Beitrags-Archiv für die Kategory 'Archibalds Geschichte'

Die Andere Reise / Ein Bär beginnt zu wachsen

Montag, 30. Mai 2016 11:30

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Ich bin größer als ein Baum. Zugegeben, der Baum ist ein kleiner Baum. Aber ich bin andererseits auch ein kleiner Bär. Das erste Mal in meinem Leben, von dem ich gar nicht weiß, wie lange es schon währt, bin ich größer als ein Baum. Dazu mußte ich nicht einmal wachsen. Wobei ich noch nie gewachsen bin. (Innen vielleicht. Aber da sind andere Geschichten verborgen.) Ich war so. Von Beginn an war ich, der ich bin, dieser Bär. Auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann, wie ich wurde zu sein. Selbst als ich das Abbe Bein hatte, war ich weder größer noch kleiner. Wenn man mit dem noch Drannen Bein eine Messung gemacht hätte von unten bis zum Kopp, wäre da die nämliche Größe gewesen. Kein Vertun! (Innerlich war ich da bestimmt geschrumpft, das schon. Aber lies oben noch mal.) Und leichter war ich ohne Abbes Bein gewiß. Nein. Eigentlich auch nicht. Weil das zwar in Entfernung auf der Straße, genauer dem Brandplatz in der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen, lag, jedoch rechtsmäßig weiterhin zu mir gehörte, auch in Sachen Gesamtgewicht eines kleinen Bären. Jetzt mag ich etwas schwerer sein, wegen der neuen Fäden, die mein Abbes Bein wieder dran halten am restlichen Bären. Jedenfalls blicke ich nun über die Wipfeln eines Baumes hinweg, spüre kaum einen Hauch, obwohl die Fenster im Treppenhaus offen gekippt sind und draußen singen die Vögel im Hinterhof. Man kann also auch als kleiner Bär so einiges erreichen. Selbst wenn der Weg nach unten führt. Ich werde das Gefühl nicht los, daß man mich beobachtet. Nein, nicht Du bist das, Herr oder Frau Leser. Da ist noch etwas. Was? Egal doch. Wenn man größer ist als ein Baum, kann man dann auch fliegen?

Zack Pack Dummer Sack

Nase hoch

Tatze krumm

Eben noch gescheit

Schon dumm

Zuviel Himmel übern Kopf

Stolper Holper

Armer Tropf

Tränen Schneuz

Rotes Kreuz

Tatü

Thema: Archibalds Geschichte, Küchenschypsologie, Wieder ein Jahr / Jetzt schon 2016 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

In fernen Zonen / Der Heimkehrer bleibt blind

Sonntag, 25. Oktober 2015 9:52

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Immer wieder hatte ich meine weinende Pfote auf die Schulter des Ehrenwerten Herrn Archibald Mahler gelegt. Nein. Immer und immer noch ruhte die Pfote, feucht im Augenwinkel, auf der Schulter des Großen Häuptlings des untergegangenen Stammes der Kamschakta – Bear, dem Legendenberankten, dem Liederumtosten, dem Wehmutsriesen namens Kleines Abbes Bein. Aber der Zweitakter rollte vorwärts unbeirrt und das verräterische Grinsen im Antlitz des Bären gab mir keinen Anlaß eine Vollbremsung, eine Umkehr oder wenigstens eine besinnende Rast zu erhoffen. Wenn blubbernde Heizungsrohre und der bevorstehende Winterschlaf rufen, ist die Abenteuerlust oder ein herzschwerer Erinnerbedarf eines Feldhopplers dem Bären nicht mal ein Nicken des zur Kenntnis genommen Habens wert. Doch der gescheite Hase baut vor und haste nich gesehn nahm ich ein oder zwei Scheibchen der Magischen Pilze zu mir, die man mir zum Abschied in der Pulqueria in mein Jutebeutelchen gesteckt hatte. So lebet ihr weiterhin in den Gefilden der strukturierten Vermessenheit und glaubt den Ziffern eurer dahin rasenden Wecker, ich weile zwischen den Zeiten, Zeilen und Farben. Der Siegtreffer wird vor dem Ausgleich geschossen und der Fehler wird gemacht am Ende des Buches. Meine Augen verschließen sich vor den Bildschirmen und Straßenlaternen, in blinder Ruhe blinzeln sie entgegen einem inneren Lichte. Langsam reite ich die Welle zu Ende, die Larve des Old Schmetterpfote pellt sich von meiner Haut, es kitzelt und alsbald liege ich zusammengerollt in den Federn meines nächsten Ichs. Spektren durchpulsen mich und in frisch erworbener Blindheit vertraue ich dem Gasfuß des Herrn Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder mal befindlich auf einer seiner vielen ziellosen Heimfahrten. Und ohne eine Klage werde ich in den Körper schlüpfen, der – wann auch immer dies sein wird – neben dem Bären auf einer in Betrieb genommenen Heizung sitzen wird. Vielleicht werden wir Schach spielen. Vielleicht werden wir sterben. Wir werden zu tun haben. Das ist gewiß. Ausnahmsweise pfeift eben der Bär ein feines Lied, denn streng genommen ist dies mein Brevier. Dabei übersieht er eine rote Ampel. Blöd!

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Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Das versteinerte Gebet / Mescal und Heimreise

Dienstag, 13. Oktober 2015 18:53

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Gerne würde ich an dieser Stelle berichten von letzten Worten, die Kleines Abbes Bein, der edle Häuptling der Kamschatka – Bear, uns hinterlassen, gerne würde ich singen ein Lied, dessen weiche Melodien und dessen trostgebende Worte uns über die Täler der Unbill und Großen Traurigkeit hinweghülfen, gerne stünde ich an einer Wegkreuzung und blickte mit festem Auge auf das aufgestellte Schild und wüßte sogleich wohin ein zweifelsfreier Schritt uns führen wird. Doch mein Gefährte hatte nichts hinterlassen zum Abschied als Gruß und frommen Wunsch. Er war gegangen um seiner selbst willen. Kein weißer Bart baumelte von den Himmeln hinab, keine biblischen Strahlen fingerzeigten das Licht vor meine taumelnden Füße und Manitou hatte das Gebäude unseres Mißvergnügens schon längst verlassen. Die Götter nun unsichtbar geworden und wir hatten es gewollt.

Unten im Tale schrie Tinseltown von sich selbst ergriffen, die Rücken der Schafe krümmten sich in freiwilliger Verzückung und Fäuste trommelten auf die eigene Brust. Trockener Husten pfiff durch die durchstochenen Lippen. „Oh Tinseltown, sei gebenedeit und leg uns an die Uniformen, wir singen steinernes Gebet.“ Mir war kalt so ohne den Gefährten an meiner ängstlichen Seite und ich sah uns blicken hinab ins Tal, wie wir es in diesem langen Sommer es so oft getan, doch kein Rad in der Nähe meiner zitternden Pfote, welches zurückzudrehen griffbereit. Schwitzend, fluchend und greinend wie ein armes, verhärmtes, altes Weib, welches die Söhne übers Meer geschickt, auf daß jene dort im Schatten der Tempel des Ewigen Klimperns ein paar erbärmliche Unzen verdienen mögen, um ihr einstens zwischen den fensterlosen Trümmern der Heimat ein halbwegs würdevolles Begräbnis bezahlen zu können, taumelte ich voran ohne Ziel. Ein klebriges Gespinst wuchs vor meine Augen. Erblindete ich? Ich fiel mehr, als daß ich eintrat in jene schummrige Pulqueria. Ich hob den Arm und sogleich ergoß sich die milchig – schäumende Flüssigkeit in meinen Leib, sickerte durch die Wände meiner Adern und da ich spürte, daß dieses Stöffche zu schwach, verlangte ich nach einem doppelstöckigen Mescal, schluckte und zerbiß den Wurm. Das Licht schwand. Warmer schwarzer Wind küßte meine Ohren, meine Füße tanzten durch das Sägemehl, welches den Kneipenboden bedeckte und ein Blume stach mir in die Nase. Ach, wie frohgemut hatte ich sie einstens gerochen. Wo weilst Du, oh Schöner Tag? Das Gurgeln, welches sich meiner pulsierenden, nach mehr verlangenden Kehle entrang, mir schien, ich konnte es sehen, als ein starker Arm von hinten mich umfasste. Meine Stimme schwand und man sprach mit mir.

„Budnikowski, der Herbst ist da. Morgen soll es sogar schneien. Also, auf den Bergen, sagt man. Wir müssen das Tal verlassen. Steig ein. Suchen wir einen Heizkörper!“

„Aber was ist mit Tinseltown? Was ist mit dem Tal? Oh Häuptling und Gefährte, mir ist gar nicht gut.“

„Kommt der Lenz, gehen wir wieder raus! Jetzt hoch mit dem elenden Pöter!“

„Mahler? Sind Sie’s?“

Das Letzte, was ich vernahm, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, war das Klackern eines alten Zweitakters. Roch ich Benzin?

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In den Abendbergen / Hohes Wasser

Samstag, 3. Oktober 2015 10:28

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Und so habe ich auf all meinen Reisen der Klagen so viele vernommen und – die Götter mögen mir vergeben – auch der Klagen zu viele ausgesprochen. Viele Flüsse querte ich, manches Ufer fand mich als ungeduldig Wartenden und der Strom eilte dahin und nahm keine Notiz von mir. Kleines Abbes Bein und ich blickten auf das unergründliche Wasser und es schien uns die Zeit gekommen, tatenlos zu bleiben. Wir sprachen nichts. Jenseits lag Tinseltown, dort drehten sich die Glücksräder in rasendem Tempo, hart und haltlos schlugen die Silberkugeln in den rotierenden Scheiben und taumelten in das Fach, welches ihnen der Zufall zuwies. An den Spieltischen grabschten von sich selbst Besoffene nach den Jetons und heulten sich gegenseitig kurzfristigen Triumph in die angstverzerrten Gesichter. „Ich habe es doch schon immer gesagt! Ich wußte es! Ja! Ich! Ja! Nein! Rache!”, so hallte es hinüber und schlug gegen unsere Stirn. Wir waren angekommen vor dem Ziel. Der Abend tropfte vom Himmel, die Sterne blickten ungerührt und eine Entscheidung war gefallen. Man mußte sie nicht treffen. Sie hatte gelauert. Wir würden zurückkehren. Kleines Abbes Bein blickte in meine Richtung, sein Blick war klar, doch voller Trauer. Ich wußte, was er sagen würde.

Wir flüchten jeden Tag und haben doch kein Ziel! Trotzdem eilen wir weiter, alleine, oft in Gesellschaft. Das ist die heilsame Täuschung, welche die Götter uns schenkten. Doch sowie der Verband die Wunde nicht nur schützt vor Staub und Getier, entzieht er auch die Verletzung schamvoll den neugierigen Blicken. Den letzten Fluß zu queren jedoch, bleibt die Aufgabe, die wir allein zu erfüllen haben. Mein Herz hatte seine alte Schwere wieder gefunden hier am Ufer, bang pulste Gewißheit in mir. Die Zeit war gekommen. Mein Tomahawk flog in die Fluten und versank. Ein Reisender muß wissen, wenn das steigende Wasser außer Kontrolle gerät. Die Behauptung, in solchen Momenten läge noch das Heft des Handelns auf dem Schreibpult seines kurzen Lebens, ist Chimäre. Ich griff nach der Pfote meines treuen Gefährten und Blutsbruders. Dann erhoben wir uns.

Der Blick schweifte weit und weh. Wir hatten Platz genommen am westlichen Abhang der Abendberge. Unten im Tal erhellten die kreischenden Lichter von Tinseltown die zertrampelte Ebene. Der Damm knarzte, wölbte sich und machte sich bereit zu brechen. Die Flut scharrte mit den Hufen. Leere Blätter harrten darauf, einem letzten Heldengesang traurige Heimat zu geben. Ich spürte wie der Geist von Häuptling Kleines Abbes Bein zum Aufbruch blies. Zwar wußte ich, wir würden zurückkehren, wenn die Flut sich verlaufen haben würde, doch was würden wir dann vorfinden? Wohin hätte uns ein gnadenloses Schicksal in ferner Zeit dann gespült? Und ich ahnte, was mein Gefährte antworten würde.

„Mein Bruder, Kleines Abbes Bein wird nun aufbrechen. Er kann dem Rufen nicht länger standhalten. Er wird sich von der Vermessenheit zu wissen verabschieden und dorthin wandern, wo die Wasser zur Ruhe finden.“

Drunten im Tal machte sich Tinseltown daran seinen Untergang zu feiern. Die einarmigen Banditen ruderten und warfen klingelnd erbärmlichen Zoll in hochgehaltene Plastikeimer. Mir schien, dieses Reich ging nicht unter mit stolzer Brust und verbeultem Harnisch, dieses Reich erstickte an seiner verzweifelt egomanen Larmoyanz. Ich sah den Großen Häuptling des ausgelöschten Stammes der Kamschatka – Bear seine Tatze heben zum Gruß. Eitelkeit wäre es von einem letzten zu sprechen oder zu singen.

„Die Götter haben uns das Geschenk der Freiheit gemacht. Es ist ein großer Fehler, dieses Gut zu nutzen, als sei es von Unendlichkeit. Old Schmetterpfote mag nun alleine wandern! Leb wohl!“

Und ich saß in erwachter Einsamkeit. Räder drehten, Maschinen schnauften, Bildschirme flackerten. Für wen? Ich griff nach meiner Kladde und suchte meinen Füllfederhalter.

(Eine Fortsetzung noch folgt)

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Am Fluß ohne Wiederkehr / Die Verpflichtungen

Sonntag, 13. September 2015 17:50

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Das Gehen der Kamschatka – Bear ist ein Fallen, ein Fallen mit dem Fluß, ein stetes Fallen in die Zeit. Ein Kamschatka – Bear weiß, daß jeglicher Schritt, den er ab seiner Geburt tut, ihn dem letzten Großen Sprung näher bringt. Der Kamschatka – Bear fürchtet nicht den Tod, er vergeht sich selbst Schritt für Schritt. Deshalb kennt der Kamschatka – Bear keine Eile. Er benötigt keine falsche Kraft. Das was ein anderer sein Gewicht nennt, nennt der Kamtschatka – Bear die Verpflichtung und diese zieht ihn dahin. Selbst das Erklimmen eines Berges – der Kamschatka – Bear ahnt wohlwollend die Zweifel im Auge des Lesers – erfolgt im steten Fall. Den Oberkörper Richtung Oberschenkel gelehnt, die Verpflichtung in den Waden konzentriert, fällt der Kamschatka – Bear Tatze für Tatze, Atemzug um Atemzug in den Hang und steigt hinan. Doch obgleich lange Jahre von meinem verehrten Lehrmeister Klecker Peter in der Kunst des klaglosen Gehens unterwiesen, so fiel mich auf der Wanderung hinaus aus dem Tal eine ungekannte Atemnot an. Ich folgte meinem Gefährten Old Schmetterpfote und dies gelang mir kaum. Das harte Gras schlug gegen die Verpflichtung in den schmerzenden Waden und auf meiner Brust machten sich einige der Dämonen breit, welche den Freund über das Grasland trieben. Meine Zunge klebte am Gaumen wie eines der gezackten Papierstücke, mit denen der weiße Mann seine Botschaften beklebt und diese dann den berittenen Boten des Pony – Express überantwortet. Entgegen aller tief in mir verwurzelten weisen Ratschläge – oh Hoffnung so trügerisch – führten wir, die wir überstürzt aufgebrochen, keinen Schluck Wasser mit uns. Die rasenden Hacken von Old Schmetterpfote wirbelten Staub und Gräsersamen in meine tränenden Auge und ich ersehnte den nahen Fluß.

Nein, ich war nicht auf der Flucht. Meine Heimat hatte ich – den Göttern sei Dank in freiwilliger Würde und aufrechter Ruhe – schon vor vielen Jahren hinter mir gelassen. Doch seit wir die kläglichen Reste von Kinky Claude unter die Erde gebracht hatten, trieben mich die Horden des Pferdefüßigen vor sich her. Hüfthohes Gras peitschte mir entgegen, meine rudernden Arme teilten die über dem steinigen Boden flimmernde Luft und mir schien, beschleunigte ich meine Schritte noch ein weiteres Mal, gelänge es mir den Horizont zu greifen. Was war der Grund dieser Hatz? Was trieb mich? War es der naive Glauben in Tinseltown ins Getriebe des Bösen greifen zu können und das ewige Rad des Verderbens in seinem Laufe bremsen, gar aufhalten zu können? Eine aus alten Gemächern der Seele aufsteigende Wut auf den obszönen Tanz der Krämerseelen um die goldenen Kälber? Meine nie versiegende Trauer über den Verlust von „Schöner Tag“? Oder trieb mich etwa die armselige Hoffnung in Tinseltown die Scherben meiner einst dort begangenen Dummheit zu finden oder gar zusammenkehren zu dürfen? Ich schlug meine Beine in den Prärieboden, schrie die Zahl meiner Schritte in die gleißende Mittagssonne, als ich den Horizont auf mich zurasen sah, meine Kehle sich schloß und ich unter einem dieser entrinnenden Gurgeln folgende Worte vernahm:

„Old Schmetterpfotes Geist weiß, daß der Feind, den er jagt, nicht fliehen wird. Er trägt ihn in sich. Es ist Zeit zu rasten!”

Die schwere Pranke von Häuptling Kleines Abbes Bein legte sich auf meine Schulter und ich fiel.

Rechtzeitig hatten wir das Ufer des Flußes erreicht. Wir saßen – gestärkt von Wasser und Forellen – im schützenden und kühlenden Schilf. Die Augen von Old Schmetterpfote blickten wieder klar. Der Pferdefüßige hatte sich zurückgezogen. Es war Zeit einen Plan zu fassen. Die Unken quakten. Der Freund und Westmann nestelte seine Mundharmonika aus der Ledertasche und blies ein wehes Lied in die hereinbrechende Nacht.

„Kleines Abbes Bein ist froh, auch wenn er weiß, daß eine Rückkehr ihm nicht mehr gewährt!“

„Ja! Die Lieder der Heimat klingen erst von fremden Höhen klar!“

(Fortsetzung folgt)

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Am Cospudiner See / Unbeglichene Rechnungen

Freitag, 4. September 2015 20:48

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So saß ich also, all meine Reisen in die Täler und an die Ränder nur mehr als ein fernes Echo in meinen Löffeln rauschend, in eine Wolldecke gehüllt auf der Holzveranda meiner Blockhütte am Ufer des Cospudiner Sees in der Nähe meiner geliebten Gosenstadt, wohin meine von den Anstrengungen eines Lebens als Westmann gemüdeten Knochen mich hatten zurückkehren lassen – Oh Heimkehr du, stets ersehnt und schrecklich traurig gerne! – und der nahende Herbst blies kühl über das stille Wasser und das Rheuma in meine Glieder. Auf meinen wackligen Knien ein Schuhkarton. Erinnerungen quollen und ich fragte mich, was mich bewegt hatte, einen Gutteil der Schachtel mit Rechnungen anzufüllen, die meistens ordentlich beglichen zwar mit Nuggets oder einem guten alten Greenback, aber eben auch mit Narben, Schürfwunden und manchem geflickten Knochen, Rechnungen aber doch und es schüttelte mich die Vermutung, daß selbst im Herzen eines freien Geistes, geht es dem unvermeidlichen Ende zu, ein Buchhalter lauert, wenn ich mich nicht irre, hihihi! Und voller Wehmut blickte ich auf die Photographie, auf welcher der Schädel von Deadly Dust prangte, dem edlen Roß, welches einst Häuptling Kleines Abbes Bein über die Prärie getragen hatte und welches den Weg in die Ewigen Stallungen gehen mußte, an jenem gräßlichen Tage im Tal, als die zerstörerische Wucht einer Explosion mich durch die Luft gewirbelt hatte und der Große Manitu uns im allerletzten Moment das Gatter zu den Ewigen Jagdgründen vor der Nase zugeschlagen hatte, mir Old Schmetterpfote und meinem roten Bruder Kleines Abbes Bein. Sieh an den gebleichten Schädel eines unschuldigen Vierbeiners, welcher nun mahnend den Eingang zum (ehemaligen) Heiligtum der Kamschatka – Bear bewacht. Eine dieser Rechnungen, die wohl niemals beglichen werden oder erst im Angesicht des letzten Tages, an den Schranken eines letzten Gerichts.

„Mein weißer Bruder, der Du jenseits des Großen Wasser, welches der Große Geist zwischen unsere Heimatländer setzte, die Stille Deiner letzten Abende besingst, traurige Botschaft sendet Dir Kleines Abbes Bein, Häuptling des untergegangenen Stammes der Kamschatka – Bear. Jamulapanta, der Hüter der Seelen der Vierbeiner, ließ Hattumörla, das edle Roß von Old Schmetterpfote zu sich rufen. Viele Jahre weidete die treue Seele zu den Füßen meines Pueblo und nagte friedlich an den Halmen seines Ruhestandes, doch in einer der letzten Vollmondnächte, die eine klirrende Kälte bis in den tiefen Süden meines Landes geschickt hatte, fiel ein ausgehungertes Rudel Wölfe in unsere Stammesweiden ein und der alte Recke verlor seine letzten Kampf. Das Herz von Kleines Abbes Bein ist schwer und seine Gedanken weilen am anderen Ende des Großen Wassers bei seinem alten Weggefährten. Doch auch dankbares Glück erfüllt den Häuptling der Kamschatka – Bear, denn der weise Ratschlag von Klecker Peter, Kleines Abbes Bein möge Buchstaben und Schrift des Weißen Mannes erlernen, ist ein Segen und dem Herzen große Freude. Sei gegrüßt von den heißen Winden, die über die Prärien jagen. So manches Lied noch singen sie von den Taten des Old Schmetterpfote. Hugh, ich habe geschrieben!“

Dieser, einer der letzten Briefe meines Blutsbruders, war mir aus den klammen Pfoten gefallen, lag gelesen und beweint zu Füßen meines knarzenden Schaukelstuhles, eine vorwitzige Maus führte sich eine Ecke des wertvollen Dokumentes zu Gemüte, denn ich war eingenickt. Ich träumte von jenem Tag, als mich wenige Momente einer Illusion gestreift hatten, jener Illusion, diese alte Rechnung sei endlich nun beglichen, ich träumte von jenem Tag im Tal, als zwei aufrechte Seelen durch die Luft geflogen waren und das erste Geräusch, welches ich nach dem fürchterlichen Aufprall vernommen hatte, das erste Geräusch nach einem von mir herzhaft in die Prärie gebrüllten „Ei verbibsch, was brummt mir och dr Nischl!“, das Wiehern meines guten, alten Hattumörla gewesen war. Dazu wäre zu sagen, daß Kinky Claude einst – ach, einer unglückseligen Dummheit meinerseits geschuldet einst in Tinseltown, die zu erzählen ich bisher vermieden habe – mein treues Roß entwenden konnte und ich so also befürchtete, daß die todbringende Explosion, die auch den Auslöser in unzählige Teile zerfetzt hatte, das Ende von Hattumörla bedeutete. Doch dem waren die feinen Nüstern meines Rappen vor, das Roß hatte sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und so erwachte ich vom alten Glück gestreift und mir war, als stünden der Große Häuptling der Kamschatka – Bear und ich wieder am schnell geschaufelten Grabe des Bösewichts, im Hintergrund befreites Wiehern. Ja, auch dem Sünder, und sind es nur ein paar Aschehäufchen, die man der Erde übergibt, schenkt der aufrichtige Christ tröstende Worte für die letzte Reise und bittet die Götter, sie mögen die eigene Unzulänglichkeit vor den Versuchungen und Abgründen des Bösen bewahren. Ich hörte wieder die Stimme meines roten Bruders.

„Old Schmetterpfote spricht Worte, die dem Herz von Kleinem Abben Bein wohltun. Möge der Mörder meiner Schwester und meines Vaters den letzten Pfad aufrecht hinabwandern. Es ist Zeit weiterzureiten.“

„Der Häuptling spricht weise und voller Vergebung. Bewunderung lässt mich tiefer atmen, doch vernehme, nur noch ein Pferd ist unser!“

„So schreiten wir voran! Kinky Claude war nur eine einzelne Seele, die der Milzbrand des Bösen ergriffen hatte. Mein Bruder weiß, daß es gilt den Arm des einarmigen Banditen zu brechen!“

„Und wohin führt uns die Wanderung, mein Bruder?“

„Nach Tinseltown, ins Herz der Finsternis. Die GRAUE WOLKE will weichen! Hugh!“

(Fortsetzung folgt)

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Am Rand des Verderbens / Leere und Hoffnung

Montag, 31. August 2015 9:08

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Wüst und leer das Grasland. Keine Helden durchstreifen die Weite. Kein unruhiger Huf tritt die Halme. Der Morgen nach einer stürmischen und regnerischen Nacht liegt müde auf den geknickten Gräsern. Der Pfiff eines Präriehundes noch sirrt und dann fällt die bleierne Stille herab. Ein jeglicher Wind schläft. Der gelbe Planet erklimmt den Thron und brennt sich erbarmungslos in den aufsteigenden Tag hinein. Die Wundränder des Verderbens ziert eitriger Schorf. Die Koyoten schweigen in den Büschen, in denen sie lagern. Sie nagen einen letzten Knochen.

Selbst die eitle Hoffnung leugnet nicht den Tod, doch sie hofft der Sensenmann möge in den täglichen Kämpfen, die sich die Weiten der Prärie als Schlachtfeld gewählt haben, an den richtigen Türen klopfen, die leise Erwartung betet, er möge die Aufrechten verschonen, auf daß man weiterhin ihren Reisen folgen dürfe. Doch es herrscht keine Gewähr unter der brennenden Sonne. Das Große Schlachten kennt sie nicht die Guten, kennt sie nicht die Bösen, das Große Schlachten findet statt und badet in Drachenblut. Der naive und doch gerechte Glauben an eine weise Hand, die das Getriebe der Welten in freundliche und schonende Bahnen lenken möge, steht Tag für Tag und jeden Morgen wieder, den die Götter auf das weite Land, die Schluchten, Täler und Berge werfen, an den Wundrändern der ewigen Abgründe und zittert in Voraussicht. Die Prärie durchweht der bittere Hauch Hoffnungslosigkeit. Häuptling Kleines Abbes Bein und sein Gefährte Old Schmetterpfote scheinen ihre Pferde ein letztes Mal abgesattelt zu haben, sie scheinen nicht mehr zu sein als tränennasse Erinnerungsfetzen, gelagert in einem mürben Schuhkarton. Die Klapperschlange rüttelt ihr Hinterteil. Wir erschrecken nicht einmal mehr, geschweige denn vor uns selbst.

Auf einem Felsen unterhalb des geschändeten Heiligtums der Kamschatka – Bear lag und liegt der gebleichte Schädel. Fliegen durchsummen seine hohlen, ausgeweideten Augen, jene Pforten eines Palastes der Letzten Erinnerung. Welchen Helden trug früher dies dahingegangene Ross? Brach dereinst sein Lauf, in halsbrecherischer Flucht vor den Horden des Gewinnstrebens? Setzte ein untröstlicher Westmann die Flinte an den Schädel des gestürzten Freundes, ‘alternativlos’ wie der Zyniker Mantra raunt? Hat Kinky Claude sein Ziel erreicht? Hat die Habgier wieder einmal erfolgreich das Zepter ergriffen? Müde durchblättern wir ein Buch und lesen, was der Chronist Rainald G. vor kurzem niederschrieb:

„Diese rattig auf Schläue angelegten Typen entwickeln eine besonders effektive Wendigkeit am Arbeitsplatz, machen Karriere, weil sie die Regeln des Sozialen auf ihren eigenen Vorteil hin kalt belauern und unirritiert von allem Seelischen, Menschlichen und Zwischenmenschlichen nur für sich selbst ausnützen und ihre eigene Tiefenamputiertheit, ihren perfekten Zynismus als Professionalität bezeichnen. (…) Der andere Mensch ist total anders unterwegs.“

Wir atmen tiefer ein und bitten die Hoffnung unsere ängstliche und wütende Brust zu weiten. Möge der Schädel andere getragen haben denn unsere beiden Helden! In der Ferne lodert auf ein Götzenbild.

(Fortsetzung folge!)

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Kleines Abbes Bein III / Die letzte Tasse Kaffee?

Samstag, 15. August 2015 10:37

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Vor uns, auf dem ungeordneten Schreibtisch, liegt der gewissenhaft verschnürte Schuhkarton. Von Nagetieren (Insekten?) angefressene Kanten, Kaffeeflecken, fiebrige Kritzeleien. Auf dem ausgebleichten Deckel unten rechts eine Inschrift:

„Hier die Aufzeichnungen des Westmannes Old Schmetterpfote über seine Reisen in die Täler und an die Ränder, der Nachwelt zur verantwortungsvollen Verwendung.“

Vorsichtig öffnen wir die unzähligen Knoten, glätten die Schuhbänder, rollen sie auf. Das Heiligtum entblößt seinen Schatz. Dicht beschriebene, aus einer Kladde gerissenen Zettel. Beschrieben auf Vorder – und Rückseite, die Ränder gefüllt mit Bemerkungen, Zeichen, Pfeilen. Servietten, Saloonrechnungen, Bierfilze, Etiketten, Buchseiten. Bemalt, beschrieben, bekrakelt. Zeitungsauschnitte, fein säuberlich herausgeschnitten teils, hastig herausgerissen ebenso. The Tinseltown Times. El Paso Journal.  Le Mescalero Dimanche. Prairie Today.  Daily Mail of Roswell. Vergilbte Photographien, viele befleckt. Regentropfen? Tränen? Feuerwasser? Immer wieder ein kleiner, wacker in die Wälder und Täler blickender Bär und sein Begleiter, ein recht ordentlich vergilbter Hase. Eine Notiz fällt sofort ins Auge, fällt aus dem Rahmen. Ein Stück Bisonleder, eingeritzt eine hastige Nachricht. Mit einem angekokelten Stück Holz? Getrocknetem Schlamm? Gar Blut?

„Wir happen das Heilischtum erreicht. Unheimelige Stille. ER ist da. Der Häuptling der Kamschakas hat krose Schmerrzen. Das Bein schreit pei jetem Shcritt auf. Operation villeich schlecht. Der Tach vill nich mehr hell sein. Ich kann iHN richen, den Hun… Manitu, Großer .. Steh uns pei! — HIlfe! Klein Ab Bein heißt mich schwaige ..  Nein!“

Dann in einer neuen Schrift:

„atlantapam songo manituam eti. hugh!“

Und jene Photographie, die unsere Herzen rührt. Im Staub liegen die zwei Helden, deren Reise ins Tal wir verfolgen durften, deren ganze Geschichte jedoch noch im Dunkeln liegt. Spuren wurden gefunden, gelesen sind sie noch nicht. Ist dies das Ende? Wird die Geschichte fortgeschrieben? Oder ist sie schon dahin? Eine letzte Tasse Kaffee rinnt die beklommene Kehle hinab. Doch wir werden sie zu finden wissen. Westmänner sterben nicht, solange wir es nicht zulassen.

(Fortsetzung schläft noch)

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PS: Beim Schließen und Wiederverschnüren des Kartons fällt auf, daß der Deckel von innen beschrieben ist! Dem Leser hier zur verantwortungsvollen Verfügung.

Wir treiben auf dem wüsten Meer,

vergessen ist das Land.

Da fliegt ein Vogel auf das Schiff,

ist bunt und unbekannt.

Er singt von Inseln im Sonnenwind,

von wilden Bächen, von Honig und Wein,

von Ländern aus dem Sternenhimmel,

das muss Osti

Hier bricht der Text ab, einer in anderer Schrift beginnt.

Wo bin ich, bin ich in Liebe, wo bin ich, bin ich schon da?

Wo bin ich, bin ich auf Sternen, wann bin ich, bin ich schon da?

…..

Der Rest ist unleserlich. Noch.

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Kleines Abbes Bein II / Der Weg ins Nichts

Donnerstag, 6. August 2015 21:32

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“Die besondere Aufgabe des Geheimnisträgers ist es seinen Stamm zu schützen und dies nicht vor seinen äußeren Feinden, sondern auch vor sich selbst!”

Klecker Petras mahnende Worte vor Augen saß ich in der Schlucht, in welcher ich damals Abschied genommen hatte von meinem Vater, meiner Schwester und dem weisen Medizinmann meines Stammes. Wieder sollte die Schlucht uns Schutz gewähren. Ich blickte in den gnädigen Nachthimmel, welchen Manitou über den letzten, wild bewegten Tag gespannt hatte und spürte die Kräfte in meinen Körper zurückkehren. Die GRAUE WOLKE kratzte nur noch leicht an den Rändern meines Bewusstseins. Old Schmetterpfote hielt die Wacht. Ich sah, daß die ewigen Schatten der Vergangenheit seinen Atem schwer werden ließen.

„Mein Bruder ist müde. Kleines Abbes Bein ist wieder bei Kräften. Er wird die Wache übernehmen. Old Schmetterpfote möge sich ausruhen. Ich höre, daß die alten Tage schwer auf seiner mutigen Brust lasten.“

Ja, die Erinnerungen, die diese Schlucht, die dem Stamme der Kamschatka – Bear seit je her als Rückzugsort diente, für mich bereit hielten, sie waren von tiefer Traurigkeit und bleiernem Gewicht. Hier hoffte ich damals auf heile Rückkehr, hier vernahm ich die tödlichen Schüsse, hier verlor ich eine Liebe, von hier aus brachen wir auf, um zu spät zu kommen. In meinem Schmerz betete ich um Schlaf und der Große Geist erhörte mich. Düstere Gestalten ritten durch meinen Traum, sanft fasste „Schöner Tag“ meine Hand, ihr schwarzes Haar strich mir über die Lippen, die ein fernes Lied sangen, ein Lied, welches noch nicht war, aber eines Tages werden würde, geschrieben und gesungen von einem, der diese Geschichten gelesen haben würde, mit Freunde und Verstand. Es war ein tröstendes und trotziges Lied. Ein einfaches Lied, gespeist von Hoffnung und liebevoller Naivität.

Das Besondere am Geheimnis der Kamschatka – Bear ist das Vergessen. Ein Kamschatka – Bear weiß um die Gespenster der Gier und um die ewige Unruhe der Erdenbewohner. Er weiß um das verhängnisvolle Funkeln in den Augen derjenigen, die einen Blick auf den Schatz geworfen haben. Er weiß um die Haltlosigkeit, die atemlose Besinnungslosigkeit derer, die aufgebrochen sind den vermeintlichen Schatz zu heben, von dessen Existenz sie meist nur durch ein vages Flüstern vernommen haben. Die Kamschatka – Bear aber wissen um die Unabdingbarkeit des Großen Verzichts, den sie wissen um sich selbst .

Ein zweites Mal ward mir das abbe Bein abgerissen und wieder angenäht worden. Die Kühle der Nachtluft linderte das Pochen der frischen Narbe. Kinky Claude hatte mir das Geheimnis entrissen. Doch es bestand keine Gefahr. Sie würden den Schatz nicht finden, weil der Schatz sich nicht dort befindet, wo sie ihn vermuten, weil selbst die, die den Schatz einst vergraben haben, all ihre Anstrengung darauf verwandt hatten, zu vergessen. Und vielleicht wissen wir sogar, daß der Schatz nirgends existiert als in den wund gehofften Hirnen der Unruhigen. Und dennoch hat auch in dieser Nacht der Schnitter sein Pferd bestiegen und hielt reiche Ernte unter den Verblendeten und den Unschuldigen. Neben mir lag Old Schmetterpfote und über seine schlafenden Lippen kroch ein Lied. Ich vernahm die Worte.* Ich weckte den Gefährten.

„Mein Bruder, es ist Zeit die Schlucht zu verlassen. Wir beide wissen, wo wir den Feind finden werden. Der Kampf geht weiter!“

„Der Häuptling hat recht. Manchmal jedoch wünschte ich mir in den Weiten der Prairie mehr Unvorhersehbarkeit!“

„Ich verstehe die Wut meines Gefährten. Doch auch im Schmerz ist es nicht ratsam, die Götter zu versuchen!“

(Fortsetzung folgt)

*Die Worte des Liedes, welches Old Schmetterpfote in der Nacht in der Schlucht sang, waren einst abgedruckt auf Seite 90 des Werkes, welches anno 1985 im FATA MORGANA – Verlag zu Berlin erscheinen würde. Seit einigen Jahren jedoch bleibt diese Seite aus unerklärlichen Gründen leer. Wir reichen sie im folgenden nach.**

**Als ich in jener schlaflosen Nacht über die kalten Straßenlaternen und neonbleichen Häuserreihen hinweg in den klaren Winterhimmel schaute, fiel mir ein Stern auf. Er gefiel mir und je länger ich ihn betrachtete desto größer und deutlicher wurde er für mich. Durch seine leuchtende blaue Atmosphäre konnte ich Meere und Kontinente erkennen.

Ich sah Urwälder, die wie eine schützende Hand das Land bedeckten, Gebirge, in deren schneeüberzogenen Gipfeln sich die Mittagssonne bricht wie in einem kostbaren diamanten. Flimmernde Wüsten, in denen nur der Wind wohnt, Flüsse, die breit und schwer wie die trägen Gedanken eines Sommernachmittags dahinfließen.

An ihren Ufern wogende Getreidefelder, vom Duft schattiger Obstgärten erfüllte Luft.

Dann sah ich sie, ihre Haut war braun, manchmal heller, manchmal dunkler, sie pflügten die Erde, bestellten die Felder, bauten Brücken aus seltsamen Metallen. Manche schwebten in schimmernden Kugeln durch die Luft. Ich sah sie in der Sonne liegen, sah sie tanzen, hörte ihre Gesänge, spürte ihre Liebe.

Dann sah ich ihre Städte. Städte, deren Schönheit ich nicht beschreiben kann. Städte ohne Hass und ohne Hast und ich sah keine stickigen Hinterhöfe, keine rasenden Blechkisten, keine verhungerten Kinder und niemanden auf den eine Waffe gerichtet war.

Ich sah keine marschierenden Truppen, keine Bomben werfenden Flugzeuge und ich sah niemanden, der Geld zählte.

Ich sah fröhliche Gesichter und sah traurige Gesichter, aber nirgendwo begegneten mir hoffnungslose Blicke.

Das Bild zerriss. Und da war nur noch die klare Dezembernacht mit ihren Tausenden von Sternen.

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Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Kleines Abbes Bein I / Ein Tag im Westen

Dienstag, 21. Juli 2015 8:24

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Ich hatte den Faden abgebissen, nachdem ich diesen fachgerecht verknotet hatte, ich desinfizierte ein letztes Mal die Wundränder, indem ich sie mit einer Paste aus zerkauter Karotte, Brennesselsud und zerbröseltem Knäckebrot einrieb und sah, die Operation war gelungen. Ich verstaute meine Utensilien und befand mich, als das kleine Schloß hörbar zuschnappte und der Arztkoffer verschlossen ward, wieder auf Ellis Island, an jenem freundlichen, Zukunft verheißenden Oktobertag vor wenigen Jahren, saß geduldig, doch mit wild pochendem Herzen, auf einer der langen und harten Holzbänke und wartete auf Einlaß ins gelobte Land. Neben mir, dösend und milde schnarchend, Prof. Dr. Dr. med Peter Curt Alfonsius von Kleckerburg, ehemals Direktor und leitender Arzt des Josefspitals – Fachklinik für Inneres und Äußeres – in Leipzig – Gosenstadt, heute in den Weiten des Westens und an den Lagerfeuern bekannt als der Große Präriephilosoph und Lehrer aller Willigen ‘Klecker Peter’. Ich hatte das dankbar angenommene Glück erleben dürfen an der Seite dieses großen und wachen Geistes und an Bord der ‘MS Teutonia Sachsenadler’ den Ozean queren zu dürfen. Der weise Mann hatte der alten Heimat einen kurzen Besuch abgestattet, um seine gütige Mutter zu beerdigen. Da nun die Schiffsreise über den atlantischen Ozean einige Tage andauert und mir der Sinn nicht danach stand diese langen Stunden mit Kartenspiel, billigem Fusel und dummen Geschwätz über Weiberleute und Pferderennen zu verplempern, nahm ich das Angebot des Professors – offensichtlich hatte ich schnell sein Vertrauen gewonnen gehabt, nachdem wir uns auf dem Oberdeck getroffen hatten, um den nächtlichen Sternenhimmel einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen – mich von ihm in die Grundkenntnisse der Notfallchirugie einführen zu lassen, dankend und freudigen Herzens an. „Junger Mann, sollten Sie den Westen bereisen wollen, was ich Ihnen gütigst empfehle, werden Kenntnisse dieser Art Ihnen nützlichste Dienste erweisen. Hinter den Ecken der Faszination und der Erkenntnisse lauern Wundränder und splitternde Knochen!“ Und so verfügte ich bei der Ankunft – zu bemerken sei noch, daß ich den Anblick der Freiheitsstatue leider verpasst habe, da ich noch in ein Kapitel über das Vernähen und Desinfizieren offener Wunden vertieft war – über Grundkenntnisse in allen Arten von Notoperationen, Wundversorgung und der Behandlung von Schlangenbissen, Grizzlyprankenschlägen und dergleichen Unannehmlichkeiten. Manitou sei Dank, wenn ich mich nicht irre, hihihi! Also saß ich neben ‘Klecker Peter’ und die Zeichen standen auf Abschied. Ein fester Händedruck, wie er unter Männern üblich, ein vertrauensvoll fester Blick in die Augen des Gegenüber und gute Wünsche besiegelten die Trennung. „Möge er Dir Dienste leisten. Die Götter der Alten und der Neuen Welt mögen ein freundliches Auge auf Deine tatkräftigen Pfoten werfen!“ Mit diesen Worten überreichte er mir seinen Arztkoffer. „Und ich wünsche, Du mögest in den Weiten des Westen Kleines Abbes Bein treffen, den designierten Häuptling der Kamschatka – Bear. Mein Herz sagt mir, ihr werdet Euch verstehen! Lebe wohl und höre nie auf zu lernen!“ Er ging an Land und an mir war es zu warten, bis man mich aufrief.

Während ein vor Aufregung zitterndes Greenhorn, welches noch nicht wußte, daß es bald den Ehrennamen Old Schmetterpfote durch die Weiten es Westens tragen würde, auf einer Holzbank auf Ellis Island auf Einlaß wartete, betrat der junge Krieger Kleines Abbes Bein, beladen mit sieben frisch gefangenen Lachsen, zwei erlegten und ausgeweideten Wapiti – Böcken, drei Bastkörben voller Blaubeeren und trunken vom Honig wilder Waldbienen, das Lager seines Stammes, welches sich versteckt am Ende einer tiefen Schlucht im Nordwesten von Mittelidaho befand. Seinen Rücken zierte eine lange, notdürftig verheilte Wunde, die ihm die Pranke eines eifersüchtigen Grizzly geschlagen hatte. Sieben Tage und sieben Nächte war Kleines Abbes Bein allein durch die umliegenden Wälder gestreift, um zu beweisen, daß er in der Lage war, seinen hungrigen Stamm zu ernähren, sieben einsame Tage und Nächte hatte er Ruhe und Kraft gesucht und gefunden, Ruhe und Kraft, die ihm helfen sollten die Große Zeremonie zu überstehen, die Übergabe des Geheimnisses vom Schatz der Kamschatka – Bear. Alles war bereitet, die heilige Zeremonie konnte beginnen, in der heutigen Nacht, wenn der Mond den höchsten Stand erreicht hatte, würde der Große Klecker Peter, dessen Ankunft man jeden Moment erwartete, ein Bein des jungen Bären abtrennen und ihn zum Geheimnisträger des Stammes machen. Das Lager des Stammes vibrierte vor freudiger Erwartung und doch lag ein zäher Mehltau von Schwermut über der Schlucht der Kamschatka – Bear. Sie wußten und sie konnten es riechen, der Ring zog sich eng und enger, die weißen Aufrechtgeher waren nicht mehr fern, riesige Hämmer trieben schon Nagel auf Nagel, Niet auf Niet in die eisernen Schwellen und bald würden Heerscharen von Acht – und Ahnungslosen die einsamen Prärien und Wälder fluten, ausgespuckt von den dampfenden, feuerspeienden Eisenrössern, hemmungslos verbreitend die Errungenschaften der sogenannten Zivilisation: Gier, Neid, Feuerwasser, Gelärme, Eigensucht, Götzendienst und Gottlosigkeit. Doch den zukünftigen Geheimnisträger trieb anderes um. Gewiß erfüllte Stolz darüber, daß der Fingerzeig der Götter ihn gestreift hatte, sein tapferes, junges Herz, doch fasste auch eine gänzlich unbärige Angst nach seinen Schultern. Er lud seine Beute ab und blickte hinauf zum Himmel. Es dämmerte und der Hüter der Nacht, der Heilige Mond, betrat den Rand des Firmaments. Kleines Abbes Bein schloß die Augen. Er bat um Beistand.

Ich erwachte vom festen Griff der Schmetterpfote, die mich auf die Beine zog. Ein wilder Schmerz durchschoß mich. Ich hatte wieder zwei Beine. Vorsichtig setzte ich das eine vor das andere. Ich bewegte mich. Wann? Jetzt? Damals? Wer hatte das abbe Bein wieder meinem restlichen Leibe angenäht? Klecker Peter? Old Schmetterpfote? Die Zeiten schoben sich übereinander wie tektonische Platten und in mir entluden sich wirre Beben. Ich schwankte. Mein Gefährte hielt mich fest. Ich ging. Langsam. Mein frisch operiertes Bein schrie bei jeder Bodenberührung auf und meine Nase kitzelte der Geruch einer Mischung von zerkauter Karotte, Brennesselsud und zerbröseltem Knäckebrot . Vom dämmernden Himmel grüßte die Sichel des sanften Mondes. Aus weiter Ferne drangen die Worte des Gefährten in mein Ohr.

„Mein Bruder, hört er mich?“

„Ist der Feind noch nahe? Wir haben keine Zeit zu verlieren!“

„Mein Häuptling, laß uns die nächsten Stunden von hier verschwinden und der Kraft Zeit geben zu Dir zurückzukehren.“

„Mein Bruder spricht weise. Bring mich in die Schlucht!“

Die Nacht senkt sich schnell herab. Ein Kauz schrie. Dann schwieg das Tal. Die Gefährten erreichten ihr Ziel. Der Mond hing wie eine Banane über ihren Köpfen.

(Fortsetzung folgt)

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