Beiträge vom 4. Mai 2010

Wie Archibald am Fluß saß und den Türmen der Gier seinen Allerwertesten zeigte

Dienstag, 4. Mai 2010 17:30

frankfurt1Archibald konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, daß Ernst Albert gerade dabei war, sich zum Bärenversteher zu mausern. Hatte er den Bären noch bei der Hinreise ohne Rücksicht auf die reiseungeübte Bärenseele in einem gewaltigen Rutsch in den Süden exportiert, legte man nun auf der Heimreise einen  Zwischenstopp ein. Sicherlich auch der Tatsache geschuldet, daß die gestrigen Abschiedsfeierlichkeiten bei Herrn Albert Spuren hinterlassen hatten. Und frische Luft soll ja bei gewissen Zuständen Wunder wirken. Oder ein im Freien genossenes KB. Man setzte sich an das Ufer des großen Flusses, der wenige Meter vom Bahnhof entfernt, die Ganz Große Stadt durchschnitt. Und Archibald sah: dort wo in der alten Stadt, die sie gerade verlassen hatten, ein wunderschöner Kirchturm die Dächer überragte, waren es hier die Kathedralen eines ganz anderen Betvereins. Es waren die Türme der Gier, die weithin sichtbaren Botschafter der Glaubengemeinschaft ‚Kräfte des Freien Marktes / Unbegrenztes Wachstum und Peanuts im Arsch des Herrn so gern’. Archibald fand diese Türme recht häßlich, Ernst Albert machten sie jedes Mal, wenn er sie sah, wütend. Ursprünglich gegründet, das Ersparte der Aufrechtgeher zu verwalten und zu beschützen oder sinnstiftend zu verleihen, waren die Obermuftis der Glaubenskongregationen inzwischen dazu übergegangen, das was man Ihnen anvertraut hatte, mit großer Freude zu verzocken, indem man sogenanntes schnelles Geld machen wollte, das Ganze aber dann im großen Stile in den Sand setzte.  Und dann hob ein lautes Krakeelen an, diejenigen, welche das verzockte Ersparte verloren hatten, mögen nun bitte den Schaden begleichen, sonst ginge alles komplett den Bach herunter und zwei Euro würde man auch gerne beisteuern zum rettenden Paket. Aber jetzt müsse man erst mal vom Acker, Mann, ins Ferienvillachen, sich von dem ganzen Stress erholen. Ernst Albert hätte kotzen können. Man steuerte ein Büdchen an. Ein netter Aufrechtgeher aus dem fernen Pandschab verkaufte ihnen ein KB.

frankfurt2Das KB, obwohl recht früh am Tage, mundete und linderte Gliederschmerz und Herzenswut. In Ansätzen, doch nicht völlig. „Mein lieber Archibald. Das Bier von hier, das den gestrigen Abend kontert, trägt den Namen Henninger. Schmecken tut es nicht wirklich, aber: when you in Rome, do as the Romans do. Und außerdem, ich trinke und gedenke. Denn jedes Jahr im Lenz gibt es hier ein Radrennen rund um die Brauerei, die diese Plörre in Flaschen zapft. Und, das mußt Du Dir mal reintun, was früher ‚Rund um den Henninger Turm’ hieß, heißt nun ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’. Sponsoring nennt man das. Wie groß müssen deren Köpfe sein, daß da soviel Scheiße hineinpaßt? ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’ Oweia! Oder wie Du gerne bemerkst: Potzrembel aber auch!“ Wenn Ernst Albert verkatert ist, ist seine Weltwut grenzenlos. Archibald ließ ihn gewähren und lieh sich einen Schluck des KB namens ‚Rund um den Finanzplatz Eschborn Frankfurt’. Macht Geld eigentlich besoffen? Offensichtlich mehr als Alkohol. Ein Ausflugsschiff fuhr vorbei. Er war benannt nach dem größten Sohn der Ganz Großen Stadt, ein manischer Vielschreiber, veritabler Trinker, Geheimrat in Thüringen und Liebhaber der Grünen Soße seiner Mama. Das beruhigte ungemein. „Laß uns die Seite wechseln, Genosse! Hier sind wir falsch!“ “Falsch?” “Falsch, so wahr ich lebe!”

frankfurt3Sie hatten auf einem Eisernen Steg den Fluß gequert und streckten nun den Türmen der Gier ihren Allerwertesten entgegen. Was sie nun sahen, war weitaus erfreulicher. Auf der gegenüberliegenden Seite reihte sich ein Museum an das andere. Man erblickte ein Plakat. In der schönsten und größten der Ausstellungshallen werden seit einigen Tagen Bilder eines Herrn Ernst Kirchner gezeigt, ein erklärter Lieblingsmaler von Ernst Albert, der daraufhin bemerkte, dies wäre doch ein schöner Ausflug, den er der besten Eva Pelagia schenken könnte, als Ausgleich für seine lange Abwesenheit. Ob er wohl mitkommen könne, fragte Archibald. Das werde man dann sehen, war die Antwort. Im Bahnhof scharrten die Züge mit den Hufen. Heimwärts nun! KB Nummer Zwo folgte sogleich!

Thema: De re publica, Im Heckerland, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Es ist ein Krug zerbrochen und wie Archibald zum Feierbiest wird

Dienstag, 4. Mai 2010 10:37

krug1Der Musentempel war ein altes und wuchtiges Haus im Herzen der Stadt. Oben saßen die Aufrechtgeher, welche die alte Stadt regierten und unten in einem kirchenähnlichen Kellergewölbe waren die Bretter aneinander genagelt, auf denen die zweibeinigen Gaukler ihrer Arbeit nachgingen. Die zwei Gefährten betraten einen klitzekleinen Raum. Zwei Spiegel, zwei Stühle, zwei Tische. Einige fremdartige Kleidungstücke hingen an der Wand. „Hier findet die Verwandlung statt. Warte! Bis gleich.“ Und weg war Ernst Albert. Archibald blickte das erste Mal in seinem Leben in einen Spiegel. Seltsam sich selbst zu sehen. Ein kleine Aufrechtgeherin betrat den Raum der angekündigten Verwandlung, erblickte den Bären, stieß ein spitzen Schrei der Freude aus und der Bär hatte für den Rest des Abends eine neue Patentante. Und er sah die Verwandlung. Vor seinen Augen wurde aus der Frau ein Mann, ein kleiner Mann in einem verbeulten Anzug, der einige Jahre auf den Schulterpolstern hatte, ein Bart wurde über die Lippe geklebt und alle weibliche Zierat von Aug und Wange entfernt. Der Keller füllte sich. Nach und nach trudelten die Mimen ein. Verwandlungen noch und nöcher. Alte Kleider, Hüte, bemalte Wangen, Fett in den Haaren und ein Zweibeiner ohne Haare auf dem Schädel klebte sich eine riesige blutige Beule auf denselben. Er sah aus, als hätte ein Grizzly versucht ihm die letzten drei Haare aus der Stirn zu streichen. Und Ernst Albert trug ein edles Tuch am Laib, wie es sein Hausbär selten an ihm gesehen hatte. Ein gestrenger Herr war er geworden. Unaufhörlich wurde geredet. Unverständliches, Silben, Rufe, fremde Worte, seltsame Witze, die Archibald nicht verstand. Hibbeligkeit, ein bißchen Hysterie und freudige Erwartung erfüllten die Gänge hinter den Brettern. Archibald wußte nicht recht, ob er als eher ruhebedürftiger Solitär ein solches Gebrumme und Gesumme jeden Tag aushalten würde. Draußen wurde geklingelt, einmal, zweimal, dreimal. Gespannte Ruhe. Es ging los.

krug2Und davon wurde erzählt: Ein Krug ward zerbrochen. Wer hatte ihn zerbrochen? Eine wütende Frau klagt an. Nicht nur der Krug sei zerbrochen, sondern auch die Ehre ihres bis zum gestrigen Tage reinen Töchterlein. Ein Rüpel ward in deren Kammer entdeckt, tobend und krugzertrümmernd. Der mit der Bärenbeule auf dem Schädel ist ein Richter und soll die Sach entscheiden, die Frau mit dem Bart schreibt auf, was alles gesprochen und Ernst Albert, als strenger Herr von auswärts, schaut zu und lenkt das Geschehen. Es wird gestritten und gehadert und gelogen, daß sich die Balken biegen. Archibald sitzt nicht unter den zuschauenden Aufrechtgehern. Aber hinter den Brettern, auf dem Tisch, vor dem Spiegel hört er mit. Ein kleiner Lautsprecher hängt über seinem Haupt. Er hörte eine Sprache, wie er sie noch nie gehört hatte. „Wenn Ihr die Instruktion, Herr Richter Adam / nicht des Prozesses einzuleiten wißt.“ „Da muß submiss ich um Verzeihung bitten!“ „Hier standen rings, im Grunde, Leibtrabanten / Mit Hellebarden dicht gedrängt und Spießen.“ „Und schicke freudig Euch, von wo die Ohren / Mir Kundschaft brachten, meine Augen nach.“ „Geh, Mutter, mag es werden, wie es will!“ „Schweig Du mir dort, rat ich, das Donnerwetter / Schlägt über Dich ein, unberufene Schwätzerin.“ „Sehr sonderbar, bei Gott.“ Archibald verstand anfangs kein Wort. Doch er gab sich den fremden Versen, dem ständigen Voranschreiten der altehrwürdigen Worte hin und so entpackte sich der Kern der Geschichte langsam vor seinem inneren Auge. Der Richter selbst war der Ganove, die Maid mißbrauchend, überrascht vom Rüpel, den Krug zertrümmernd und auf der Flucht seinen Klumpfuß unübersehbar in den Februarschnee drückend. Das bezeugte am Ende eine verrückte Frau mit fettigen Haaren und fast entblößtem Hinterteil. Das Spiel endete. Ratlos. Jede der Figuren auf den Brettern hatte gelogen, sein klein bißchen Welt verteidigt und sie gleichzeitig verloren. „Das ist ja richtig harte Arbeit, was Ernst Albert und die anderen da abliefern.“, dachte Archibald. Die Zuschauenden klatschten, lange und rhythmisch.

krug3Und dann wurde gefeiert. Und Archibald durfte dabei sein. Ernst Albert hatte ihn seinen Mitstreitern vorgestellt und ihm wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Und das bekam Archibald mit: Es war offensichtlich das letzte Mal gewesen, daß man die Geschichte vom zerbrochenen Krug erzählt hatte. Und so ist es  alter Brauch während der letzten Erzählung Schabernack zu treiben und seine Mitspieler mit kleinen, mehr oder weniger gemeinen Überraschungen zu irritieren und zum Lachen zu bringen. Dies war wohl zu aller Zufriedenheit geschehen – zum Beispiel mit dem fast entblößten Hinterteil – und die Stimmung war prächtig. Unzählige Tabakstäbe wurden verbrannt, entspannende Getränke wurden gereicht und flugs verzehrt. Geschichten und Anekdötchen flogen umher. Damals, ach, damals, wie schön. Die Köpfe wurden geschüttelt, man begann zu tanzen. Die Mimen mochten einander und feierten das Auseinadergehen, wenn auch mit etwas Wehmut. Archibald schwirrte der Kopf. Die Konturen verschwammen in Rauch und Gelächter. Doch das gefiel ihm. Heute nacht war er ein Feierbiest. Als der Abend voran geschritten war, hörte Archibald Altvertrautes. Robert Zimmermann sang und Ernst Albert dozierte dazu. Wie zu Hause in der guten alten Höhle. Ja, es war höchste Zeit heimzukehren. Eva Pelagia und der geheime Fieberthermometerhalter warteten. Mach es gut, Heckerland!

Thema: Im Heckerland, Musentempel, Robert Zimmermann | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth