Beiträge vom 23. September 2010

Ein toter Philosoph spricht gescheit, aber man kann ihn kaum hören, denn es ist viel zu laut

Donnerstag, 23. September 2010 19:48

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Wenn die Nacht den Schlaf gestohlen hat, weil sie den Lärm der Aufrechtgeher und den vollen Mond sandte, muß der Tag als Ausgleich herhalten. Es war heller Nachmittag, als Archibald erwachte. Der alte Schal lag neben ihm, weggestrampelt und durchgeschwitzt. Wilde Träume hatten Hitzewallungen durch seinen Laib gejagt. Und die unerwartet heftige Rückkehr von Fräulein Else Sommer. Prinzipiell keine Einwände gegen die Wärme, aber wer schon mal im prallen Sonnenschein eingeschlafen ist, weiß wie der Schädel dann beim Erwachen bummert und glüht. Der Bär kroch in den Schatten. Das war ein Fehler. Nicht der Schatten, sondern der Tank des alten Kleinlasters auf dem er, noch nicht richtig erwacht, saß. Der stechende Geruch verdampfenden Diesels reizte seine hochempfindliche Nase und ließ einen bösen Kopfschmerz gegen die Innenseite seines Schädels pochen. Über die Brücke, welche in seinem Rücken den Fluß überspannte, rollten unaufhörlich die Blechmilben der Zweibeiner. Flugzeuge zerschnitten den Himmel und Jungvolk schrie hysterisch in seine Mobilfunkteile. „Können diese Aufrechtgeher denn nicht einmal ihre kollektive Lärmemission auf Null drehen! Hier hat ein heute leider sehr empfindlicher Bär und Ästhet der Stille Hirnweh! Potzrembel und f&%$%§&%k die Waldfee aber auch!“ Da half dem Bär kein Fluchen. Es gibt Tage, die widmen die Götter der Pein!

Ernst Albert saß am Ufer der Lahn. Er wollte mal bei seinem kleinen Kumpan nach dem Rechten schauen. Zum einen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, hatte er doch den Herrn Archibald Mahler in letzter Zeit ob der vielen Arbeit am Musentempel etwas vernachlässigt und zum anderen wollte er die wahrscheinlich letzten sommerlichen Stunden des Jahres genießen und hatte für den heutigen Abend probenfrei verordnet. Sich und den Anderen. Manchmal kann man das, und dann soll man das auch tun. Ernst Albert saß also am Ufer der Lahn, ließ sich von der Sonne bescheinen und las Zeitungen. Die Böse Zeitung und die Gute Zeitung! (Aber über dieses Tamm-Tamm ein andermal!) Der Bär erblickte seinen Meister. Er freute sich, soweit sein Hirnweh eben Freude erlaubte. Dann widmete er sich den zwei Karotten. Immer wieder ein Genuß. Langsam entspann sich ein Gespräch.

„Morgen soll es kalt und regnerisch werden. Der Sommer ist wohl vorbei.“

„Das heißt?“

„Na ja, ich will ja hier nicht den Schlaumeier und Erziehungsberechtigten raushängen lassen, aber vielleicht wäre eine Rückkehr in die Höhle angebracht!“

„Ich will ein Aspirin!“

„Bären und Schmerzmittel? Also ich weiß nicht so recht!“

„Könnt Ihr eigentlich auch mal leise sein?“

„Wer Ihr?“

„Ihr Aufrechtgeher!“

„Ist das nicht ein bißchen pauschal? Ihr Aufrechtgeher! Es gibt solche und solchige!“

„Glaub ich nicht!“

„Doch. Ich les Dir mal was vor! Von einem Mann, der Schopenhauer hieß. Steht in der Zeitung!”

“Der Guten oder der Bösen?”

“Wie man’s nimmt! Paß auf: ‚Ich hege wirklich längst die Meinung, daß die Quantität Lärm, die jeder unbeschwert vertragen kann, in umgekehrten Verhältnis zu seinen Geisteskräften steht und daher als das ungefähre Maß derselben betrachtet werden kann.’ Nicht schlecht! Oder?“

„Danke für das Kompliment!“

Dann wurde geschwiegen. Man muß dem Getöse ja nicht ständig etwas hinzufügen. Und weil der Bär – nahendes Tief hin oder her – noch etwas bleiben wollte auf seinem Schrottplatz rechter Hand der Lahn,  stand Ernst Albert auf und zog los, sich etwas Lärm zu kaufen. Feinen Lärm. Eine neue Platte mit alten Liedern des ehrenwerten Herrn Zimmermann. Dig it. Und Archibald begann sich mit den Zeitungen, die Ernst Albert ihm dagelassen hatte, zu beschäftigen. Es galt  ja auch eine neue Aufgabe zu finden. Für die letzten Tage, bevor der Winterschlaf ihn von der Bühne der Eitelkeiten nehmen würde. Seine Nase flitzte über das Buchstabengewimmel. „Das ist ja interessant!“

Thema: Draußen vor der Tür | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth