Beiträge vom 17. August 2014

Wolziger Seelegien / Acht / Scheißwetter

Sonntag, 17. August 2014 0:01

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Diesen einen Tag gibt es immer wieder. Im Leben. Im Urlaub. Im Fußball. Und sonst. Der Wetterteufel scheißt am dicken Haufen nicht vorbei. Es regnet nicht, es schüttet. Man erwartet jeden Moment, daß die Arche Noah um die Ecke schwimmt und darf aber davon ausgehen, daß man in seiner gottgegebenen Mittelmäßigkeit gewiß kein Ticket für die Fahrt auf den Berg Ararat gewonnen hat. Vielleicht der Archibald Mahler mag da mitfahren, aber nicht ein durchschnittliches Gescheitle namens Aufrechtgeher. Also bleibt: man muß im Selbstmitleide seiner Verkanntheit ausrufen: „The full catastrophy!“ Sonst?

Der Schmerz in Ernst Alberts Kreuz löste sich langsam auf, jedoch vor dem Fenster seines Zimmers am Wolziger See zog es sich zu. Feuchtigkeit kroch durch alle Ritzen und ins Gewebe. Offene Schleusen. (Eben nicht. Aber davon unten.) Aus Pfützen wurden Seen, die Luftfeuchtigkeit rheumatisierte freudig vor sich hin und dann noch dieses Prasseln. Dieses penetrante Getrommel. Dieser gnadenlose Tropfenbeat. DJ Nordmeertief legt auf. Unaufhörlich, wie das Gebrabbel eines Sportreporters. Gut, nicht ganz so unerträglich, aber schlimm aber auch. „Scheißwetter!“ Ernst Albert fluchte und lachte doch, da der Oberlehrer in ihm ihn daran erinnerte, wie dies Wort, dieses so oft unbedacht ausgesprochene Wort „Scheißwetter“ einst entstanden. „Und, Albi, wosch es noch?“ „Klar, Göbi! Also: Wie damals im Mittelalter der Durchschnittsgermane und heutige Faulsack noch nicht ans öffentliche Servicenetz angeschlossen war und man einst – so definierte man Familie – ‚ins selbe Nachtgeschirr gepisset’ (Zitat Herr Luther) oder – so bekräftigte man die Freundschaft – ‚durchs selbe Loch geschissen’ (auch von Luther), da ließ man den Topf, Krug oder welch Gefäß auch immer, im Zimmerlein stehen bis das der Regen wieder nieder rauschte. Dann trat man ans Fensterloch und mit entschlossenem Schwung hinaus mit dem Geschäft auf die Gass’ und der Wasserschwall nahm den Unrat mit, wohin auch immer.“ „Genau! So isch es!“ Ernst Albert blickte aus dem Fenster und dachte: Ein ordentliches Scheißwetter also braucht man und wird so tätig und räumt auf. Bene! Es hat auch lang genug gestunken im wohlfeilen Sonnenschein.

Herr Archibald Mahler wiederum hatte sich einen gänzlich unphilosophisch nassen Arsch zugezogen auf der Bank, auf der er saß. (‚Arsch’ darf man mit Luther sagen und die Mark Brandenburg ist sowieso Protestantenland.) Conclusio: Schleusenwärter hin und her, solch ein Wetter fesselt den Aufrechtgeher an sein Heim und deshalb in Sachen ‚Niveau hoch und dann wieder runter, um die Weiterreise der Schiffe in all den Gewässern zu ermöglichen und zu sichern’, da stellt bär fest, da iss nüscht los, und: Mahler, da kannste dich vom Acker machen. Und jetzt sitzt folgendermaßen der Bär am Rand eines Ackers und bemerkt, daß so ein ‚Scheißwetter’ doch eine rechte Freude ist. Herrliche Einsamkeit! Diese Ruhe. Hörst du? Eben! Herrlich.

Ernst Albert aber ist unruhig. Er hatte dem Archibald Mahler doch versprochen, ihn an der Schleuse in Kummersdorf abzuholen, um dann nach Märkisch Buchholz zu radeln. „Scheißwetter!“

Archibald Mahlers Fell saugt sich mit Wasser voll, aber bevor er zu schwer wird, schreibt er ein Verslein, welches er morgen dem Ernst Albert überreichen könnte, wenn der ihn abholen will und die Sonne zurückgekehrt sein wird.

Scheißwetter

Über dem Kopf / dem von vorgestern / den zu verlieren ich anstrebte / über allem was mir noch fremd / flogen Schwalben dahin / Die nächste Hitze / die da kommen mag / drückt alle Mücken / zu Boden.

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Thema: Wolziger Seelegien | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth