DAS SCHWERE HERZ DES BÄREN ERLÖST DER RUF DER SEE
So war es passiert. Der Bär war wieder in Liebe gefallen. Eigentlich wollte er es nicht. Aber was sollte er tun? Ihm war nicht zu helfen. Was dann geschieht, dies wissen wir alle. Das klare Denken hat ein Ende und es wird unablässig und im Kreise herum gegrübelt. Die eine Frage nur. „Warum bin ich kein Genie?“ Denn soviel hatte Archibald Mahler, Bär ins Herzensnot, begriffen: dieses Aufrechtgeherweib umgab sich gerne mit Genies, die zwar inzwischen alle tot waren, aber ein Genie mußte man aus Prinzip schon sein, wenn man länger in ihrer Nähe bleiben wollte. Oder verdammt gut Klavier spielen und den Boden wischen können, wie der Mann mit den angeklebten Haaren. Damit konnte der Bär nicht dienen, aber gescheit in die Welt schauen und davon berichten. Ob das aber reicht? Er blieb einfach mal neben dem alten Foto sitzen und staunte. Und schmachtete auch etwas. Das Foto ließ ihn gewähren. Dann schob sich die schimpfende alte Frau wieder über die Bühne und sah der Frau aus dem Buch immer ähnlicher und sang und schimpfte und sang und war traurig und wütend und sang. Und Archibald begriff langsam, daß die Frau aus dem Buch gar nicht mehr lebt und die schimpfende Frau so eine Art Stellvertreterin der Erinnerung war, aber gar nicht die Kopie der toten Frau, sondern etwas ganz eigenes, kein Abziehbild, sondern ein Echo von längst Vergangenem. Und dann sagte Ernst Albert, daß jetzt Schluß sei mit dem Rumgespiele und ein Aufrechtgeher kam und küßte die schimpfende Frau und der war ihr Mann. Und da war Archibald dann etwas verwirrt, alle Männer wären tot, hatte sie doch immer gesagt und jetzt das. Die Musentempelei barg offensichtlich noch etliche Geheimnisse, die es zu erforschen galt. Er brauchte Hilfe. Herr Albert?
Mit Herrn Ernst Albert war nun aber rein gar nichts anzufangen. Er hatte noch mal rumgemoppert und ein paar letzte Anweisungen gegeben und dann fiel er in ein Bierglas und in ein kleines Loch der Traurigkeit. Seine Arbeit war getan und jetzt sollten die schimpfende Frau, der Mann mit dem schwarzen Kasten und alle anderen, die da rumwuselten, das Schiff selber übers Meer der Unwägbarkeiten, Hoffnungen und Ungewißheiten steuern. Zeit zu gehen war es und dies fällt nun manchmal schwer, vor allem wenn es notwendig ist. Also drehte sich Herr Albert heute im Kreis. Selbst die wunderbare Eva Pelagia ließ ihren Herrn Albert vor sich hinbrutteln und – bröseln. Dann kann keiner helfen und morgen – nach der Premiere – ist es dann auch vorbei. Und wie Archibald so an die Frau seines Chefs dachte, merkte er, daß es vollkommen blödsinnig gewesen war, sich neu zu verlieben. Er war es schön längst. Wer sich so um ein abbes Bein kümmern kann! Und um Heidelbeermarmelade! Und den Lütten Stan hat sie auch in die Höhle mitgebracht! Also! Aber weil das Verliebtsein an und für sich ein kostbarer Zustand ist, ließ er sein Herz noch ein paar Minuten die sinnlose Schwere genießen und seine Bärenaugen saugten sich an diesem herrlichen Antlitz fest.
Und dann füllte sich das einsame Zimmer der schimpfenden Frau. Stimmengewirr. Gelache. Umarmungen. Ein Fieber köchelte vor und hinter den Kulissen. Lampen an und aus. Gerenne. Geschenke. Die Aufrechtgeher umarmten sich und spuckten sich gegenseitig auf den Rücken und riefen immer wieder: „TEUTEUTEU!“ Was das jetzt wieder soll? Die Luft wurde etwas dick und stickig und man starrte gebannt auf den schwarzen Kasten und das falsche Fenster im Zimmer ohne Fenster. Hinter den Wänden des Zimmers wurde die Luft elektrisch. Der Mann mit den angeklebten Haaren wischte noch mal den Boden des Zimmers, obwohl der schon total sauber war. Warum? Ernst Albert packte seinen Bären. „Komm, Archibald, wir hauen ab!“ „Wohin?“ „Das Meer will Dich sehen.“ „Auweia! So kurz vor dem Winterschlaf?“ „Und es gibt Sprotten ohne Ende!“ „Nein?“ „Und ob!“ „Dann mann tau und Leinen los, Käptn!“ „Ahoi!“