Beitrags-Archiv für die Kategory 'Robert Zimmermann'

NAHT AUF DEM HERZ UND FERNER ROCK

Freitag, 8. April 2011 6:13

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Denken kann auch schon mal traurig machen. An Fernes denken. Über Fernes denken. Schweifen wollen. Nicht näher kommen. Kreiseln. In, um und um das Problem herum. Und dann? Das Denken wird blau und hängt sich auf im Kreis. Und dann? Dann macht man sich ein Lied. Oder ein anderer macht sich darauf einen Reim. Und ein Lied. Und manchmal ist das Lied so traurig, daß es schon wieder heiter ist. Und falls ein Herz sich mal wieder in mehrere Teile aufteilen möchte, ein trauriges Lied kann einiges wieder zusammennähen. Wie ein abbes Bein wieder an einen traumatisierten Bär dran. Zum Beispiel. Wenn man ordentlich zuhört natürlich nur. Denkt sich der Bär. Immerhin ist Lenz und da kann man mal ein oder zwei Sekündchen sentimental werden? Einwände? Gut! Nicht nur Aufrechtgeher haben Wünsche. Auch Archibald Mahler im Alpinarium eines Botanischen Gartens zu Mittelhessen. Er weiß zwar nicht so genau, was genau und warum er sich etwas wünschen solle, denn die Sonne scheint, der Pöter ist warm und es riecht nach frischem Grün in mannigfacher Variation. Doch wenn Herr Robert Zimmermann dieses Lied in weiter, sehr weiter Ferne singt, dann ist dem Bären wohltuend traurig um den Bauch. Da fällt ihm ein, daß er auch sonst noch Hunger hat. Ganz viele verschiedene Hungers. Und möchte sich am liebsten ein Schiff, ein Pferd oder ein Motorrad kaufen und einfach losfliegen. Woher der Bär weiß, daß Herr Zimmermann das erste Mal in dieser fernen, fernen Stadt, wo immer der legendäre Sack Reis umfällt, singt? Weil er es weiß. Also hört er das Lied. Das traurige, das blaue Lied. „Ich mag ihn, den Herrn Zimmermann.“ Denkt sich der Bär. Und dann fällt dem Bären dies ein:

Da hinten. Ein Lied.

Ganz weit dort hinten. Ein Lied.

Ich höre das Lied.


Thema: Draußen vor der Tür, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Zu Dornbirn besucht Archibald den Herrn Zimmermann und ist beeindruckt

Montag, 21. Juni 2010 15:44

dylan1Da war er schon stolz. In Begleitung dreier ehrenwerter Gesellschafter der alten Markgrafenbande aus der kleinen reichen eingebildeten Stadt ins benachbarte Vorarlberg zu reisen, um Herrn Robert Zimmermann zu erleben. Die Haare der Reisegruppe ergraut und das Auto – wie die Abdomen – etwas dicker geworden als anno dunnemals Mitte bis Ende der Siebziger. Die Stimmung jedoch die gleiche. Frühes Bier, indische Heilkräuter und dezent alberne und euphorische Vorfreude auf den Meister. Archibald fühlte sich ausgesprochen wohl. Man hatte ihn sehr freundlich begrüßt. Alle dummen und gescheiten Sprüche der Troika verstand er nicht, aber er spürte durchaus, wenn Aufrechtgeher guter Laune sind und es ehrlich miteinander meinen. Und die Lieder, die aus den Lautsprecher knarzten, sie waren ihm vertraut. „My woman got a face like a teddy bear / She’s tossin’ a baseball bat in the air / The meat is so tough you can’t cut it with a sword / I’m crashin’ my car, trunk first into the boards.” Keine Sorge: keine Unfälle. Die Betonpiste des Nachbarlandes, das soeben die Spanier besiegt hatte, wurde vignettenfrei befahren. No risk, no fun! Dornbirn erreicht. Unverschämte acht Grad plus vor Ort, Dauerregen und die umliegenden Berge im feuchtkalten Nebel. Na und? Nichts trübt die Laune auf dieser kleinen Zeitreise.

dylan2Eine Reise zurück in eine Zeit, welche beim Betreten der Halle fröhliche Urständ feiert. Kaum Einlaßkontrollen, Fotoapparate erlaubt, nur kein Blitzlicht bitte, die Bühne an der Längsseite der sehr überschaubaren Halle, größtmögliche Zuschauernähe, keine feste Bestuhlung, man kann sitzen oder stehen und bezahlt doch einen Preis. Einige “VIP’s” blicken mit häppchenverklebten Fingern von einem Balkon aus schräg runter auf die Bühne: Peching! Bierstände im Innenraum, viele Bierstände, keine Schlangen davor und drei Taler zwanzig für ein großes, gut gezapftes Getränk, unter den Rauchverbotschildern blitzten die ersten Feuerzeuge auf und bald ziehen süßliche Rauchschwaden durch die Halle. „Once upon the time!“ Lob, Gruß und Dank an die Veranstalter. Vorfreude wurde hier nicht durch kranken Kontrollwahn bombardiert. Pünktlich wie immer: “Columbia recording artist  B.D.” Und Archibald ist fasziniert. Ein kleiner dünner Bär, ein kleiner dünner, sehr gutgelaunter Tanzbär springt auf die Bühne. Neunmal steht er hinter seinem elektrischen Pianoforte, dreimal schultert er die Gitarre und viermal – und das ist der Moment, in dem Archibald sich in ihn verliebt – steht er im Zentrum der Bühne, nur das Mikrophon in der einen, eine Mundharmonika in der anderen Hand. Alle Kraft und alle Konzentration legt er in seine Stimme. Er knarzt, gurgelt, wütet. Er zerpflückt, zerlegt, streichelt die Worte. Fügt zusammen den Sinn. Alle Lieder, die Archibald schon öfters in Ernst Alberts Höhle gehört hat, sie beginnen zu wachsen, zu fliegen, zu glitzern und  zu tanzen. Sie tanzen über den Köpfen der begeisterten Menge, sie tanzen wie dieser mit der Mundharmonika ins Publikum winkende Mann in seinem hellgrauen Südstaatenanzug mit den obligatorischen Seitenstreifen an der Hose. Und hast Du nicht gesehen: er grinst, er lächelt! Flirtet er mit dem Publikum, welches seine Lieder auf Händen durch den Abend trägt? Vor ihm kniet gelegentlich der leitende Gitarrist und feuert den Tänzer an, treibt dessen Stimme an, zieht sich zurück, um die Stimme wieder in Empfang zu nehmen. Call und Recall auf höchster Ebene. Der Mann in Schwarz mit der wummernden Gitarre fördert und fordert den  Sing-  und Tanzbär! Und beim letzten Lied – Das spiele der Meister fast nie am Ende, ließ Ernst Albert, der alte Fachmann, verlautbaren! – da hatte Archibald feuchte Augen, falls ein Bär überhaupt weinen kann und nicht doch die indischen Heilkräuter die Bindehaut gereizt hatten. „May God bless and keep you always / May your wishes all come true / May you always do for others / And let others do for you.”

dylan3Auf der Rückfahrt wurde wenig gesprochen. Es war, da herrschte Einigkeit, eines der richtig guten und beseelten Konzerte des Meisters. Man war beglückt, bekifft, trunken. Nur der wackere Chauffeur nicht! (Danke an Arno für das Anhalten im rechten Moment!) Ein schöner Ausflug in Zukunft und Vergangenheit. Never ending tour! Zu Hause ein Absacker, noch mal singt der Meister, Archibald schlummerte ein und Ernst Albert notierte die Eindrücke des nun gestrigen Abends. Ihm war aufgefallen – Man notiere: Dylan zu interpretieren liegt ihm mehr als fremd: dennoch! – daß der Meister in die Mitte des Abends einen fast politischen Schwerpunkt gesetzt hatte. Ein wütender, teils zynischer, dann wieder gelassener Kommentar zu Finanzen, Banken, Ölpest und der ständig weiter wachsenden Schere zwischen Reich und Arm. Ein von Herrons Banjo voran getriebenes, entspannt stampfendes „High Water“. Hier kommt die Flut. Es folgt „Desolation Row“, unterlegt von einem Riff, das sich permanent im Kreise dreht, Rummelplatzmusik. Nichts ändert sich, Schemen und irreale Gestalten bevölkern den heruntergekommenen Planeten. Und dann – einer der absoluten Höhepunkte aller bisherigen zehn Konzertbesuche des Herrn Ernst Albert – Dylan ohne Instrument, alleine am Mikrophon und ein wütend ausgespucktes „Ballad of Hollis Brown.“ Sie nehmen den Armen nicht nur ihr letztes Hemd, sondern auch ihre Würde. Und wenn ihr Spaß dran habt, ihr vollgefressenen verwöhnten Lümmel, bringt ihr eine Hungerleiderin einfach um, kommt ungeschoren davon. „The Lonesome Death of Hattie Carroll”.  Jedes einzelne Wort spuckt er fast verächtlich aus. Nehmt die Lumpen aus Eueren Gesichtern! Eure Krokodilstränen interessieren die Verhungernden und Entwürdigten nicht. Schlußpunkt dieser kleinen Serie ein lautes und von dem großartigen Charlie Sexton wütend in die Saiten geknalltes „Honest With Me.“ Der Sänger kann seine tiefe Enttäuschung kaum verhehlen und er kämpft mit sich um ein Stück letzte Hoffnung. „Well, my parents they warned me not to waste my years / And I still got their advice oozing out of my ears / You don’t understand it, my feelings for you / Well, you’d be honest with me if only you knew.“ Später der sentimentale – und das darf sein – Abgesang:  “Workingman’s Blues # 2”. Die Gesellschaft ist eine andere geworden. Und als das alles kaum mehr zu toppen ist, mutiert er zu einer Art zynischen Frank Sinatra, stellt sich mit seiner Harp in die Mitte der Bühne und croont ein „Ballad Of A Thin Man“, daß sich draußen die Nebelwolken lichten und der Hausberg der Lokalen, der Karren, sichtbar wird. Und das war wirklich so. Ernst Albert hat es gesehen! Ein faszinierender Abend. Archibald erwachte aus seinem Schlummer. „Ernst Albert?“ „Ja?“ „Wann fahren wir wieder heim?“ „Weshalb?“ „Weil hier nur eine Zimmermannplatte ist. Ich muß mehr Zimmermannlieder hören!“ „Bald fahren wir wieder heim! Bald! Schlaf gut und: May your heart always be joyful / May your song always be sung / May you stay forever young / Forever young, forever young / May you stay forever young!” Danke Dornbirn! Danke Meister!

Thema: Im Heckerland, Robert Zimmermann | Kommentare (6) | Autor: Christian Lugerth

Die Geschichte vom Bären und dem Hasen und wie dann der Meister rief

Samstag, 19. Juni 2010 11:19

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Rast am Waldesrand. Die Begegnung hatte Archibald tief beeindruckt. Sein Herz pochte. Es roch nach Redebedarf.

„Ernst Albert?“

„Ja?“

„Die Bären haben mir eine Geschichte erzählt!“

„So?“

„Soll ich sie mal erzählen?“

„Nur zu, Genosse!“

„Also: im Wald. Der Hirsch kommt zum Bären und fragt ihn, ob das stimmen würde, daß er, der Hirsch, auf seiner, des Bären Todesliste stünde. Der Bär bestätigte das. Der Hirsch rennt von dannen und ward nicht mehr gesehen. Aus dem Unterholz bricht ein Wildschwein. Es will wissen, ob es auf des Bären Todesliste stünde. Daß dem so sei, erwidert der Bär. Das Wildschwein ergreift die Flucht. Weg war es! Ein Lachs schaut aus dem Fluß. Ob sein Name wohl auch auf der legendären Todesliste verzeichnet wäre? Nicht nur seiner, bekommt er zu hören, auch die gesamte Verwandtschaft des Lachses sei fein säuberlich notiert. Da hoppelt der Hase vorbei. ‚Hömma Bär, is dat korrekt, dat ich auf Deine Todesliste stehen tu?’ ‚Das ist so richtig!’ ‚Kann ich mal wat fragen?’ ‚Schieß los!’ „Wäre dat eine größere Aktion, wennse mich von Deine Liste einfach streichen tust?’ ‚Das dürfte überhaupt kein Problem sein.’ Gesagt, getan. Tolle Geschichte, gelle!“

„Lustig! Und was lernt man daraus? Daß Hasen schlau sind?“

„Nein! Man muß nur sagen, was einen auf den Nägeln brennt. Reden hilft manchmal.“

„Schlaubär! Laß uns weiterziehen! Der Meister hat gerufen!“

„Wer?“

“Robert Zimmermann.”

“Nein?”

“Doch!”

“Darf ich mit?”

“Du musst!”

“Yippie!”

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Warum heute ein guter Tag ist oder R.Z. wird 69

Montag, 24. Mai 2010 0:44

dylan

Archibald erinnert sich. Er lag auf der Strasse. Er war zwei Teile. Ernst Albert hob ihn auf, trug ihn fort, setzte ihn neben sein Bett. Das abbe Bein lag ihn Nähe des Rumpfes. Eine Ahnung von Gesundung am Horizont. Zweifel jedoch auch, denn gerettet zwar, aber nicht gesundet. Das erste, was er vernahm in der neuen Heimstatt war die Stimme. Die Stimme, die man nicht vergißt. Die Stimme, die fröhliche Runden spaltet. Die Stimme, die vereinnahmt wird, zerlegt, belastet, aufgeblasen mit Bedeutung. Das weiß der Bär nicht. Er hört und sonst nichts. Was er hört? Er hört einen aufrechten Aufrechtgeher, der singt, dichtet, Mundharmonika bläst, die Gitarren schlägt. Mehr nicht. Nicht weniger. Vierhundert Lieder. Fast alle hat Archibald schon vernommen. Hat Herr Ernst Albert denn keine anderen Platten? Gewiß. Und? Dann wieder die Stimme. Vierhundert Lieder, die vierhundert Geschichten erzählen und letztlich nur die Eine. Leben. Einatmen. Ausatmen. Gott. Fertig. Der Sänger. Er nennt sich anders, als er heißt. Er ist nicht da. Er ist woanders. Er ist da, wenn man ihn braucht. Er ist verschwunden, wenn man ihn ans Kreuz nageln will. Er ist viele. Er ist keiner. Er ist normal. Er ist kein Genie. Er tröstet. Archibald hat sich an ihn gewöhnt. An die Stimme, die über seinen Pelz rumpelt und knarrt und näselt. Gewöhnt? Mehr. Viel mehr. Die Stimme redet und redet, aber sie quatscht nicht. Die Stimme kann man lesen. Die Stimme muß man lesen. Kaum einer tut das. Andere machen daraus die Bibel. Sollen sie. Archibald riecht gerne die Strassen und die Kaschemmen und die Frauen und die Friedhöfe und die Lügen und die Rügen und die Versprechen und die Versprecher und die leeren Tanks und die vollen Herzen und die zerbrochenen Spiegel und die geflickten Träume, die aus den Gesängen in seine Höhle tröpfeln. Die Welt hörend schauen. Archibald mag es, wenn Ernst Albert seinem Meisterlein huldigt und dessen Lieder auf seinen Gitarren schrammelt und keine Rücksicht nimmt auf Formen, Farben, Vereinbartes und Noten. Der Meister selbst nimmt keine Rücksicht auf sein eigenes Werk. So ehrt er es und hält es am Leben. Man beschwert sich darüber. Es sind seine Lieder. Archibald hat die Vermutung, daß die Stimme begeistert Welt schaut. Die Welt verursacht der Stimme Schmerzen. Davon ist zu berichten. Von der Freude auch. Die Stimme stiehlt. Und verkauft. Was ich sehe und höre, ist mein. Nimm es. Es gehört Dir. Manchmal bin ich der Weihnachtsmann. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht singen. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht Gitarre spielen. Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, sagen: er kann nicht Mundharmonika spielen. Selbstverständlich haben sie recht. Sie können es ja. Besser! Freeze? Die Aufrechtgeher, die Bescheid wissen, kennen seine Texte nicht, aber zwei seiner Lieder. In den Wind geblasen. Rollende Steine. Aber bitte wenn, dann die eine Fassung. Welche? Müßig diese Diskussionen. Archibald verbindet die Stimme immer mit: das Bein ist wieder dran. Aber ab war es auch. Und das ist gut so! Herzlichen Glückwunsch, lieber Robert Zimmermann. Und vielen Dank! Für alles! Sagt Ernst Albert. Archibald schließt sich an.

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Es ist ein Krug zerbrochen und wie Archibald zum Feierbiest wird

Dienstag, 4. Mai 2010 10:37

krug1Der Musentempel war ein altes und wuchtiges Haus im Herzen der Stadt. Oben saßen die Aufrechtgeher, welche die alte Stadt regierten und unten in einem kirchenähnlichen Kellergewölbe waren die Bretter aneinander genagelt, auf denen die zweibeinigen Gaukler ihrer Arbeit nachgingen. Die zwei Gefährten betraten einen klitzekleinen Raum. Zwei Spiegel, zwei Stühle, zwei Tische. Einige fremdartige Kleidungstücke hingen an der Wand. „Hier findet die Verwandlung statt. Warte! Bis gleich.“ Und weg war Ernst Albert. Archibald blickte das erste Mal in seinem Leben in einen Spiegel. Seltsam sich selbst zu sehen. Ein kleine Aufrechtgeherin betrat den Raum der angekündigten Verwandlung, erblickte den Bären, stieß ein spitzen Schrei der Freude aus und der Bär hatte für den Rest des Abends eine neue Patentante. Und er sah die Verwandlung. Vor seinen Augen wurde aus der Frau ein Mann, ein kleiner Mann in einem verbeulten Anzug, der einige Jahre auf den Schulterpolstern hatte, ein Bart wurde über die Lippe geklebt und alle weibliche Zierat von Aug und Wange entfernt. Der Keller füllte sich. Nach und nach trudelten die Mimen ein. Verwandlungen noch und nöcher. Alte Kleider, Hüte, bemalte Wangen, Fett in den Haaren und ein Zweibeiner ohne Haare auf dem Schädel klebte sich eine riesige blutige Beule auf denselben. Er sah aus, als hätte ein Grizzly versucht ihm die letzten drei Haare aus der Stirn zu streichen. Und Ernst Albert trug ein edles Tuch am Laib, wie es sein Hausbär selten an ihm gesehen hatte. Ein gestrenger Herr war er geworden. Unaufhörlich wurde geredet. Unverständliches, Silben, Rufe, fremde Worte, seltsame Witze, die Archibald nicht verstand. Hibbeligkeit, ein bißchen Hysterie und freudige Erwartung erfüllten die Gänge hinter den Brettern. Archibald wußte nicht recht, ob er als eher ruhebedürftiger Solitär ein solches Gebrumme und Gesumme jeden Tag aushalten würde. Draußen wurde geklingelt, einmal, zweimal, dreimal. Gespannte Ruhe. Es ging los.

krug2Und davon wurde erzählt: Ein Krug ward zerbrochen. Wer hatte ihn zerbrochen? Eine wütende Frau klagt an. Nicht nur der Krug sei zerbrochen, sondern auch die Ehre ihres bis zum gestrigen Tage reinen Töchterlein. Ein Rüpel ward in deren Kammer entdeckt, tobend und krugzertrümmernd. Der mit der Bärenbeule auf dem Schädel ist ein Richter und soll die Sach entscheiden, die Frau mit dem Bart schreibt auf, was alles gesprochen und Ernst Albert, als strenger Herr von auswärts, schaut zu und lenkt das Geschehen. Es wird gestritten und gehadert und gelogen, daß sich die Balken biegen. Archibald sitzt nicht unter den zuschauenden Aufrechtgehern. Aber hinter den Brettern, auf dem Tisch, vor dem Spiegel hört er mit. Ein kleiner Lautsprecher hängt über seinem Haupt. Er hörte eine Sprache, wie er sie noch nie gehört hatte. „Wenn Ihr die Instruktion, Herr Richter Adam / nicht des Prozesses einzuleiten wißt.“ „Da muß submiss ich um Verzeihung bitten!“ „Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten / Mit Hellebarden dicht gedrängt und Spießen.“ „Und schicke freudig Euch, von wo die Ohren / Mir Kundschaft brachten, meine Augen nach.“ „Geh, Mutter, mag es werden, wie es will!“ „Schweig Du mir dort, rat ich, das Donnerwetter / Schlägt über Dich ein, unberufene Schwätzerin.“ „Sehr sonderbar, bei Gott.“ Archibald verstand anfangs kein Wort. Doch er gab sich den fremden Versen, dem ständigen Voranschreiten der altehrwürdigen Worte hin und so entpackte sich der Kern der Geschichte langsam vor seinem inneren Auge. Der Richter selbst war der Ganove, die Maid mißbrauchend, überrascht vom Rüpel, den Krug zertrümmernd und auf der Flucht seinen Klumpfuß unübersehbar in den Februarschnee drückend. Das bezeugte am Ende eine verrückte Frau mit fettigen Haaren und fast entblößtem Hinterteil. Das Spiel endete. Ratlos. Jede der Figuren auf den Brettern hatte gelogen, sein klein bißchen Welt verteidigt und sie gleichzeitig verloren. „Das ist ja richtig harte Arbeit, was Ernst Albert und die anderen da abliefern.“, dachte Archibald. Die Zuschauenden klatschten, lange und rhythmisch.

krug3Und dann wurde gefeiert. Und Archibald durfte dabei sein. Ernst Albert hatte ihn seinen Mitstreitern vorgestellt und ihm wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Und das bekam Archibald mit: Es war offensichtlich das letzte Mal gewesen, daß man die Geschichte vom zerbrochenen Krug erzählt hatte. Und so ist es  alter Brauch während der letzten Erzählung Schabernack zu treiben und seine Mitspieler mit kleinen, mehr oder weniger gemeinen Überraschungen zu irritieren und zum Lachen zu bringen. Dies war wohl zu aller Zufriedenheit geschehen – zum Beispiel mit dem fast entblößten Hinterteil – und die Stimmung war prächtig. Unzählige Tabakstäbe wurden verbrannt, entspannende Getränke wurden gereicht und flugs verzehrt. Geschichten und Anekdötchen flogen umher. Damals, ach, damals, wie schön. Die Köpfe wurden geschüttelt, man begann zu tanzen. Die Mimen mochten einander und feierten das Auseinadergehen, wenn auch mit etwas Wehmut. Archibald schwirrte der Kopf. Die Konturen verschwammen in Rauch und Gelächter. Doch das gefiel ihm. Heute nacht war er ein Feierbiest. Als der Abend voran geschritten war, hörte Archibald Altvertrautes. Robert Zimmermann sang und Ernst Albert dozierte dazu. Wie zu Hause in der guten alten Höhle. Ja, es war höchste Zeit heimzukehren. Eva Pelagia und der geheime Fieberthermometerhalter warteten. Mach es gut, Heckerland!

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Der zweifellos psychedelische Mister Archibald

Mittwoch, 28. April 2010 1:52

Bären haben eine feine Nase. Bären haben eine sehr feine Nase. Und wenn Herr Lenz mit Verspätung alles auf einmal blühen und explodieren läßt, kann dies bei sensiblen Solitären durchaus zu einer gewissen Verwirrung führen. Am Wegesrand gab es für Archibald einiges zu riechen. Und wo man riecht, da hört man schöne Lieder.

rausch1Erst mal dieses: „Stell Dir vor Du sitzt in einem Boot, welches einen Fluß hinabtreibt, rechts und links Mandarinenbäume, der Himmel marmeladenfarben. Dann ruft jemand nach Dir und Du antwortest recht leise. Es war das Mädchen, aus dessen Augen Spektralfarben schossen. Luzie schwebt im Diamantenhimmel. Plastikblumen, gelb oder grün, türmen sich über Deinem Haupt, schau Du noch mal nach dem Mädchen mit der Sonne auf der Iris, aber leider ist sie verreist. Luzie schwebt im Diamantenhimmel. Geh ihr hinterher bis zur Brücke, welche den Teich überspannt. Dort sitzen Alte Zweibeiner in Schaukelstühlen, essen Marshmallows und grinsen vor sich hin, weil Du zwischen den Blumen umherwandelst, die bis zur Decke wachsen. Luzie schwebt im Diamantenhimmel.“

rausch2Dann jenes: „Ich bin er, so wie Du er bist, und Du bist ich, und wir sind es alle zusammen. Schau, wie sie rennen wie Schweine, auf die man mit Gewehren zielt, schau, wie sie fliegen, und ich muß heulen. Ich sitze auf einer Frühstückscerealie und warte auf den Bus. Ein Hemd mit Botschaft trage ich, wieder Tote in Afghanistan. Kerl, Du bist ein Drecksack und Dein Kinn hängt Dir bis zum Knie. Ich bin der Eiermann, alle sind Eiermänner, aber ich bin das Walroß. Goo Goo Goo Ju, her mit dem Job. Lieber Herr Polizeichef, kleines süßes Ordnungshüterchen, der Du hinten in der Reihe stehst. Schau mal, wie alle in der Gegend rumfliegen, genau wie Luzie im diamantenen Himmel, schau, wie sie rumrudern. Ist das nicht zum Heulen? Gelber Pudding tropft aus dem Auge eines toten Hundes!“

rausch3Aber dies ist auch nicht schlecht: „Ich denke, keiner sitzt in meinem Baum. Obwohl ich denke, oben oder unten, man muß sich entscheiden. Weißt Du, auch wenn Du das nicht verstehst, mach mit, paßt schon, und schlechter kann es nicht werden. Ich nehme Dich mit, weil ich auf dem Weg bin, in Richtung Erdbeerfelder. Nichts erscheint mir wirklich und nichts, an dem ich mich festhalten kann. Trotzdem: Erdbeerfelder für immer und nie mehr in der Zweiten Liga! Leben mit geschlossenen Augen ist einfach, Du siehst nur Mißverständnisse. Jemanden darzustellen ist hart, aber es funktioniert. Aber mir ist das eigentlich auch egal. Komm mit aufs Erdbeerfeld.“

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Archibald bricht auf

Freitag, 9. April 2010 14:47

kerouacEinst als Indien noch Teil des British Empire war und die Aufrechtgeher keine Lust mehr verspürten, auf dem Rücken von Pferden, Eseln und Kamelen durch die Wüste oder das wilde Kurdistan zu reiten und also das Automobil erfanden, wurde dort im fernen Kalkutta ein Sadhu – so nennt man die Heiligen Männer des Landes – von einem britischen Governor zu einer kleinen Testfahrt in einem neu erworbenen Benzingefährt eingeladen. Der Heilige Mann nahm Platz, bat jedoch nach etwa zwei Kilometern Fahrt den Chauffeur die Knatterkiste zu stoppen, stieg aus, setzte sich an den Straßenrand und begann zu meditieren. Als man ihn dann fragte, warum er dies tue, antwortete er: „Mein lieber Freund, ich warte auf meine Seele. Sie ist nicht so schnell wie Euer Gefährt. Sie kommt nach.“

So ähnlich fühlte sich nun Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Er sollte verreisen, unter seinem Bärenhintern würden sich zum ersten Male Eisenstangen und daran befestigte Scheiben in Bewegung setzen. Gewiß, er hatte die Geschichte seiner Vorfahren noch nicht in Gänze studiert, aber eines wußte er: Bären auf Rädern gibt es nicht und zum Fischen und Beerensammeln ging man schon immer zu Fuß. Das hält schlank und beweglich an Kopf und Bein. Wurde ihm also schon wieder Gewalt angetan, wie einst im Monat März? Nein, denn das muß man Ernst Albert diesmal lassen, er hatte – auch nachdem Eva Pelagia ihr Einverständnis signalisiert hatte – den Bären in aller Form gefragt, ob er Interesse an einem mehrwöchigen Ausflug in den Süden und in seine, Ernst Alberts, alte Heimat habe. Und da Bären zwar faul, aber auch extrem neugierig sind und Ernst Albert gemurmelt hatte, es gäbe da draußen durchaus Orte, die etwas sehenswerter seien als die kleine häßliche Stadt und man fahre ja schließlich nicht nach Friesland, hatte der Bär gebrummt, zustimmend.  Seine Aufregung jedoch konnte er nicht verbergen, keine Spur der so gerne von den Zweibeinern kolportierten Bärenruhe. So reichte Ernst Albert dem Bärenviech ein altes, vergilbtes und mehrfach geflicktes Buch, zur Beruhigung und Anregung.

Das Buch roch nach Strassen, Schienen, Meilen, Getränken und Musik. Archibald steckte seine Nase in die Buchstabensuppe und es begann: „Ich hatte gerade eine schwere Krankheit überstanden, die ich nicht weiter erwähnen will, höchstens daß sie etwas mit einer scheußlich deprimierenden Trennung zu tun hatte und mit meinem Gefühl, alles sei tot. Mit dem Auftauchen von Dean Moriarty begann der Teil meines Lebens, den man mein Leben auf den Straßen nennen könnte. Ich hatte vorher schon oft davon geträumt…“ Die Blätter des zerlesenen und bekritzelten Buches raschelten und rauschten an Archibalds Nase vorbei und ein Zug verließ die kleine häßliche Stadt. Ciao! Zahnbürste nicht vergessen! Ciao! Ciao!

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“That’s the way God planned it!”

Mittwoch, 7. April 2010 5:54

sonne4Und jemand ward faul im Staate Dänemark. Da war die Sonne gekommen, wie Herr George Harrison es besungen hatte, und das fand Archibald, der Bär vom Brandplatz, war in Ordnung, sehr sogar. So wandte er einfach all den klugen Worten und Tiraden den Rücken zu und beließ es bei transzendenter Untätigkeit. Sein Pelz saugte die Wärme auf wie die Wüste einen Regenguß, entrückt rieb der Bär seinen Rücken am Fensterrahmen und mit den Worten des Prinzen Hamlet von Dänemark flüsterte er: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.” Also laß fahren all die Müh! Sic!
Und was sah das Auge des Bären? Auf einen Mäuerchen unten vor dem Fenster saß eine junge Maid. Sie schien auf jemand zu warten, denn obwohl sie ihr Gesicht in die Sonne streckte, sah dieses recht verdrießlich aus. Um die Ecke bog in Eile ein junger Galan und sprach: „Ich dachte, wir treffen uns am Brandplatz.“ Die Maid stand auf und recht verächtlich kam es aus ihrem Munde: „Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn Du denkst Du denkst, denkst Du, daß Du denkst, doch denken tust Du nie!“ Und weg war sie und das Gesicht des jungen Mannes unbeschreiblich dämlich. Sic, die Zweite!
Zudem hatte Archibald gar nicht die Ruhe, um gehaltvoll zu denken. Er wollte tanzen. Er mußte tanzen. Nicht so wie seine Ahnen, die von den Aufrechtgehern einst an Nasenringen über Marktplätze und durch Zirkusarenen gezogen wurden und als Tanzbären ein recht klägliches Bild abgegeben hatten, nein dies nicht. Eines der Lieder, die Ernst Albert gestern beim Kofferpacken mehrmals gehört hatte, ließ den Bären nicht mehr los. Ein wuchtiges, jubilierendes und zum Schluß gar ekstatisches Lied. Und Archibald erhob sich und sein Bärenlaib begann sich zu den Klängen des Liedes, das in seinem Inneren spielte, hin und her zu wiegen. Ganz langsam, aber irgendwann gewaltig.

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Die Rückkehr der Herren Lenz und Zimmermann

Dienstag, 6. April 2010 8:14

sonne3Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz und seine Gedanken setzten sich zusammen und faßten folgenden Entschluß: Anläßlich der Rückkehr des Herrn Lenz feiern wir – im übrigen vorwurfsfrei – einen Tag der Mittelhessischen Untätigkeit. So leget denn nieder Hammer, Sichel, Maus und Car und summet und singet mit uns: „Here comes the sun / here comes the sun / and I say it’s all right / Little darling, it’s been a long cold lonely winter / Little darling, it feels like years since it’s been here / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / Little darling, the smiles returning to the faces / Little darling, it seems like years since it’s been here / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Sun, sun, sun, here it comes / Little darling, I feel that ice is slowly melting / Little darling, it seems like years since it’s been clear / Here comes the sun, here comes the sun / and I say it’s all right / It’s all right!”

Im Hintergrund beging Ernst Albert seinen monatlichen Concert-for-Bangla Desh-Tag und zog den Koffer aus dem Schrank. Archibald versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er summte vor sich hin. Und so ging es weiter. Damals, als Herr Zimmermann zurückkam.

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Sekundärer Krankheitsgewinn, ein geheimer Fieberthermometerhalter und Tom Waits

Mittwoch, 24. März 2010 6:12

krank„I never saw my hometown / until i stayed away too long!“ Das hatte Tom Waits einst gesungen. Lang ist’s her! Und obwohl Bären nicht zum permanenten „Hätte! Wäre! Wenn!“ der Aufrechtgeher neigen, es war mehr als Erleichterung, was Archibald spürte, als das Scheppern des Tores zur Hofeinfahrt ihn weckte. Die Rückkehr des Hausherrn! Warum aber Ernst Albert sich geschlagene 93 Sekunden vor Lachen schütteln mußte, bevor er den Bären unter seinem papiernen Kolder  hervorholte, bleibt ein Geheimnis der düsteren Psyche der Zweibeiner. Bären lachen Opfer per se niemals aus. Es kann zwar sein, daß diese, falls lecker, verzehrt werden, aber auslachen? Niemals! Doch Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, war froh über die Rückkehr der Lachwurz E. A. und so verzichtete er darauf heute den Moralbären rauszukehren. Man ist ja nicht der Papst. Archibald zitterte. „Nein, Herr Lenz, beruhigen Sie sich! Kein Vorwurf! Nur die falsche Kleidung und der falsche Zeitpunkt! Nur die Nächte! Ich weiß!“ Der Bär seufzte. So war auch das geklärt.
Oh Krankheit, wenn nicht all zu heftig, Du schönste Zeit im Leben eines Mannes – Verzeihung! – Bären. Ein kleiner Seufzer: Eva Pelagia eilt herbei mit einer Tasse Honig, die befeuchtet ist mit etwas Kräutertee. Ein großer Seufzer: der geheime Fieberthermometerhalter (im Bild unten links in Teilen zu erkennen) eilt herbei und erzählt einen schmutzigen Witz. Ein Riesenseufzer: Ernst Albert eilt herbei und man darf im Bilderapparat Kugeltreten schauen. Heute abend: Die Blauen gegen die Blöden. Archibald lag im Bett der Hausherren. Leise sang er das Hohelied des sekundären Krankheitsgewinns vor sich hin. Er schloß die Augen und gab den konzentriert Leidenden. Ganz bedächtig räumte er seinen Gedankenschrank einmal komplett aus und dann wieder komplett ein und hatte im selbem Moment schon wieder vergessen, was er da gerade getan hatte. Oh Vanitas, wie erfrischst Du doch die Bärenseele! Archibald, der schwächelnde Bär legte ein Schweigegelöbnis ab. Die Fastenzeit fordert eine Geste! Wenn wer was wissen möchte: „I tell you all my secrets / but i lie about my past / so send me off to bed for evermore.”
Im Nebenzimmer beging Ernst Albert seinen monatlichen Tom Waits – Tag und packte seine Reisetasche. Das Klavier ist erkältet. Nicht ich.

Thema: Küchenschypsologie, Robert Zimmermann, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth