Hoy und Woj / Der Osten / Und Gundi hilft X
Donnerstag, 22. August 2019 16:42
…
„Das ist ja ein brutaler Anblick!“
„Möchte meinen fast monströs!“
„Heute, gestern und morgen in Beton gegossen, lieber Hoy! Oder?“
„Schon, denn das ist was der „Wessi normale durchschnitticus“ mit dieser Stadt verbindet: 1991. Und in, um und um diesen Gigantenriegel herum fand es statt, das Unerfreuliche.“
„Jetzt wird das Monstrum plattgemacht?“
„Rückbau, mein Freund, Rückbau!“
„Ach, das war es, was mir der Geist des Gundi gestern zur Nacht auch noch flüsterte:
‘Vor fünf Jahren habe ich mal ein Buch gelesen. Das war von Stephan Hermlin und hieß Abendlicht. Und ein Satz aus diesem Buch geht nicht mehr aus dem Kopf und dieser Satz hieß: Ab einem bestimmten Alter sind alle Wege, Wege nach Haus. Nu weiß ich nicht, ob ich schon in einem bestimmten Alter bin, aber auf alle Fälle habe ich das Gefühl, mich auf einer Wendeschleife zu befinden. Und wenn man wieder nach Hause will, muß man ja wissen, wo man zu Hause ist. Also muß man für sich Heimat definieren. Das kann man möglicherweise in zwei Richtungen tun. Einmal eine lokal – territoriale Variante und einmal eine systemanalytische. Das ist natürlich wesentlich schwerer, deshalb versuche ich es erstmal mit einer lokal – territorialen Variante. Ich komme aus einer Stadt, die in die Schlagzeilen gekommen ist. Diese Stadt hat mich gebacken. Und die Nachrichtensprecher sagen immer Hoyaswerdaa, die die Stadt lieben, sagen Hoywoy.’
Nachdem ich dies gehört hatte, dachte ich, schon sehr seltsam, daß man sich gerne an das intensiv erinnert, wo man gar nicht dabei war. Woodstock und so Krempel!“
„Viele Aufrechtgeher erinnern sehr sparsam, oder sagen wir: aussparend. Meist im Interesse der störungsfreien Niederschrift ihrer eigentlich nicht sonderlich aufregenden Geschichte! Das führt zu sehr einfachen Gleichungen.“
„Genau. Bob Dylan ist gleich Blowing in the Wind!“
„Das wäre eigentlich mein Einwurf gewesen!“
„Da war ich schneller. Wenn ich mich nicht irre! Hihihi!“
„Stromlinienförmig soll es halt sein wie die gottverdammten rollenden Blechkisten, selbst die Erinnerung. Ein Fingerwischen übers Display und siehe: WAHRHEIT! Als habe man mit seinen eigenen Fehlern nichts zu tun. Gestern noch Brüder und Schwestern, denen man die abgetragenen Jeanshosen anverdiente und heute sitzen im Osten lediglich noch Störfelder und Dösbaddel. Als ob irgend etwas einfach wäre nur einmal im Leben eines Aufrechtgehers.“
„Psst!“
„Wie?“
„Entspannung, alter brauner Bärenmann. Außerdem: neue Einflüsterungen schütten auf mich herab:
‘Volker Braun / Die Leute von Hoywoy (2)
Dreißig Jahre nach den kleinen Erdarbeiten im mitteldeutschen Loch, die mich die Jugend gekostet hatten, sah ich auf dem Bildschirm jene einst berühmte Stadt, in der wir gehaust hatten, in einer entsetzlichen Verwirrung. Ganze Haufen ihrer Bewohner waren in aufgeregter Bewegung auf ein großes Gebäude zu, und sie schlenderten ihre Arme — nicht wie einst an den Schaufeln, im Schlamm: mit Drohgebärden, und um Steine und Brandflaschen in die Fenster zu werfen. Die Werkzeuge, mit denen wir gearbeitet hatten, schleppten sie als Waffen, die Worte waren ganz unverständlich geworden. NIGGERSCHWEINE, VERPISST EUCH. WIR BRINGEN EUCH UM. Ich versuchte, auf den Film starrend, die Gesichter zu entziffern — trugen sie noch die Züge der Bauarbeiter, ich gehörte zu ihnen, lange ist’ s her. Ich sah haßkalte Fressen von Jünglingen, und die satten Gesichter Erwachsener, die aus ihren Wagenburgen Beifall grinsten. Was für eine Rasse, fragte ich mich, hatte sich hier eingenistet in den banalen Neubauten, auf den rohen Maschinen. Was hatte sich ausgebildet in dem faulen Frieden, in der Langeweile des Staats. In dem Schreberland zwischen Losung und Leben. Sie waren seßhaft geworden. Sie waren nicht weitergereist in die Zukunft, nicht in die Welt. Sie hatten sich eingerichtet in ihrem billigen Eigentum. Sie sprachen keine Sprache, außer der eigenen. Sie kannten nicht der Erde vielfarbene Menschheit. Unwissend und argwöhnisch betrachteten sie die Fremden, denen die Stadt Obdach bot; ahnungslos böse, toll vor Verachtung Aber ich hatte sie eben noch, an diesem gespenstischen Gerät, gesehen mit ratlosen, schamlosen, zerflossenen Mienen. Geduckt in Korridoren, in Sessel geworfen. Verzweifelt schwafelnd oder schweigend. Es war ihnen, den Erbauern von einst, etwas zugestoßen. Man war mit ihnen umgesprungen, wie kein Polier, kein Polizist es einst gewagt hatte. Es war etwas hereingebrochen, eine namenlose, eine Naturgewalt, die das Gelände entseelte und die Betriebe verödete. Die sie enteignete ihres unbestimmten Besitzes, ihrer Sicherheit. Zersiebt, zerstreut, entlassen; außer Kraft gesetzt ihr Leben. Ihre Blicke, ihre Rechnungen sagten: verächtliche Wesen. Das hatte man mit ihnen gemacht. — Und nun zeigten sie ihre Kraft, den Schwächeren, und erwiderten die Gewalt, die sie erfuhren, auf einen Schlag. Sie konnten, sie mußten wünschen, nicht die Letzten zu sein im Staat, nicht die Allerletzten. Nun schlugen sie zu. Was für Elendsgestalten, dachte ich. Ein unterentwickeltes Land! Eine Dürrezone des Mitgefühls! Sie waren selber Fremde, im Ausland hier, auf der Flucht. Ich stellte den Kasten ab, um Stillschweigen zu bewahren oder sie zu verbergen in der Dunkelheit. Aber sie waren jetzt im Raum. Glück auf, sagten sie. Antworte uns: GLÜCK AUF, WEM GEHÖRT DIE WELT. Glück auf, Kollegen. — Ich gehörte noch zu ihnen.’
Weia! Dürrezone des Mitgefühls? Ist das nicht Aufrechtgeherstandard?”
(Anmerkung des Säzzers: Bevor wir hier ins Übersinnliche abdriften. Gundis Geist wohnt zwischen den Blättern eines Buches, manche nennen dies die Bibel des Gundermannes. Der alte Ofterdinger aus Niedersachsen verlieh und leiht noch das vergriffene Werk dem Ernst Albert.)
Die zwei Gefährten erhoben sich und begaben sich – na ja, man kutschierte sie an die Rückseite des Skeletts. Laut war es, staubig, aber auch sehr entspannt. The Osten got to do, what he got to do.
“Rückbau. Irres Wort!”
“Soll wahrscheinlich vor Sentimentalitäten schützen, Meister Hoy!“
„Sprechen Sie, Sie sind das Medium!“
„SA-KI-MA!“
„Erklärung!“
„Die Sandkiefermacke kriege man hier und man brauche täglich eine Tasse Schnaps, um die Versammlung des Abschaums der Menschheit hier zu ertragen. Wohlgemerkt Zitate des Gundi aus Jahren weit vor der Übernahmebefreiung durch Aldi & Cohl!“
„Towaris! Wilde Wortspiele!“
„Gewiß, Bär, man kann seine Heimat lieben und der eigenen Wahrheit trotzdem die Stange halten.“
„Schwer isses der allgegenwärtigen Verklärung des eigenen Tuns den Fuß in die Tür zu setzen!“
„Es lebe die Ambivalenz, Meister Lampe!“
„Gibt es noch Schnaps?“
„Erinnern Sie sich bitte an den Kumpeltod! Es beginnt zu regnen. Gehen wir heim!“
„Wohin nur?“
…
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