Beitrags-Archiv für die Kategory 'Zweitausendzwölf'

Post aus Kibris / Ein Morgen in Tatlisu

Donnerstag, 29. März 2012 23:21

turk_01

- Posta restante für den Bären, falls er dann erwacht -

Merhaba Mahler!

Es war finster, als ich ankam. Sehr finster. Man konnte etwas riechen, jedoch eher ahnend. Vorne im Wagen hatte man die ganze Fahrt über gesprochen. Türkisch. Englisch. Deutsch. Babylonische Brocken. Ich schwieg und blickte aus dem Fenster. Schatten. Bäume? Wir fuhren bergauf. Ich war müde vom Fliegen und eine neue Zeitzone gab mir den Rest. Ein einfaches Zimmer, das Dach hatte den Winter über gehalten, man war erleichtert. Schlaf, aufgeregt noch, aber dem Tode nah und tief. Dann wachte ich auf, stieg auf das Dach und blickte und sah, was ich sah und dachte, wie gut es ist, im Finsteren anzukommen und dann zu sehen. Man stelle sich vor, man trifft auf etwas im gleißenden Lichte und dann wird es finster. Nur so ein Gedanke. Jetzt stehe ich hier und schaue hinab und versuche das Atmen nicht zu vergessen. Bis morgen grüßt Sie mit einem herzlichen “Esenkal”

Ihr hocherfreuter Lippstadt – Budnikowski

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Frühling findet woanders statt, der Bär nickt ein

Samstag, 17. März 2012 11:07

2012_011

(Und folgendes sprach der Hase, als er aufgeregt auf dem Waldboden herumtrippelte, wie einst Muhammad Ali durch den Boxring.)

„Dort wo sich die Kontinente treffen, dort am Goldenen Horn und übers Meer auf die Insel der Aphrodite, Herr Mahler, ich bin ja so aufgeregt, dort unten, wo der Frühling schon die Olivenbäume streichelt und der Gebetsausrufer von Türmen plärrt, dort unten wird mein Fuß gar bald, wo er noch nie gewesen, bin ich aufgeregt, ich lasse Sie ungern alleine, aber es läßt sich nicht verhindern, was sagen Sie, sagen sie doch was! Ach was! Ich muß. Bis in so etwa zwei Wochen. Konstantinopel, ich komme!“

(Und weg war er. Dem Bären ist es recht. Ganz so wach ist er tatsächlich noch nicht. Da kommt ihm die Höhle in diesem Baumstamm ganz recht. Morgen wird es regnen und kühl sein. Da kann man gerne noch ein Ründchen nachschlafen. Pssst!)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Die alte Zwiebel hat keine Schatzkarte

Mittwoch, 14. März 2012 11:07

2012_010

(Zartes Grün im Schutze einer kleinen Fichte. Gewiß ist nichts. Man arbeitet an der Erinnerung.)

„Und Sie sind sich sicher?“

„Nein!“

„Aber, Herr Mahler.“

„Sicher, Sie haben recht. Aber sicher bin ich mir leider nicht!“

„Darf ich Sie zitieren?“

„Wenn Sie die Notwendigkeit verspüren!“

„Was tun?“

„Tja!“

„Aber aus denen hier, da kann schon noch was werden!“

„Gewiß, nur was. Ich habe etliche Gedankenzwiebeln im Boden versenkt, bevor ich mich niederlegte. Aber ich habe keinen Plan gemacht.“

„Auch keine Schatzkarte? Oder so ähnlich?“

„Manchmal bereue ich es. Verschwendung, ach, Verschwendung.“

„Der kommt schon wieder.“

„Wer?“

„Der Gedanke, Herr Mahler!“

„Ach so. Ja. Natürlich.“

„Gewiß!“

„Ich bin schrecklich müde!“

„Trifft sich gut!“

„Wie?“

„Übermorgen!“

„Aha!“

(Der Bär gähnt. Einige Ringeltauben erschrecken darob und verlassen ihren Ruheast. Der Hase trippelt auf dem Waldboden herum, wie einst Muhammad Ali durch den Ring. Aufbruchstimmung ante portas. Des Bären müdes Auge erblickt etwas, was es erfreut. Sehr!)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Das alte Laub ist älter als die alte Zwiebel

Dienstag, 13. März 2012 18:47

2012_009

(Weiterhin Wald. Temperaturen kurz vor oder doch schon zweistellig. Am Beginn der Szene ein kurzes Gespräch.)

„Unter dem Laub, da liegt die alte Zwiebel!“

„Senken Sie die gereckte Faust, Herr von Lippstadt-Budnikowski!“

„Herr Mahler, Sie interpretieren schon wieder! Ich dachte pragmatisch! Verfügen Sie über einen Laubrechen?“

„Fragen wir doch da hinten mal nach!“

(Die Waldarbeiterhütte auf Rädern war leider verwaist. Es ist März. Da muß das Umhauen der Bäume ein Ende haben. Manche halten sich dran. Der Rest nicht. Schade! Bald wird gebalzt und dann gebrütet.)

„Wäre das ein Beruf für Sie, Herr Mahler? Holzfäller?“

„Gelegentlich schon.“

„Was hindert Sie?“

„Ich schlafe von November bis März. Den Wald müssen andere aufräumen.“

„Jetzt sind die aber weg.“

„Tja!“

„Und was ist mit dem ganzen alten Laub?“

„Noch wärmt es die Köpfe der alten Zwiebel. Aber ich gestehe, wir haben uns verirrt.“

„Gleich beim ersten Ausflug?“

„Scheint so. Was tun?“

„Jetzt haben Sie die Faust gereckt, Herr Mahler!“

„Ganz schön spitzfindig! Da! Da hinten!“

„Wo?“

„Da hinten! Da!

„Tatsächlich!“

(Man erhebt sich. Läuft los. Inzwischen tatsächlich zweistellig. Die Temperaturen.)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Auf der Suche nach dem Kopf der alten Zwiebel

Montag, 12. März 2012 19:28

2012_008

(Man hat sich also erhoben. Ist ein paar Schritte gegangen. Nun sitzt man im Wald. Im Hinterhof blüht die rote Tulpe einsam. Das macht ihr nichts. Im Wald hat Herr von Lippstadt-Budnikowski eine Frage.)

„Und Sie glauben, hier war es gewesen, Herr Mahler?“

„Möglich!“

„Meinen Sie nicht auch, daß hier alles gleich aussieht oder ganz anders. Man findet sich gar nicht mehr zurecht.“

„So ganz ohne Blätter ist auch mir der Wald ein Rätsel. Die Schlaferei im Winter hat ihren tieferen Sinn, lieber Herr von Lippstadt-Budnikowski.“

„Was ist dem Bäumchen, auf dem wir hier sitzen, geschehen? Aufrechtgeher? Wi…“

„Psst!“

„Wie?“

„Kein Wort über diese Wesen im Jahre Zwozwölf!“

„Gibt es Gründe?“

„Diese Wesen beziehen jeden wahllos ins Ungefähre gelassenen Pups auf sich. Also stellt der Bär das Pupsen ein. Was wollten Sie noch sagen? Wi..?“

„Der Wind? War er es?“

„Vom Wind wird öfters zu sprechen sein. Aber lassen Sie uns Ausschau halten!“

„Nach dem Kopf der alten Zwiebel?“

„Nach dem Kopf der alten Zwiebel!“

„Dieses alte Laub überall. Nicht einfach!“

„Nicht einfach! Gott sei Dank!“

(Vier Augen streifen über den Waldboden, über Lichtungen, am Wegesrand entlang, hinaus aufs Feld, auf die sonnenbeschienene Trockenwiese dort unten neben der Pferdekoppel und wieder zurück. Sie entdecken kein Schneeglöckchen.)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Der ganze Text will noch kein Ganzes sein

Freitag, 9. März 2012 22:27

2012_007

„…hatte ich vergessen, wie es sich anhört, wenn das Herz in wacher Brust wieder ordentlich arbeitet.“

(Das wäre dann der zweite Teil des gestrigen, abgebrochenen Bärensatzes. Kurz vor dem Ende der zweiten Woche des Bären im Jahre  Zwozwölf. Kurz vor dem Ende der ersten Woche im Hinterhof. Der Hase atmet aus und wieder ein und– wen wundert es – ergreift das Wort.)

„Herr Mahler, die Woche endet frühlingshaft, mein Herz ist leichter als am Montag noch und ohne mich Ihnen als Ihr Eckermann aufdrängen zu wollen, erlauben Sie mir zusammenzufassen, was Sie dieses Jahr nun schon geäußert. Als Ganzes.

Ach was! Die Wochenenden Ihnen, Herr von und zu Lippstadt-Budnikowski! Ich sehe rot! Ja soll ich denn lügen? Es war die Tulipa, und nicht die Osterglocke. So rot, so fein! Da seh ich die Tulpe, so rot, so fein und höre wieder das Blut durch meine Adern rauschen. Fast hatte ich vergessen, wie es sich anhört, wenn das Herz in wacher Brust wieder ordentlich arbeitet.

Nun gut, es steht mir nicht zu hier die Wurzeln eines literarisch wertvollen Wortjahrganges zu erschnüffeln, mich freut heute jegliche Bewegung. Wohin, dies sei mir Pusteblume! Das Wochenende nun sei mein – Hömma! – und wo werden wir uns wiedersehen?“

„Am Kopf der alten Zwiebel!“

„Am Kopf der alten Zwiebel?“

„Am Kopf der alten Zwiebel! Und nun noch ein Viertelstündchen Schlaf!“

(Was ein Bär verspricht, das hält er. Psst!)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Wenn es im Hinterhof in den Adern rauscht

Donnerstag, 8. März 2012 19:37

2012_006

(Die Nacht hat man im ersten Stock verbracht. Nur nichts übertreiben. Und der Heizkörper ist ein Freund. Jetzt wieder unten im Hinterhof. Wolke da. Wolke weg. Wind kalt. Strahlen warm. Hin und her und rauf und runter mit der Quecksilbersäule. Pelzwärmen. Bibbern. Pelzwärmen. Bibbern. Sonst Schweigen. Währt aber nicht lange, wo des Hasen Pfote wippt. Hören wir rein.)

„Herr Archibald Mahler, Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich über Ihr gestriges Wort und welche Geröllawinen die Hänge meines bangen Herzens hinabrauschten, als ich sie vernahm. Puuh, Herr Bär und Doppeluff! Sie nehmen wieder wahr, und teilnehmen tun Sie auch am Geschehen namens Welt. Von meinen finsteren Befürchtungen möchte ich nun schweigen und entbiete einen erleichterten Gruß. (Pause im Redefluß. Kleine Pause.) Verzeihen Sie, wenn es zuviel, so bin ich Begleiter Ihres Schweigens, Genosse gar und halt die Klappe, bevor ich mich in wilder Euphorie verdichte und verquassele. Wolke hinweg da oben!“

(Die Wolke gehorcht. Sonnenstrahl. Bärenbewegung. Bärenwort.)

„Da seh ich die Tulpe, so rot, so fein und höre wieder das Blut durch meine Adern rauschen. Fast….“

(Der Bär schwankt etwas. Ein Hauch von Atemnot. War ihm dies eben alles zu viel? Mangelt es noch an Kräften und Säften? Der Hase hält die Luft an. Auch mal schön.)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Es war die Tulipa, und nicht die Osterglocke!

Mittwoch, 7. März 2012 17:59

2012_005a

(Des Einen Blick ist gerichtet hinauf zum Firmament, des Anderen Aug` in den Blumentopf. Dem Hasen graust das Grau des Himmels und er wittert späten Schnee, des Bären Auge konzentriert sich auf die erwachende Flora. Herr von Lippstadt-Budnikowskis Herz faßt an der Zweifel, des Mahlers Organ beginnt zu denken. Doch sprechen tut der Hase. Hören wir rein.)

„Werter Herr Archibald Mahler, ich hoffe ergebenst nicht einen Fehler kapitalster Natur begangen zu haben, als ich Sie überredete mit mir zum Wochenanfang die Höhle zu verlassen, den Hinterhof zu besetzen, Tulpen zu bestaunen, in der Hoffnung den Aufwachprozeß zu beschleunigen. Der Blick zum Himmel läßt mich zweifeln an meiner Ungeduld. Ist es dies gar, was Sie in Wut versetzt, warum Sie rot sehen, daß man mit Gewalt Ihren heiligen Winterschlaf unterbrach, weil man Redebedarf und Herzhüpfen und überhaupt hatte? Weia, ein schneidend graublaues Licht legt sich auf die Tulipa! Was sagen Sie? Oder sagen Sie einfach nichts!“

(Ganz sachte rümpft der Bär die Nase, neigt den Schädel nach rechts, dann nach links, nach vorne und kurz zurück, blinzelt ins Himmelsgrau, grinst und spricht.)

„Es war die Tulipa, und nicht die Osterglocke. So rot, so fein!“

(Für das Jahr Zwozwölf ist dies fast ein Bärenmonolog. Das denkt der Hase. Und grinst ebenso. Obwohl die Schneefurcht wächst im bangen Herzen.)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Furcht und Frost im Hinterhof

Dienstag, 6. März 2012 10:34

2012_004

(Die erste Nacht im Hinterhof war klar und kalt. Leichter Frost, nicht nur um den Hasen herum, sondern auch in seinem Herzen. Er dachte an die gestrigen Bärenworte. Was mögen Sie bedeuten? Was rumort im Bären? Rot sehe er, hatte er gesagt. Steht dem Neuen Jahr demnach ein Rachefeldzug bevor? Sind die Sinne des Herrn Mahler vernebelt und verklebt von Wut? Schmerzen alte Narben, das anoperierte, ehemals abbe Bein etwa? Schwingen unerledigte Traumata ihre drohenden Schwerter über die Köpfe der zukünftigen Leser? Ein Wutbär ante portas? Der Hase hat keine Ahnung. Er ringt sich zu einer vorsichtigen Frage durch. Wir hören zu.)

„Herr Archibald Mahler und Bär im Hinterhof! Eine klitzekleine Frage nur, wenn es gestattet! Wie meinen Sie das? Gestern?“

(Der Bär bleibt weiterhin statuarisch. Ein vorbeieilender Beobachter jedoch meinte, ein Lächeln, vielleicht sogar ein Grinsen, über das Gesicht des vom Winterschlaf noch nicht vollständig Auferstandenen huschen gesehen zu haben. Dann vernahm er folgendes.)

„Ja soll ich denn lügen?“

(Der Hase verbleibt so klug, als wie zuvor. Der Himmel jedoch ist strahlend blau. Heute. In Ordnung.)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Der Gelbe Planet und die Hinterhoftulpe

Montag, 5. März 2012 15:52

2012_003

(Der Bär wurde vor die Tür gesetzt. Dies soll anregende Wirkung haben. Die Wolkendecke war aufgerissen, just in dem Moment, da der Gelbe Planet an Dächern vorbei, durch Häuserlücken hindurch, mit seinen seit Tagen an Kraft und Höhe gewinnenden Strahlen die neu angeschaffte Hinterhoftulpe anzielte. Der Hase hatte aus dem Fenster geblickt, als dies geschah. Er hatte schon Stunden aus dem Fenster geblickt, da der Bär immer noch schweigt. Langeweile halt. Jetzt sitzen beide draußen. Des Hasen Hoffnung: das Sonnenlicht wirft die Synapsen des Bären an. Und vor allem das Redezentrum. Doch ein Bär ist keine Solarzelle. Ein Bär ist ein etwas eigenwilliges Geschöpf, ein sehr eigenwilliges Geschöpf, im Jahre zweitausendzwölf ein ganz besonders eigenwilliges Geschöpf. Hören wir rein.)

„Sehr verhochgeehrter Mahler. Das Wochenende ist nun dahin und ich tat, wie mir geheißen und jetzt? Haben die zwei freien Tage ihre Reserven und Tanks wieder auf – oder neu gefüllt mit Gedanken, Zitaten, Plänen, Redebeiträgen, Geschichten, Fingerzeigen, Wütereien, wohlfeilen Beleidigungen und anderem Gespinst? Wie ist die Gesamtsituation und in welcher Beziehung haben Sie vor, teurer Denkbär, sich dem Jahre Zweizwölf zuzuordnen? Wollen wir es  – Ein Vivat der Bescheidenheit! – bei drei Worten belassen.“

(Der Bär streckt sich. Wirbel knacken. Er läßt heiße Luft durch seine Nasenlöcher zischen. Was hören wir?)

„Ich sehe rot!“

„Weia, wie Sie immer sagen. Dann bis morgen, Herr Bär und Mahler.“

(Man sonnt sich. Denkt nach. Über den Gelben Planet. Hinterhoftulpen. Dann zieht der Himmel zu. Fröstel!)

Thema: Zweitausendzwölf | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth