Beiträge vom Juni, 2011

DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XV (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL FÜNF)

Donnerstag, 16. Juni 2011 7:15

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Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

…………..

Diesmal war es Podulskis Stimme, welche fremd klang, als er in Hellingers Büro saß und seinen Chef bat ihm bei der Abwicklung des Falles Stützerbach freie Hand zu lassen.

„Podulski, Sie wissen daß ich kein Freund von Geheimabsprachen und Mauscheleien bin. Und besonders in diesem Falle würde ich gerne diesen, verzeihen Sie, etwas minderbemittelten Hobbyfotographen kennenlernen, der meine Frau, und somit auch mich, so langsam in den Wahnsinn treibt.“

„Herr Kriminalrat!“ Podulski massierte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand seine Nasenspitze. „Soweit ich informiert bin, hat ihre Gattin nicht unmaßgeblichen Anteil an der Eskalation der ganzen Geschichte. Sie wissen ja um die teilweise recht überbordende Impulsivität Ihrer Frau. Ich glaube, es ist für alle Beteiligten das Beste, wenn wir die Sache so geräuschlos wie nur möglich hinter uns bringen.“

Hellinger preßte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, im Hathayoga eine Übung, welche die Inspiration fördern soll, und nickte Zustimmung. „Ich denke, Sie haben recht.“

„Danke, Chef. Ich teile Ihnen heute abend Ort und Zeitpunkt der Übergabe der Geisel mit. Und bitte kommen Sie alleine. Ganz alleine.“

„Versprochen. Hauen Sie ab. Ach noch was. Für dieses Konzert, auf dem Ihre Band die neue Platte vorstellt, gibt es da noch Karten?“

„Sie meinen die Releaseparty? Glaube ja. Sie kommen ohne Ihre Gattin?

„Keine Sorge, die hört nur Phil Collins.“

„Gut. Sie sind auf der Gästeliste.“

Es war kein Gespräch gewesen zwischen dem Bassist der Alterspunkband MITLIFEKRISE, Spitzname Gottes Fritz, und deren Manager, Kampfname Bingo Ingo, welches am gestrigen Tag stattgefunden hatte. Nein, Herr Podulski, Hauptkommissar bei der Giessener Kripo hatte Herrn Wolfsbeuel, Faktotum und zur Zeit auch Straftäter, angerufen. Und nach einigem Hin und Her, und, um auch dies nicht zu verschweigen, unverhohlenen Drohungen seitens Gottfried Podulski, hatte Ingo Wolfsbeuel dann detailliert und wahrheitsgetreu geschildert, was an jenem Samstag vor etwas mehr als einer Woche vorgefallen war. Daß er, Podulski, damals noch als Gottes Fritz und Bassist, woran er sich hoffentlich erinnere, wenige Minuten nach seinem Anruf in der Weststadt aufgetaucht war, Ingo seine legendäre Sonnenbrille übergeben hatte mit den Worten: „Setz sie dem Engel auf die Nase und hüte sie wie Deinen Augapfel, sonst laß Dich bis zum Sankt Nimmerleinstag hinter schwedische Gardinen verfrachten.“ Daß Ingo daraufhin Sportschau und „Wetten daß“ fahren ließ, seine alte Spiegelreflexkamera geschultert hatte und bei hereinbrechender herbstlicher Dämmerung und kurz vor Toresschluß den Alten Friedhof betreten habe. Daß er dabei dachte, was für ein göttlicher Schwachsinn es sei, wenn ein paar mittelalte Dreiakkordhelden ihre neue Platte „Krieg, Englein. Krieg“ nennen, bloß weil in einem Lied von Scheidung, in einem zweiten von Bagdad die Rede war. Daß er bei Röntgens Grab rechts abgebogen war und gegen 19 Uhr 15 vor dem Schwarzen Engel stand, sich umgesehen hatte, ob ihn niemand beobachtet, über das schmiedeeiserne alte Gitter geklettert war und dem Engel die „Ray Ban Wayfarer“ des Herrn Podulski auf die Nase gesetzt habe. Daß, als einige Zeit später sein Auge durch den Sucher blickte und einen geeigneten Bildausschnitt suchte und fand, plötzlich ein fetter Boxer ins Bild gesprungen sei. Und daß jenes Vieh ihm sehr bekannt vorgekommen, weil es ihn, Ingo Wolfbeuel, fast schon regelmäßig bei seinen täglichen Nachdenkeinheiten auf dem Alten Friedhof störte, in dem es entweder rumkläffte oder die Gräber längst verstorbener Seelen bespritzte und vor allem deshalb, weil es dabei von einer Frau begleitete wurde, deren Stimme jede Aktion ihres undisziplinierten Haustieres in schrillsten Tönen kommentierte. „Nein, mein kleiner ungezogner Schatz. Komm zur Mutti. Der dicke Mann möchte lesen. Komm, mein kleiner Schatz.“ Und er erzählte, daß im selben Moment, als das Vieh im Sucher aufgetaucht war, es mit einem eleganten Sprung das schmiedeeiserne Gitter überwand, sich niederließ und dem bebrillten und verdutzten Engel einen Haufen von veritabler Größe vor die Füße setzte. Daß er darauf das heraneilende Frauchen – seine Nerven waren ohne Fußball und Bier bis zum Reißen angespannt gewesen – mit den gebrüllten Worten, was sie denn davon halten würde, wenn irgendwelche verzogenen Schoßhunde einstens auf ihrem Grabe solche Denkmäler hinterlassen würden, empfangen hatte. Und daß er seine Rede, den angespannten Nerven sei es gedankt, mit einer ganzen Reihe von Kraftausdrücken garniert habe, die im wesentlichen weibliche Geschlechtsorgane zum Thema hatten. Daß die Dame darauf geantwortet habe, ihre Henriette würde so etwas nie tun, dazu sei sie viel zu gut erzogen, worauf er seine Kamera in die Luft gehalten habe und der Dame das Angebot machte, ihr jederzeit einen Abzug des belastenden Fotos zur Verfügung zustellen. Daß dann die Dame mit einen gezielten Tritt die Kamera aus seiner rechten Hand getreten habe und dabei gesagt habe, ihr Mann sei Chef der Giessener Kripo und wenn er, der haarige Fettsack, seine Hackfresse innerhalb kürzester Zeit hinter Gittern sehen wolle, solle er dies ruhig tun und daran anschließend plötzlich mit gellender Stimme losgeschrieen habe: „Hilfe. Ist da niemand. Der Mann will mich vergewaltigen. Hilfe. Zu Hilf.“, daraufhin auf dem Absatz kehrtgemacht habe und mit wehend blonden Haare von dannen stolziert sei. Daß er, Ingo, wiederum nach einiger Zeit der kompletten Fassungslosigkeit bemerken durfte, daß das Corpus delicti, die Boxerhündin Henriette von Stützerbach, immer noch, genauso fassungslos, am Orte ihrer Verrichtung verharrte. Und daß letztendlich, da das Frauchen wohl ihren Triumph allzusehr genoß und darüber ihr Haustier komplett vergessen hatte, er es am Halsband gepackt habe und es in die Weststadt entführt hat. Das Weitere kenne man dann ja. Henriette von Stützerbach hatte, auf Ihrer Pferdedecke vor sich hindämmernd, mit halbem Ohr Ingos Schilderung des Tatvorganges gelauscht. Sie erwachte von gellendem Lachen. Mit einem kurzen Kläffen bestätigte sie die Richtigkeit des soeben Gehörten, gähnte kurz und schlief wieder ein. Zwei alte Freunde, Gottes Fritz und Bingo Ingo saßen neben dem schlafenden Vieh, tranken Dosenbier, rauchten und lachten bis ihnen das Zwerchfell schmerzte.

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So! Pause erstmal.. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XIV (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL VIER)

Mittwoch, 15. Juni 2011 17:10

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Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

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Podulski saß am Küchentisch, vor sich ausgebreitet eine absurd komische Fotostrecke, wie er sie selten gesehen hatte und nippte an einer  Flasche „Newcastle Brown Ale.“ Er erinnerte sich, wie er schon in seiner Kindheit eine Mischung aus Entsetzen und veritablem Ekel empfand, wenn er Postkarten oder Poster betrachtete, die angezogene und verkleidete Tiere zeigten. Doch bei diesen Fotos war das etwas anderes. Es sprang ihm eine Art von Sarkasmus entgegen, der ihm vertraut war. Da saß das Fräulein Stützerbach auf der Kühlerhaube eines protzigen Sportwagens, um sie herum fein säuberlich einige Hinterlassenschaften ihres Darmes drapiert, grinste – ja sie schien wirklich zu grinsen – und um ihren dicken, faltigen Hals hing ein Pappschild mit der Aufschrift “Ich bin so frei.“ Oder sie hockte, mit einem reizenden weißen Kleidchen angetan, auf einem opulent gedeckten Tisch, entleerte ihre Hundeblase und das Pappschildchen vermeldete: “Du darfst.“ Oder – Höhepunkt der Serie – das Vieh verrichtete konzentriert, und auch hier wieder grinsend, sein Geschäft auf eine als Engel verkleidete Barbiepuppe. „Gott ist tot.“, vermeldete nun die obligatorische Papptafel.

Auch wenn Podulski die Motive etwas zu koprophil erschienen, so konnte er doch die Wut und den bösen Spaß nachvollziehen, die in diesen Bildern zu sehen waren. Er mochte Hunde eigentlich ganz gerne, aber in den seltensten Fällen ihre Halter.

Er zündete sich eine Zigarette an und überflog noch mal den Brief, der den Kunstwerken beigelegt war.

„Dumm ist der Typ nicht. Ein arger Moralist und an der Welt Leidender, aber ein schlauer Kopf. Aber wieso Typ? Kann das nicht auch eine Frau sein? Podulski, manchmal bist Du zu schnell.“

Podulski fiel es schwer seine Gedanken zu sortieren, er lehnte sich zurück, warf den Kopf in den Nacken, senkte den Kopf, schaute auf seine Armbanduhr, sah, daß es jetzt wohl zu spät war, um noch ein außerhäusiges Getränk zu sich zu nehmen und als er nach der Bierflasche greifen wollte, streifte sein Blick noch mal über die vor ihm ausgebreiteten Fotos. „Bitte nicht.“, durchfuhr es ihn. „Ach, Du heilige Scheiße.“ Die Brille. Die Brille! „Das glaub ich jetzt nicht.“ Die Brille, die das Hundetier auf jedem Foto auf der sabbernden Schnauze trug war eine Wayfarer von Ray Ban, seiner Meinung nach die schönste aller Brillen. Aber diese hier war nicht irgendeine der schönsten aller Brillen. Es war seine eigene, nun bald zwanzig Jahre alte, gute alte Wayfarer. Die mit dem goldenen Monogramm auf dem rechten Bügel. GFP für Gottes Fritz Pobulski.

„Krieg, Engelchen, Krieg.“ sagte er leise vor sich hin, als er seine Wohnung Richtung „Domizil“ verließ. Jetzt brauchte er doch noch ein nächtliches Bier. Wahrscheinlich eher drei.

Die Garagentür in der Weststadt klappte quietschend nach oben. Klares kühles Herbstabendlicht fiel auf Henriette von Stützerbach. „Na, Vieh. Wie isses? Hier ist Dein Happihappi.“ Eine große, dicht behaarte Männerhand tätschelte Henriettes Hinterkopf. War sie noch vor wenigen Tagen jedesmal über die Kraft erschrocken, die in diesen Schlägen lag und spürte unbändige Lust ihre Zähne in dieses haarige Teil Mensch zu graben, so konnte sie inzwischen eine gewisse Sympathie für ihren Koch und Oberkellner nicht verhehlen. Fräulein von Stützerbach erhob sich also und versenkte ihre Schnauze in den täglichen Berg Pansen, der heute allerdings mit einigen groben Haferflocken versehen war. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie dieses bärtige Mordstrumm von Mensch, dem offensichtlich mehr Haare aus seiner Haut sprossen als ihr, und das ihr, auf einer umgedrehten, leeren Bierkiste sitzend, freundlich grinsend beim Fressen zusah und sie dachte sich: „Aha. Man lernt langsam dazu. Nett.“

„Madame Vieh, sie erlauben?“ sagte Ingo Wolfbeuel, holte ein zerfleddertes Päckchen Halfzware aus der Tasche seines Parkas, den er auch bei Temperaturen, welche die 30 Gradgrenze überschritten hatten, zu tragen pflegte und begann sich eine Zigarette zu rollen.

„Mädel, ich hab ja nicht das Gefühl, das Deine Alte Dich noch will. Ich mag Dich zwar inzwischen, aber Du wirst langsam zum Kostenfaktor. Das Happihappi zum einen, und jeden Tag muß ich mir zwei Zeitungen kaufen. Und die Nervenanspannung zwingt mich die doppelte Menge Nikotin zu vertilgen. Da kommt was zusammen. Dabei ist das gar nicht so wild, was ich verlange von Deiner holden Herrschaft. Ich lese es Dir mal vor und Du sagst mir, was Du davon hältst. OK?“

Ingo zog einen Zettel aus seiner alten Kampfjacke, entfaltete ihn sorgfältig, zündete sich die Kippe an und begann, nachdem er sich eine Lesebrille auf die Nase genestelt hatte, zu lesen, langsam, bedächtig und deutlich, so daß es auch ein Hund verstehen konnte.

„Also so hab ich das mal formuliert: Wenn Sie ihr Vieh – Verzeihung, inzwischen würde ich natürlich anders ausdrücken – also: wenn sie ihren eigentlich doch recht sympathischen Hund unbeschadet zurückhaben wollen, fordern wir sie auf bis Ende dieser Woche in beiden Giessener Tageszeitungen halbseitige Anzeigen mit folgendem Text erscheinen zu lassen.“

Ingo räusperte sich kurz und Henriette hob leicht den Kopf.

„Ich bitte hiermit um Verzeihung und schließe ein so viele meiner Mitbürger, welche öffentlichen Raum im zunehmenden Maße zu ihrem Privateigentum machen und leider nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, ihre vermeintlich dringenden Bedürfnisse dem Rahmen eines zivilisierten Miteinanders anzupassen. Ich bitte um Verzeihung für mein egomanes und rücksichtsloses Verhalten. Ich bitte um Verzeihung, daß ich nicht in der Lage bin, mein Haustier angemessen zu erziehen und zu halten und es so überhaupt erst möglich war, daß mein Hund vor dem schwarzen Engel auf dem alten Friedhof in Gießen einen riesigen, ekelerregenden und respektlosen Haufen hinterließ, den erstens zu verhindern und zweitens zu entsorgen ich nicht Willens war. Das Tier kann nichts dafür! Verzeihen Sie mir bitte! Ich empfinde Scham!“

Ingo ließ das Blatt auf seine mächtigen Oberschenkel sinken, verstaute die Lesebrille, inhalierte etwas Rauch und sagte:

„Doch gar nicht so schlimm, oder Henriette?“

Fräulein von Stützerbach horchte auf. Also hatte sich der haarige Fleischberg doch ihren Namen gemerkt. Er, der er tagtäglich auf seiner Bank auf dem Alten Friedhof saß und vor sich hin sann, während sie, Henriette von Stützerbach, leinenlos herumtobte, im Hintergrund ihr Frauchen demonstrativ laut und schrill ihren Namen kreischte – „Hier, Henriette. Hier, Du böses kleines Mädchen. Eieiei, das ist aber gar fein, mein Herzblatt.“ – und sie, Henriette dabei Röntgens oder andere namenlosere Grabmäler mit ihren Säften besprenkelte. Die Erinnerung an vergangene Erleichterung rief bei ihr nun ein zutiefst hündisches Bedürfnis hervor und sie vermeldete es mit zwei kurzen Kläffern.

„Etwas Geduld, Mädel. Gleich ist es dunkel. Dann ziehen wir los.“

Die Fellpranke schlug ihr sachte auf die Flanke. Noch etwas zögerlich, aber durchaus ernst gemeint, ließ Henriette ihre Zunge über Ingos Hand gleiten.

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So! Pause erstmal. Genug gequatscht. Erstmal was trinken. Das tut gut. “Aaah, erfrischend!” Sagt Frau Pelagia immer. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XIII (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL DREI)

Dienstag, 14. Juni 2011 5:44

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Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

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Henriette von Stützerbach lag auf einer alten stinkenden Pferdedecke, in einer mit allerhand Gerümpel vollgepackten Garage irgendwo in der Weststadt und schlief. Die letzte Woche war anstrengend gewesen. Ein großer Mann mit einer tiefen und strengen Stimme hatte ihr erst einen Maulkorb verpaßt, dann sie an die Leine gelegt, ins Auto gepackt und irgendwo draußen im Wald wurden ihr seltsame Menschenklamotten angezogen, wieder ausgezogen und ständig war ein blitzende und blinkende Kamera auf sie gerichtet. Und der Mann bekam sich nicht mehr ein vor Lachen. Das Gewöhnungsbedürftige an der ganzen Angelegenheit war aber, daß ihr nicht mehr eine quietschend hohe Stimme in den Ohren lag, die sie abwechselnd als „Süße, Edelmäuschen, Herzblatt und mein ganzer Stolz!“ bezeichnete, sondern ein Baß ihr bestenfalls ein knappes „Platz!“ oder „Hier, Dein Fressen!“ hinwarf. Und wenn Sie darüber nachdachte, so weit eine adlige Boxerdame zur Reflexion fähig ist, sie hatte sich noch nie so sehr als richtige Hündin gefühlt wie in diesen Tagen. Und dieser einfache Pansen, den man ihr servierte, mundete ganz vorzüglich. Besser als gedünstete Karotten mit Lammhaschee.

„Nein, ich mache das nicht. Nein, ich mache das nicht. Ich denke nicht dran, mich dermaßen zu erniedrigen, wenn Du und Deine unfähigen Lakaien nicht in der Lage sind, in diesem kleinen Drecksnest eine entführte, gequälte und inzwischen höchstwahrscheinlich psychisch gebrochene Hundedame zu finden.“ Trotz Ihres vor wenigen Tagen erlittenen Nervenzusammenbruchs tobte Gisela Henriette Hellinger, geboren als Gisela Dill in Kelsterbach bei Frankfurt, recht kraftvoll durch das Einzelzimmer in der „Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie“ des Universitätsklinikums Gießen, während ihr Mann in inzwischen perfekt einstudierter Dulderpose auf dem Besucherstuhl neben ihrem Krankenbett saß.

„Liebling. Eine öffentliche Entschuldigung ohne Nennung Deines Namens. Mehr ist das nicht. Die wollen nicht mal Geld.“

„Ich mich für etwas entschuldigen? Öffentlich? Mit halbseitigen Anzeigen in beiden Käseblättern in diesem Kaff? Und wenn Henriette etwas nicht ist, dann ein profanes Haustier. Und ein Vieh schon gar nicht.“ Noch einmal reckte Frau Hellinger ihr Kinn wütend gegen die Decke des Krankenzimmers, um im nächsten Moment in operettenhafter Pose auf das Bett zu sinken und unter ruckartigen und tränennassen Seufzen hervorzustoßen: „Ich habe es kommen sehen. Alles. Ich wollte nie mit umziehen in dieses Siegen.“

„Gießen, Schatz, bitte, Gießen.“

„Das ist doch wohl völlig egal. Lieber Karl Arsch in Frankfurt als Chef in dieser Wüste.“

Und sie barg ihren vibrierenden Kopf unter dem Kopfkissen, zog die angewinkelten Beine in Richtung ihres schlanken, durchtrainierten Bauches und verharrte im Zustand der Regression, leise vibrierend.

Hellinger wußte um die tiefe Sinnlosigkeit der nun möglichen Diskussion über berufliche Chancen und private Abhängigkeiten, atmete tief hinab in seinen Unterleib, preßte die Handinnenflächen gegeneinander, wie er es einstens bei den Entspannungsseminaren an der Polizeihochschule gelernt hatte und strich dann seiner Frau geduldig übers Haar. Er liebte sie, was sollte er machen. Fünf Jahre hatte es gedauert, bis sie ihn das erste Mal erhörte, weitere fünf Jahren vergingen bis sie seinen ersten Heiratsantrag, welchen er ihr etwa fünf Tage nach dem ersten Erhörtwerden gemacht hatte, mit „Ja.“ beantwortete. Dies war wenige Tage nach seiner Beförderung zum Kriminalrat und der entsprechend gehaltvollen Anpassung der monatlichen Zahlungseingänge gewesen. Da Gisela Dill zu dieser Zeit auch ihre Anstellung als Dramaturgin, Kostümbildnerin und Eventmanagerin bei einer kleinen Privattheatergruppe in Frankfurt verloren hatte, weil die Truppe schlichtweg Pleite gegangen war, schmerzte sie das Zugeständnis angesichts ihrer Lage nicht allzusehr.

Hellinger räusperte sich. „Gut, Engel, Du hast ja recht. Wir lassen uns von diesen Verbrechern nicht weich kochen. Ich habe heute meinen besten Mann mit dem Fall betraut. Wir finden das Tier.“

„Das Tier heißt Henriette und jetzt geh bitte und sage der Schwester Bescheid, daß ich den Professor sprechen will.“

Hellinger richtete sich auf seinen Stuhl auf, hörte wie seine Rückenwirbel sich wieder in eine halbwegs aufrechte Position knackten, griff nach seinem Jackett, spürte wie sich eine unendliche Leere in ihm breit machte, stand auf, küßte seine große Liebe auf den noch immer leise vibrierenden Hinterkopf und verließ den Raum.

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So! Pause erstmal. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann! Huch! Da hätte er fast etwas vergessen. Sehr geehrte Frau Eva Pelagia: Das ist für Sie!

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XII (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL ZWEI)

Montag, 13. Juni 2011 6:31

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Und so geht die Geschichte weiter, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

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„Podulski, kommen Sie doch mal kurz rüber.“ Gottfried Podulski, leitender Beamter im Kommissariat 33 der Kripo Gießen, zuständig für besondere Ermittlungs- und Fahndungsaufgaben, erhob sich mit dem wissenden Seufzer eines müden Routiniers aus seinem bandscheibenstützenden Bürosessel, gurgelte seine aufkommende schlechte Laune mit einem Schluck kaltem Roibuschtee herunter, verließ sein Büro durch die stets offene Türe und schlurfte, nichts Erfreuliches ahnend, an den ebenfalls offenstehenden Türen seiner Kollegen entlang, dem Zimmer jenes Mannes entgegen, der vor kurzem den Fluren diese Form der Transparenz und Durchlässigkeit, verbunden mit erhöhter Erkältungsgefahr, verordnet hatte: Kriminalrat Hellinger, der neue Chef der Kripo Gießen.

„Wir sind wie eine große Familie. Wir, die wir die Geheimnisse der Straftäter aufzudecken haben, wir dürfen keine Geheimnisse untereinander haben. Öffnen Sie sich. Die Türen sind nur der Anfang.“ Klingende Worte, unlängst gesprochen von Hellinger anläßlich seiner Amtseinführung.

Podulski fuhr sich durch das zum dezenten Igel hochgegelte Haar, roch kurz an seinen Fingerspitzen – „Irgendwie marzipanig!“ dachte er dabei – und klopfte an die verschlossene Türe seines Chefs. „Herein, wenn`s Podulski ist.“, klang es seiner Anmeldung entgegen. Allein die Frequenz der stets demonstrativ gutgelaunten Stimme des Kriminalrates, versetzte Podulski eine Art von leichtem Stromschlag, in dem Moment, da sie sein Trommelfell erreichte, seine Stirn runzelte sich schmerzhaft, er drückte die Klinke nach unten und trat ein.

„Soll ich offen lassen, Herr Kriminalrat?“

Hellinger verschränkte die Arme vor seiner schmächtigen Brust, legte den Kopf unnachahmlich süffisant zur Seite, schüttelte den Kopf, schürzte dabei die Lippen und Podulski schloß die Tür hinter sich. Er nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Hellinger stand auf, reichte Podulski die Hand, setzte sich wieder, zog rasselnd etwas Luft durch seine Nase, hielt diese ein bis zwei Sekunden an und fixierte sein Gegenüber. Als er wieder anfing zu sprechen, hatte seine Stimme jegliche Verbindlichkeit verloren. Er klang blechern und genervt.

„Podulski, was wir hier besprechen, wird dieses Zimmer nie verlassen. Kann ich davon ausgehen?“

„Wenn Sie das wünschen. Sie sind der Chef.“

„Was ich an ihnen schätze, und lassen Sie mich ehrlich sein, es beruht wohl nicht auf Gegenseitigkeit, was ich aus Ihren doch recht zahlreichen ironischen Einlassungen zu meiner Art und Weise dieses Haus zu führen, entnehmen kann, ist dennoch ihre Geschicklichkeit, gerade bei der Aufklärung , sagen wir, etwas spezieller Fälle.“

Mehr als ein Brummen war es nicht, was Podulskis Stimmbändern entfleuchte. Hellinger holte einen Aschenbecher aus der Schublade seines Schreibtisches, stellte ihn vor Podulski. „Rauchen Sie ruhig.“

Zigarettenrauch kräuselte zur Decke. Hellinger schob ein Foto über den Tisch.

„Schauen Sie sich das mal an.“

Podulski erlitt einen leichten Hustenanfall.

„Was ist das denn?“

„Henriette von Stützerbach.“

„Henriette wie?“

„Boxer aus traditionsreichen Zuchtbetrieben heißen nun mal so. Hundeadel sozusagen, Herr Hauptkommissar. Das ist der Hund meiner Gattin.“

Podulski betrachtete das Foto ein zweites Mal. Er sah einen dämlich dreinschauenden Boxer, dem irgendein Spaßvogel eine Sonnenbrille auf die Schnauze gesetzt, einen – welch alberner Humor – Boxershort über den Hintern gezogen und ein Pappschild um den Hals gehängt hatte, auf welchem stand, „Mir tut es leid.“ Das „Mir“ dick unterstrichen.

„Ich verstehe nicht ganz, Herr Kriminalrat.“

„Ich werde erpreßt. Hier lesen sie.“

Podulski überflog das Schriftstück, drückte seine Zigarette aus und raunzte. „Ein bißchen kindisch. Nehmen Sie das ernst?“

„Ich vielleicht nicht so. Aber meine Frau. Sie wissen, manchmal gibt es gewisse Abhängigkeiten.“ Podulski, seit 10 Jahren erfolgreich geschieden, rang sich ein leichtes Nicken ab.

„Wann und wie ist denn das Vieh, verzeihen Sie, die Dame von Stützerbach verschwunden? Abgehauen? Oder entführt?“

„Meinethalben, nennen Sie das Vieh ruhig Vieh. Seit Samstagabend letzter Woche. Beim Gassi gehen mit meiner Frau. Auf dem Alten Friedhof.“

„Herr Hellinger, soweit ich informiert bin, sollen die Hunde dort, falls sie da überhaupt etwas zu suchen haben, an der Leine geführt werden. Ist da was gerissen?“ Hellinger winkte entnervt ab.

„Verkneifen Sie sich ihre dummen Scherze. Sie kennen meine Frau nicht. Die Leine ist für sie ein Teufelswerkzeug, andererseits ist, lassen Sie mich es so formulieren, ihr erzieherischer Einfluß auf Henriette von Stützerbach schon immer eher gering gewesen. Was genau vorfiel, darüber weiß ich auch nicht Bescheid. Meine Frau hüllt sich in Schweigen. Finden Sie diesen Wahnsinnsvogel, der mich seit nun bald einer Woche täglich mit diesen Fotos belästigt. Und finden Sie Henriette. Und ich wiederhole meine Bitte, Dezenz, absolute Dezenz im Umgang mit dieser Geschichte. Hier.“ Hellinger schob einen Umschlag über den Tisch. „Hier die restlichen Fotos.“

Podulski erhob sich. Es fiel ihm schwer nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, doch gleichzeitig krampfte sich in seinem Magen ein veritabler Wutanfall zusammen. Er schlug den Umschlag mehrmals rhythmisch in die Innenfläche der linken Hand und räusperte sich.

„Herr Hellinger, macht es Sinn, wenn ich mal mit Ihrer Frau spreche?“

„Im Moment eher nicht. Sie liegt mit einem Nervenzusammenbruch in der Uniklinik. Gehen Sie jetzt, machen Sie sich ein paar Gedanken und teile Sie mir diese mit. Schönes Wochenende.“

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE XI (KOPFLOSER ENGEL / KAPITEL EINS)

Sonntag, 12. Juni 2011 5:55

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Und so beginnt die Geschichte, die Archibald Mahler einfiel, als das Viech sein Bein hob:

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Ingo war sauer, sauer und im Streß. Und wenn er etwas verabscheute, dann war es Streß. Wenn es von allen Seiten an ihm zurrte und zerrte, wenn er spürte wie erigierte Zeigefinger sich in seine Richtung streckten und vom ihm wissen wollten, ob er schon Vollzug melden könne. Das haßte er. So wie grad eben. Fünf Minuten vor Beginn der Sportschau. Mitlifekrise machte ihn mal wieder wahnsinnig. Nein, nicht diese angeblich alle Männer über 30 befallende Phase des Zweifelns und Haderns, die letztlich in der Feststellung mündet, daß jede Pubertät zwangsläufig irgendwann ein Ende finden muß, selbst wenn Mutti bis zum Beginn der Frührente immer noch die Klamotten wäscht. Nein: „MITLIFEKRISE“, das war die legendäre Giessener Punkcombo, gegründet Ende der 80er Jahre des letzten Jahrtausends, als Punk eigentlich schon vor sich hin moderte wie der Leichnam von Sid Vicious. Aber in den Giessener Clubs und Kellern jener Tage fanden sie doch noch etliche offene und bierselige Ohren, die die Fahne des kurzen und schnellen Liedgutes hochhielten. Nach raschen Anfangserfolgen und einer gewissen sogar überregionalen Wertschätzung in der betreffenden Szene, verwalteten die Bandmitglieder nun seit bald zwanzig Jahren mit gelegentlichen Auftritten im wesentlichen ihre ewige Jugend. „MITLIFEKRISE“, damals noch ein ironischer Einfall überheblicher Adoleszenz, war nun schlichtweg Alltag geworden. Unlängst hatten die Jungs sogar darüber nachgedacht sich in „BANDSCHEIBENVORFALL“ umzubenennen. Aber wie der Gott der drei Akkorde es wollte, war ihnen vor einigen Monaten – nach einem inspirierenden Gastspiel in Hamburg, der Stätte ihrer größten Erfolge – in den Sinn gekommen, wieder mal einen Tonträger zu produzieren. Und wenn vier berufstätige Mittvierziger, teils in festen Verbindungen, teils scheidungserprobt und mit Erziehungsaufträgen behaftet oder zur Lieblingsfreundin Dosenbier zurückgekehrt, dies bewerkstelligen wollen, dann dauert das. Und Ingo, Ingo Wolfsbeuel, war der Manager dieses Haufens. Manager war ein bißchen hochgegriffen. Er kümmerte sich meist um das Unangenehme, hielt den Laden zusammen und seine Entlohnung bestand im wesentlichen aus der längsten Grillwurst beim jährlichen Bandgrillabend und gelegentlichen Magenverstimmungen nach der Teilnahme an Sitzungen des Bandrates, bei der fünf über Vierzigjährige das Trinkgebaren von Abiturienten nachzustellen versuchten.

Soeben hatte sein Handy das Intro von „Pretty Vacant“ von den Sex Pistols gedudelt. Die Band ruft.

„Bingo Ingo hier.“

„Hi Wolfsbeutel.“ – Ingo mochte diese Verballhornung seines Namens nicht wirklich – „hier ist Gottes Fritz. Der Bandrat hat noch mal getagt. Wir machen das mit dem Coverfoto so wie besprochen. Aber der dafür gebuchte Fotograf hat einen Job für REWE annehmen müssen, Joghurt oder so was fotografieren. Also mußt Du das jetzt machen. Und wir brauchen das Ding morgen, spätestens übermorgen früh. Die Plattenfirma macht einen Scheißdruck. Wir hätten zu lange rum gemacht und wir sollen in die Hufe kommen.“

„Hey Fritz, jetzt ist Samstag, gleich ist Sportschau und dann „Wetten daß?“. Wann soll ich das bitte auf die Reihe kriegen? “

„Du machst das schon. Die Band sei mit Dir. Ich komm gleich bei Dir vorbei und bring Dir das wichtigste Requisit. Bis denne.“

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So! Pause erstmal. Archibald Mahler erhebt sich und macht sich auf zu einer neuen Bank. Und dem nächsten Kapitel. Bis morgen dann!

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE X

Samstag, 11. Juni 2011 16:40

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Archibald Mahler ist entzückt. Alles so schöne Bänke hier. Er kann sich gar nicht entscheiden. Bänke und Ruhe. Weiße Schäfchenwolken jagen über den vorpfingstblauen Himmel. Warum war er hier noch nie gesessen? Den ehrenwerten Ernst Albert kann man nicht mehr fragen. Der hat den Bären hierher geführt und jetzt ist er weg. Eva Pelagia wird bald – halt, keine Zahlen! – jedenfalls feiert sie demnächstens einen sehr runden Geburtstag. Viel zu tun für jemanden, der liebt. „Jetzt sitz ich endlich hier! Gut so!“ Archibald Mahler bleibt entzückt. Der Bär läßt die Blicke schweifen über all diese Sitz – und Denkangebote auf dem Alten Friedhof der hier und heute überhaupt nicht Häßlichen Kleinen Stadt in Mittelhessen. Welche Perspektiven! Sich treiben zu lassen von Bank zu Bank und über jenen, die hier ruhen, hirnen über Vergangenes und Morgiges und überhaupt. Und die Ruhe! Und die Bäume so alt und die Steine und die Erinnerungen und knirschender Kies unter den Pfoten beim Gang von Bank zu Bank. Und – nicht vergessen – der Sammlung der Bänke des Herrn Mahler wahrhaftige Perlen hinzufügen zu dürfen. Der Bär euphorisiert gerade etwas vor sich hin. Hebt er ab? Keine Sorge, denn da ist der Aufrechtgeher vor. In diesem Fall eine Aufrechtgeherin in Begleitung eines kleinen Vierbeiners, der natürlich nicht an den Ausgehstrick gebunden. Freiheit, Du kostbares Gut! Hier mag man sich austoben! Wo die Toten wollen ruhn! Der kleine Vierbeiner – Ernst Albert hätte ihn wohl, politisch unkorrekt, jedoch in allen anderen Belangen auf den Punkt, als Genitalstimulierdackel bezeichnet (Wieso schreibet ihr it eifach Vozzelecker? Gruß vum Säzzer!) – scheint auf der Flucht zu sein. Verständlich! Die übers Kies stöckelnde Aufrechtgeherin ruft das arme Viech in einem Gemisch aus deutschen, englischen und spanischen Wortfetzen zur Raison. Sie versucht es zumindest! Nun, wer in Mittelhessen leben muß, möchte wenigstens beim öffentlichen Erziehen eines Dackels eine gewisse Weltläufigkeit an den Tag legen. Und jetzt? Archibald Mahler kneift die Augen zusammen. Glaubt er das? Er muß, denn er sieht es. Das Viech wird zum Dreibeiner, einer seiner vier Laufstecken schwebt über einen Grab. Es wird doch nicht, das Viech? Der Bär schließt die Augen. Der Schändung einer gottgeweihten Ruhestätte möchte er nicht beiwohnen. Schändlich! Und da fällt ihm eine Geschichte ein. Er öffnet die Augen. Die hysterische Stöckeltante ist verschwunden, ebenso das Tier. Hat man es getan? Vielleicht! Und die Geschichte? Was ist mit der? Ab morgen. Erst mal eine neue Bank!

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE IX

Donnerstag, 9. Juni 2011 23:24

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„Gut, wenn man einen Chef hat.“ Wer hat das gesagt? Keiner! Archibald Mahler hat es gedacht, als der ehrenwerte Herr Ernst Albert aus der loungigen Restauration mit den roten Regensonnenschirmatoren vis a vis des Bären gesammelter Bank Numero Acht auf ihn zu trat und die folgenden Worte sprach: „Lieber Bär und Weggenosse! Folgendes nur: die Beschäftigung mit und die Betrachtung dieses herzlosen Platzimitats schmerzt lediglich. Lasse man es sein!“ By the way: das Lied gefällt dem Bären. Was ist aber die Botschaft? „Fertig!“ Sagt der Chef. Was meint der Chef? „Ich und das. Beides heute fertig!“ Und dann – es regnet auch schon wieder – wird der Bär gepackt und man trägt ihn irgendwo hin. Aha! Musentempel. Nicht im Heckerland wie kürzlich, sondern nun in Mittelhessen. Da steht eine Bank. Keine Bank, eher ein Banksofateil. Hinschauen! Man sieht! Auf dem Banksofateil sitzen zwei ältere Herren und reden über Enten und den Tod und Hagelschlag und Flinten und Kentalupen und nie über Frauen, aber über Leitvögel und den Zoo und die letzten Dinge und gelegentlich essen sie auch eine Banane, pinkeln ins Schilf neben dem Banksofateil und Verschwörungstheorien gibt es auch. Aber keine Gurken. Der Tod ist noch unterwegs. Davon reden die Herren. Sie bemühen sich zu begreifen, wovon sie sprechen. Aber Herr Ernst Albert ist nicht zufrieden. Natürlich. Dafür bekommt er sein Geld. Für das nicht zufrieden sein dürfen. Bis es zu Ende ist. Dann gehen die zwei alten Männer nach Hause. Im September trifft man sich wieder. Der Bär und sein fertiger Chef sind nun alleine. Auch der Bär ist fertig. Mit sich, der Welt und weiß man es, mit was sonst noch oder einfach auch mal müde? „Darf ich mal auf das Banksofateil?“ Keine Einwände. Da hängt er nun im Eck, der Herr Archibald Mahler. Und bemerkt etwas. Bemerkt, daß die zwei älteren Herren, die nun nach Hause gegangen sind, ständig über die letzten Dinge gesprochen haben. Und von dieser Sehnsucht nach und der Angst davor, wenn sie dann kommt: die Ruhe. „Gibt es in der Kleinen Häßlichen Stadt auch Bänke, wo man eine Ahnung der letzten Dinge?“ Und obwohl oder gerade weil der ehrenwerte Herr Ernst Albert fertig und fertig ist, packt er seinen Freund und Bären und man geht. Wohin? Das sehen wir dann schon. Morgen ist auch noch eine Bank.

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE VIII

Mittwoch, 8. Juni 2011 23:01

bank08

Andere Bank und selber Anblick. Einfach nur ein paar Meter nach links gerutscht. Anderer Sichtwinkel auf denselben Platz. Wo die von vor der letzten Bank nicht mehr da sind. Danke schön. Schöner wird der Platz dennoch nicht. Archibald Mahler denkt folgendes. Ein Bär hat ein Herz. Ein Aufrechtgeher hat ein Herz. Bemerkt man zwar nicht immer, aber: ein Aufrechtgeher hat ein Herz. Eine Stadt, sogar wenn sie klein, häßlich und in Mittelhessen, sie hat ebenfalls ein Herz. Sollte sie zumindest. Weil: Herz verpflichtet. Jeder, der ein Herz hat, muß sich ab und an um diesen Motor kümmern. Auch Städte. Und jetzt schau dir das mal an. So etwas nennt sich Platz? Der Bär versucht einen Platz zu erkennen. Er sieht lediglich: Verwahrlosung. Wüstenei. Vergeßlichkeit. Paare. Passanten. Pflasterstein rein. Pflasterstein raus. Drunter leider kein Strand, sondern nur Peinlichkeit. Geldmangel allein erklärt keine Lieblosigkeit. Schau mal hin! Zertrampeltes Restgras. Rollendes Leergut. Werbende Regenschirme. Lounge und noch mal Lounge und bemöbeltes Pflaster. Bankimitationen, die jeden denkenden Pöter einfach nur beleidigen. Öffentlicher Raum degradiert zur gelegentlichen PARTYZONE. Eventkasperei all around the calendar! Schlittschuhläufer! Trommelnde Lehrer! Minderjährige Flashmobber im Auftrag vermeintlicher Hochkultur! Hüpfen für den Frieden bei Nacht! Bierzapfen für Steuersenkungen! Zeig mir Deine Langeweile und ich mache mit! Kennst Du meine Mutter und spiel mir ihren Hit! Vor den den so called “Platz” einrahmenden Einkaufsbuden: öffentlicher Raum privat verdreckt. In den Einkaufsbuden: clean geleckte Regale und die Sauberkeit bewacht von der SECURITY. Niemand möchte so aussehen wie die Jungs mit der Aufschrift SECURITY auf ihren Beulen umspannenden Hemden! Oder etwa doch? Draußen: Paare. Passanten. Schicke Fassaden. Drinnen: synapsentote, von niemandem verantwortete Verwahrlosung. Man kann jetzt auch mit dem Handy Rechnungen bezahlen! Weia! Archibald Mahler bemerkt, daß er sich gerade in Rage denkt. Aber bitte, schaut Euch einfach mal diesen Platz an. So zehn bis neunzig Minuten lang! Urban Landscape? Potzrembel und Waldfee aber auch! Entsetzlich! Urban Landscape! Da hilft es auch nicht, daß alle paar Wochen die Oberbürgermeisterin den Turm am Rande dieses Platzes besteigt und in ihre Flöte beißt, während die Türmer „Üb immer Treu und Redlichkeit“ blasen. Archibald Mahler steht auf. Es gibt auch noch andere Bänke. Wo? Das sehen wir dann schon. Morgen ist auch noch eine Bank.

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE VII

Montag, 6. Juni 2011 22:32

bank07

Sie sind fort. Dank allen Bärengöttern. Sie sind fort. Der lang erwünschte Regen war auf die Kleine Häßliche Stadt in Mittelhessen herabgeregnet und so dachte sich Archibald Mahler, daß es gescheiter sei, sich eine neue Bank in der Nähe der Höhle von Frau Eva Pelagia und Herrn Ernst Albert zu suchen. Downtown. Man weiß nie. Hagel. Blitz. Donner. Tornados. Schrecken. Flut. Und dann waren da plötzlich die, die jetzt endlich fort sind. Hier auf diesem Platz, dieser Leerstelle, diesem ästhetischen Nichts im Zentrum der Kleinen Häßlichen Stadt. Warum? Warum so viele? Sie waren hier, weil sie Angst haben und Gutes tun wollen. Ham sie zumindest gesagt und plakatiert. Angst davor, daß überall Nippon wird und deshalb muß man hier alles abschalten. Und was machen sie? Das machen sie: Zwei riesengroße Blechmilben mit Ladeflächen stehen an den Rändern dieser urbanen Wüste. Es dröhnt. Beats nennen sie das. Laut. Elektrisch. Boxen. Vibrierende Membranen. Was benötigt man, um diese zum Klingen zu bringen? Wahrscheinlich Möhrensaft oder kalte Bohnensuppe. Die muß man dann aber erst pürieren. Der Bär kratzt sich am Pöter. Haben die denn alle den ihrigen A. offen bis zum T-Shirtrand? Verballern Energiesaft ohne Ende, um gegen das sinnlose Verballern von Energiesäften aller Art zu „demonstrieren“? Falscher Begriff. Politisch korrektes Abchillen nennt sich das wohl. Archibald Mahler sieht sie auf der Stelle rumhüpfen. Das tut den Bierbüchsen in ihren Händen nicht gut. Sie schäumen über. Auch die Mägen einiger Tänzer demonstrieren gegen ihre Besitzer. Besser nicht hineintreten in die Hinterlassenschaften des politisch korrekten Abchillens. Jetzt versteht der Bär. Wer diesen Weg einschlägt, der braucht nicht die böse Energie aus Nippon. Jene böse Energie aus dem fernen Nippon, das ja überall ist und deshalb abgeschaltet werden muß, wie auf den Buttons auf ihren losungsbeflockten T-Shirts zu lesen ist. Denn hier und heute hat man sowieso die Lampe an. Archibald Mahlers Magen rumpelt. Da müsste was raus. Er hält es zurück. Einige der Tänzer haben sich weiße Stoffbänder um ihre Oberarme gebunden. Im fernen Nippon ist dies ein Zeichen der Trauer. Hier aber wird getanzt. Im Regen. Und gekotzt. Entschuldigung! Ist aber so! Leere Bierbüchsen rollen über einen unendlich traurigen Platz im Zentrum der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen. Der Bär kann sich nicht vorstellen, daß ein einziger Mensch im fernen Nippon, der Haus, Gesundheit und Zukunft in den Wellen des Pazifischen Ozeans verschwinden sah, sich durch dieses selbstverliebte und besoffene Gehopse verstanden, geschweige denn gewürdigt fühlt. Ach, warum nur sind die Aufrechtgeher, die sich über andere Aufrechtgeher aufregen, so wie die Aufrechtgeher über die sie sich gerade aufregen: Atemlos vor lauter Selbstverliebtheit? Oder Verzweiflung? Der Bär wird es nicht herausfinden heute. Später vielleicht mal? Das sehen wir dann schon. Morgen ist auch noch eine Bank.

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DR. A. MAHLERS GESAMMELTE BÄNKE VI

Samstag, 4. Juni 2011 16:27

bank06

Neue Bank. Gucken wieder! Da! Doch noch Wasser vorhanden. Nicht viel. Verglichen mit letztem Jahr. Letztem Jahr? Äpfel und Birnen kann man nicht vergleichen! „Was aber steht uns zur Verfügung, wenn wir urteilen wollen? Nur der Vergleich. Selbst wenn er hinkt.“ Hat der ehrenwerte Heinrich Böll gesagt. Er war Aufrechtgeher, Rheinländer und der Chronist der Geschichte dieses Landes in jenen Jahren nach der Großen Flut. Genau! Flut! Archibald Mahler fällt was ein. So ist das! Flut! Deswegen zu Fuß meiner neuen Bank: die künstlichen Gewässer. Überflutungsbecken nennt man sie! Von Aufrechtgehern angelegt. Neben den Ufern der Lahn. Wenn die Lahn mal voller sein sollte als ihren Ufern lieb. Weil, falls die – drunter macht es der Aufrechtgeher nicht – Jahrhundertflut ante muros. Dieses, letztes oder nächstes Jahrhundert? Wenn in Spanien die Gurke gedüngt wird, treten die Wasser über die Ufer. Quatsch! Wenn die Wasser über die Ufer treten, hat keiner mehr Zeit für Gurken! Quatsch! Wenn in China eine Gurke in die Lahn fällt, ruft Frau Merkel jemand an! Oder so? Die Afrikaner sind schuld, weil sie zu blöd sind in Hamburg Schiffe mit Gurken zu löschen! Oder anders? Es gibt irgendwo einen ganz, ganz bösen Gurkenvergifter! Welche Katastrophe hätten`s denn gern? Wo liegt Japan? Wer Österreich in letzter Minute schlägt, ist ein glückliches Land und muß nicht heiraten? Tu felix germania klage! Der Bär schwitzt. Es ist schwül. Gewitterfronten. Im Radio. Existieren Gewitterfronten, die lediglich im Radio? Gibt es diese tatsächlich? Unwetterwarnungen? Kachelmann schweigt. Hoffentlich für immer! Wer nur mit Handschellen? Steifftierchen und armer Wicht! Der Himmel wird schwarzer und schwarzer. Archibald Mahler denkt nach. Zum einen: mehr Wasser in diesen Kunstteichen wäre gut. Wie letztes Jahr? Keine Vergleiche. Aber auch: letztes Jahr hat der Bär über den Regen geflucht, den er heute sucht. Reimt sich! Hat wer geklagt? Ein Bär ist auch nur eine Art von Aufrechtgeher. Weia! Auf den letztes Jahr angelegten Teichen schwimmen, rudern, tauchen und gründeln Enten und Vögel und Tauben und Reiher und Haubentaucher. Und ist das da hinten ein Kormoran? Egal! Man kann hier gut sitzen. Da ist sich der Bär sicher. Ganz gewiß. Und wenn die Flut kommt? Hier kommt die Flut. Aber von wo? Das sehen wir dann schon. Morgen ist auch noch eine Bank.

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