Wen einer eine Reise tut, muß er auch irgendwann wieder nach Hause fahren (Walden Eighteen)
Montag, 2. August 2010 19:39
Die kleine Morgenmeditation roch schon etwas nach Abschied. Er schloß die Augen und seine Nase sog ein die Essenz der letzten achtzehn Tage: Moos, Harz, trockenes Holz, Laub, feuchter Waldboden, Bilder, Erinnerung. Und noch mal einmal die beredte Stille. Das Rascheln der Blätter. Krabbeln der Käfer. Frühe Vögel. Ein letztes Baden in erquickender Einsamkeit. Und dann wuchs in ihm der dringende Wunsch sich mitzuteilen, auszutauschen. Das Gespräch. Die neue Geschichte weitergeben. Gut. Nachdenken über den Heimweg. Fünf ganze Tage voller wunderlicher Begegnungen hatte die Wanderung bis zur Urlaubshöhle gedauert. Fünf ganze Tage wieder zurückstiefeln, das erschien Archibald Mahler, Bär am Ende des Urlaubs, entschieden zu anstrengend. Was tun? Lernziel der Expedition Walden war gewesen: abwarten und Dinge entstehen lassen. Einatmen und ausatmen. Die Sonne kitzelte sein empfindliches Riechorgan. Er mußte niesen. „Gesundheit, werter Herr Mahler!“
„Was machen Sie denn hier, teurer Herr von Lippstadt-Budnikowski?“ Die Frage konnte dieser nicht beantworten. Er war da. Einfach da. War er wirklich da? Oder halluzinierte der Bär, sensibilisiert von den Tagen der Einsamkeit und der erinnernden Meditation? Hatte die Tatsache, daß er sich soeben Gesellschaft gewünscht hatte, das Erscheinen des alten Gefährten zur Konsequenz? Oder hatte gar Frau Adler, die freundliche schwarze Dame mit den Flügeln auf dem Rücken, eingegriffen? Man einigte sich recht schnell darauf, daß dies alles Jacke wie Hose sei. Wie, wann und warum manches geschieht, man wird es nie erfahren. Es wurde ein wenig gemeinsam geschwiegen, kurzer Austausch von Wesentlichem. Allgemeines Befinden zufriedenstellend, Hauptproblem Hunger und zwei festverschlossene Büchsen mit Thunfisch. Die Aufrechtgeher? Hyperventilieren sich durchs Sommerloch mit Rücktrittsforderungen und unappetitlichen Rammelgeschichten. Eigentlich kein richtiger Grund zurückzukehren in die kleine häßliche Stadt. Außer man wird vermißt. Das ist ein Argument. Nächster Tagesordnungspunkt: Bewerkstelligung der Rückkehr. Und da hatte einer eine Idee!
„Wie meinen, Herr von Lippstadt-Budnikowski?“
„Trampen? Den Daumen im Wind? Klassische Fortbewegungsmethode. Inzwischen eher ausgestorben. Doch es gibt Argumente, sie zu reaktivieren?“
„Hier im Wald? Ich weigere mich von buntbehosten, selbsttherapeutisch rennenden und keuchenden Aufrechtgehern nach Hause getragen zu werden.“
„Befürchten Sie nichts, was Sie in Ihrer Bärenehre kompromittieren könnte. Schenken Sie mir Vertrauen und folgen Sie mir hinunter zum Waldweg!“
„Nun gut! Der Hunger ist es! Und ein klein wenig Heimweh! Gehen Sie voran!“
Archibald packte die zwei Büchsen und das leere Marmeladenglas in seinen Schal, schulterte die kleine Last und bedankte sich bei der großen Eiche und ihren Wurzeln für die freundliche Gewährung der Unterkunft. Dreimal verneigte er sich. Blätterrascheln. Kann ein Baum zum Abschied winken? Zwei Pfoten im Sommerwind. Um die Ecke bogen Ernst Albert und Eva Pelagia auf ihren Drahteseln. Da mußte dann sogar der Bär laut auflachen. Geschickt eingefädelt! Und dann freute er sich. Wie Bolle!
Thema: Walden | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth