokomotive nicht, dann schwächelte eine Weiche und auch ein entgegenkommender Zug – man war eingleisig unterwegs – schien etwas unentschlossen, was seine fahrplanmäßige Fahrt betrifft. Zeit aus dem Fenster zu blicken. Land unter allenthalben. Schwere Wolken hingen graudüster über überschwemmten Wiesen, Rinnsale rauschten jenseits des Tempolimits durch die Auen und gebärdeten sich als Wildbäche und stetig trommelten monoton und ausdauernd dicke Regentropfen gegen die Scheiben des auf freier Strecke rastenden Zuges. Es zog sich hin die Zeit wie zerkauter Gummi, doch irgendwann war das Ziel erreicht. Halt, der angestrebte, na ja: Bahnhof.
Zwei Bauarbeiter, die sich am Ausgang des winzigen Haltepunkts als eine Art Denkmal postiert hatten, wiesen auf Nachfrage – Ei Gude, wie! – den Weg, zwanzig Minuten zu Fuß hieß es, mit dem mitgeschleppten Gepäck, obwohl spartanisch karg gepackt, wohl etwas länger. Dann grüßte das Murmeltier namens Misthaufen. Die Körper der Pilger müde, vom Betrachten des Stinkmals oder von den Ausdünstungen desselben höchstselbst, wer weiß es, jedenfalls die erste Bank am Wegesrand willkommen. Ein weiter Blick auf das unter Wasser stehende Auengebiet der Nidder und im Rücken der Rastenden die Kirchturmspitze des Zieles konnte erahnt, ein winziger Teil davon sogar erblickt werden.
Der Meister Ernst Albert teilte dem Bären die Spielregeln für die bevorstehende Woche mit. Kein Telefon, keine digitale Post, kein Fernsehen, kein Radio und noch nicht mal die heiß geliebten Zeitungen. Archibald Mahler nickte zustimmend, milde lächelnd über den Aufrechtgeher, der ihm Verzicht predigt und verzichtete auf sein obligatorisches „Weia!“. Ihm war nicht bange. Dem Ehrenwerten Ernst Albert flatterte schon das ein oder andere Hosenbein. Vor ihnen nun ein Weg, den sie zu gehen hatten. Der Wind frischte auf, neues Naß drohte, Zeit aufzubrechen. Eine Suche begann.
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