DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XIV (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL VIER)
Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:
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Podulski saß am Küchentisch, vor sich ausgebreitet eine absurd komische Fotostrecke, wie er sie selten gesehen hatte und nippte an einer Flasche „Newcastle Brown Ale.“ Er erinnerte sich, wie er schon in seiner Kindheit eine Mischung aus Entsetzen und veritablem Ekel empfand, wenn er Postkarten oder Poster betrachtete, die angezogene und verkleidete Tiere zeigten. Doch bei diesen Fotos war das etwas anderes. Es sprang ihm eine Art von Sarkasmus entgegen, der ihm vertraut war. Da saß das Fräulein Stützerbach auf der Kühlerhaube eines protzigen Sportwagens, um sie herum fein säuberlich einige Hinterlassenschaften ihres Darmes drapiert, grinste – ja sie schien wirklich zu grinsen – und um ihren dicken, faltigen Hals hing ein Pappschild mit der Aufschrift “Ich bin so frei.“ Oder sie hockte, mit einem reizenden weißen Kleidchen angetan, auf einem opulent gedeckten Tisch, entleerte ihre Hundeblase und das Pappschildchen vermeldete: “Du darfst.“ Oder – Höhepunkt der Serie – das Vieh verrichtete konzentriert, und auch hier wieder grinsend, sein Geschäft auf eine als Engel verkleidete Barbiepuppe. „Gott ist tot.“, vermeldete nun die obligatorische Papptafel.
Auch wenn Podulski die Motive etwas zu koprophil erschienen, so konnte er doch die Wut und den bösen Spaß nachvollziehen, die in diesen Bildern zu sehen waren. Er mochte Hunde eigentlich ganz gerne, aber in den seltensten Fällen ihre Halter.
Er zündete sich eine Zigarette an und überflog noch mal den Brief, der den Kunstwerken beigelegt war.
„Dumm ist der Typ nicht. Ein arger Moralist und an der Welt Leidender, aber ein schlauer Kopf. Aber wieso Typ? Kann das nicht auch eine Frau sein? Podulski, manchmal bist Du zu schnell.“
Podulski fiel es schwer seine Gedanken zu sortieren, er lehnte sich zurück, warf den Kopf in den Nacken, senkte den Kopf, schaute auf seine Armbanduhr, sah, daß es jetzt wohl zu spät war, um noch ein außerhäusiges Getränk zu sich zu nehmen und als er nach der Bierflasche greifen wollte, streifte sein Blick noch mal über die vor ihm ausgebreiteten Fotos. „Bitte nicht.“, durchfuhr es ihn. „Ach, Du heilige Scheiße.“ Die Brille. Die Brille! „Das glaub ich jetzt nicht.“ Die Brille, die das Hundetier auf jedem Foto auf der sabbernden Schnauze trug war eine Wayfarer von Ray Ban, seiner Meinung nach die schönste aller Brillen. Aber diese hier war nicht irgendeine der schönsten aller Brillen. Es war seine eigene, nun bald zwanzig Jahre alte, gute alte Wayfarer. Die mit dem goldenen Monogramm auf dem rechten Bügel. GFP für Gottes Fritz Pobulski.
„Krieg, Engelchen, Krieg.“ sagte er leise vor sich hin, als er seine Wohnung Richtung „Domizil“ verließ. Jetzt brauchte er doch noch ein nächtliches Bier. Wahrscheinlich eher drei.
Die Garagentür in der Weststadt klappte quietschend nach oben. Klares kühles Herbstabendlicht fiel auf Henriette von Stützerbach. „Na, Vieh. Wie isses? Hier ist Dein Happihappi.“ Eine große, dicht behaarte Männerhand tätschelte Henriettes Hinterkopf. War sie noch vor wenigen Tagen jedesmal über die Kraft erschrocken, die in diesen Schlägen lag und spürte unbändige Lust ihre Zähne in dieses haarige Teil Mensch zu graben, so konnte sie inzwischen eine gewisse Sympathie für ihren Koch und Oberkellner nicht verhehlen. Fräulein von Stützerbach erhob sich also und versenkte ihre Schnauze in den täglichen Berg Pansen, der heute allerdings mit einigen groben Haferflocken versehen war. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie dieses bärtige Mordstrumm von Mensch, dem offensichtlich mehr Haare aus seiner Haut sprossen als ihr, und das ihr, auf einer umgedrehten, leeren Bierkiste sitzend, freundlich grinsend beim Fressen zusah und sie dachte sich: „Aha. Man lernt langsam dazu. Nett.“
„Madame Vieh, sie erlauben?“ sagte Ingo Wolfbeuel, holte ein zerfleddertes Päckchen Halfzware aus der Tasche seines Parkas, den er auch bei Temperaturen, welche die 30 Gradgrenze überschritten hatten, zu tragen pflegte und begann sich eine Zigarette zu rollen.
„Mädel, ich hab ja nicht das Gefühl, das Deine Alte Dich noch will. Ich mag Dich zwar inzwischen, aber Du wirst langsam zum Kostenfaktor. Das Happihappi zum einen, und jeden Tag muß ich mir zwei Zeitungen kaufen. Und die Nervenanspannung zwingt mich die doppelte Menge Nikotin zu vertilgen. Da kommt was zusammen. Dabei ist das gar nicht so wild, was ich verlange von Deiner holden Herrschaft. Ich lese es Dir mal vor und Du sagst mir, was Du davon hältst. OK?“
Ingo zog einen Zettel aus seiner alten Kampfjacke, entfaltete ihn sorgfältig, zündete sich die Kippe an und begann, nachdem er sich eine Lesebrille auf die Nase genestelt hatte, zu lesen, langsam, bedächtig und deutlich, so daß es auch ein Hund verstehen konnte.
„Also so hab ich das mal formuliert: Wenn Sie ihr Vieh – Verzeihung, inzwischen würde ich natürlich anders ausdrücken – also: wenn sie ihren eigentlich doch recht sympathischen Hund unbeschadet zurückhaben wollen, fordern wir sie auf bis Ende dieser Woche in beiden Giessener Tageszeitungen halbseitige Anzeigen mit folgendem Text erscheinen zu lassen.“
Ingo räusperte sich kurz und Henriette hob leicht den Kopf.
„Ich bitte hiermit um Verzeihung und schließe ein so viele meiner Mitbürger, welche öffentlichen Raum im zunehmenden Maße zu ihrem Privateigentum machen und leider nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, ihre vermeintlich dringenden Bedürfnisse dem Rahmen eines zivilisierten Miteinanders anzupassen. Ich bitte um Verzeihung für mein egomanes und rücksichtsloses Verhalten. Ich bitte um Verzeihung, daß ich nicht in der Lage bin, mein Haustier angemessen zu erziehen und zu halten und es so überhaupt erst möglich war, daß mein Hund vor dem schwarzen Engel auf dem alten Friedhof in Gießen einen riesigen, ekelerregenden und respektlosen Haufen hinterließ, den erstens zu verhindern und zweitens zu entsorgen ich nicht Willens war. Das Tier kann nichts dafür! Verzeihen Sie mir bitte! Ich empfinde Scham!“
Ingo ließ das Blatt auf seine mächtigen Oberschenkel sinken, verstaute die Lesebrille, inhalierte etwas Rauch und sagte:
„Doch gar nicht so schlimm, oder Henriette?“
Fräulein von Stützerbach horchte auf. Also hatte sich der haarige Fleischberg doch ihren Namen gemerkt. Er, der er tagtäglich auf seiner Bank auf dem Alten Friedhof saß und vor sich hin sann, während sie, Henriette von Stützerbach, leinenlos herumtobte, im Hintergrund ihr Frauchen demonstrativ laut und schrill ihren Namen kreischte – „Hier, Henriette. Hier, Du böses kleines Mädchen. Eieiei, das ist aber gar fein, mein Herzblatt.“ – und sie, Henriette dabei Röntgens oder andere namenlosere Grabmäler mit ihren Säften besprenkelte. Die Erinnerung an vergangene Erleichterung rief bei ihr nun ein zutiefst hündisches Bedürfnis hervor und sie vermeldete es mit zwei kurzen Kläffern.
„Etwas Geduld, Mädel. Gleich ist es dunkel. Dann ziehen wir los.“
Die Fellpranke schlug ihr sachte auf die Flanke. Noch etwas zögerlich, aber durchaus ernst gemeint, ließ Henriette ihre Zunge über Ingos Hand gleiten.
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So! Pause erstmal. Genug gequatscht. Erstmal was trinken. Das tut gut. “Aaah, erfrischend!” Sagt Frau Pelagia immer. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!