Beiträge vom 13. Mai 2010

Der Müll, die Angst und der Tod der Vernunft

Donnerstag, 13. Mai 2010 6:23

angst

Was hatte er da gestern auf der Heizung geträumt? Hatte er geträumt? Er im Maule eines..? Quatsch! Archibald schüttelte sich, kratzte sich am Hintern und brach auf, Schweinekälte hin, Schweinekälte her. Vorhaben, die unter dem strengen Auge des Alten von Bergedorf geplant, gilt es in die Tat umzusetzen. Die Expedition namens „Angstmuzak“ nahm ihren Anfang. Weit mußte er nicht gehen. Fenster auf, Regenrinne herunter geklettert und bitte schön: der Geruch des gestrigen Tages attackierte ihn, schärfer und prägnanter denn je zuvor. Er schaute sich um. Keine Aufrechtgeher zu sehen. Er kratzte sich den Bärenschädel. Seine Nase vibrierte. Angstgetränkte Zweibeinerausdünstung der Panikklasse Eins A hüllte ihn ein. Was war denn nun die Quelle dieser konzentrierten Duftattacke? Fragen über Fragen. Er stand vor einer Mülltonne. Sollte? Nein! Doch! „Archibald! Erkenntnis fordert Opfer!“ Es mahnte die Bergedorfer Instanz. Die Nordostwand der Tonne erklettert, den Deckel hochgestemmt, Schädel und Nase ins Innere gestreckt: eine Sache von Sekunden. Der Deckel fällt donnernd herab. Gefangen der Bär.

Archibald dachte nicht im Traum daran, seine Expedition bei der ersten Mißlichkeit abzubrechen oder gar nach Zweibeinerart um Hilfe, Anleihe und Rettungspaket zu betteln. Etwas in ihm ahnte, daß er erster Erkenntnis gar nicht so fern war. Der Müll! Die Angst! Der Tod (der Vernunft?) Also dachte er nach. Vielleicht ist es so: der Aufrechtgeher schmeißt gerne weg. Alles was nicht paßt, im ersten Moment nicht sofort hundertprozentige Erfüllung garantiert, oder sperrig ist, Beschäftigung und Nachdenken, vielleicht gar Andacht fordert – Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschte Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört: einfach fallengelassen, weg damit, ein anderer wird sich schon bücken und es entsorgen. Dann? Weiter, denn Nachschub ist garantiert! Auf ewig! Sagt man! Für all diese Würste, Schuhe, Waschmaschinen, Herzen, Ideen, Bücher, Ausbildungen, Mitarbeiter, Versprechen, unerwünschten Kinder, Exkremente verbaler oder intestinaler Natur: kurz alles was gerade – Menno! – irgendwie stört. Huch und Hoppla! Auf ewig! Auf ewig? Und in den Mülltonnen gärt es vor sich hin. Die Seifenblasen wachsen und wachsen. Die Deckel drückt es nach oben, langsam, aber gewaltig. Da helfen keine Schlösser. Selbst der einfach gestrickte Zweibeiner ahnt, daß ihm irgendwann seine Mülltonnen um die Ohren fliegen werden. Die Angst kriecht aus dem Müll, aus den Exkrementen und aus den Rosinenherzen. „Schnell! Schnell! Weiter! Weiter! Vielleicht kann ich meinen Mann noch umtauschen! Karstadt verspricht heute Träumerrabatt.” Uppsala! “Auf! Auf! Galeria Horten! Horten! / man  gewährt an allen Orten / beim Erwerben neuer Träume / drei bis vier der Gratisschäume!“ Der Schnitter freut sich! Langsam stirbt die Vernunft! Lebt sie noch? Freeze! Die aufsteigenden Gase trübten Archibalds Wahrnehmung. Sein Hirn begann zu eiern und dichtete: „Griechenland und anderswo, wer lebt nicht gerne faul und froh!“ Eine Blase platzte. Der Deckel flog nach oben. Archibald ward befreit.

Also saß er auf dem kalten Maienboden, Zweibeinermüll all around him. Ein Stück alte Zeitung flatterte vor seine Nase. Er riechlaß das, was der Spielleiter aus dem Heckerland gestern ausgeatmet hatte: „Wir erwarten von den Spielern hundertprozentige Konzentration im mentalen Bereich, daß taktische Dinge umgesetzt werden, Aufgaben angenommen werden. Wir erwarten eine hundertprozentige Bereitschaft im körperlichen Bereich, weil bei einem Turnier jeder absolut an die Grenzen gehen muß.“ Auweia! Das Blechsprech der Seelenlosen. Das tat richtig weh! Binsenwahrheiten hatte Archibald noch nie verstanden, aber er ahnte, daß auch diese Blase bald – stinkend und mit Getöse – platzen würde. Sein Blick schweifte nach oben. Gott sei Dank, das Fenster der Höhle war noch offen, die Regenrinne nicht allzu klitschig und die Heizung kochte weiterhin auf Stufe Vier. Archibald beschloß seine Expedition zu unterbrechen. Aaahh und Ooooh! Ein Bärenhintern erwärmte sich. „Herr Reinhard Theophil Kuno „Stan“ von Lippstadt–Budnikowski zu Datteln, übernehmen Sie! Die Balltretkunst ist Ihr Metier! Dig it!“

Thema: Draußen vor der Tür, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth