Beiträge vom 25. August 2014

Wolziger Seelegien / Vierzehn / Abschied

Montag, 25. August 2014 12:39

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So mancher Abschied mag nicht gelingen. Selbst nach wiederholtem Versuchen. Man sagt dann, es bliebe immer etwas zurück. Ruft die Arbeit den Einen, der da auf einen See blickt und nachsinnt, bleibt nicht viel von ihm zurück, da am See. Es besteht jedoch für den Gerufenen durchaus die Möglichkeit etwas mitzunehmen. Keine Steine, Tannenzapfen, Postkarten, Rechnungen, eher Unaussprechliches.

Ernst Albert packt den Koffer und Archibald Mahler schaut derweilen noch mal nach dem See. Der Sonnenuntergang war in seiner leicht pathetischen Kitschigkeit so bestellt. Archibald Mahler hielt ein eng beschriebenes Blatt Papier in der Tatze. Jemand hatte ihm dieses Schriftstück geschenkt. Als Wegzehrung. Wer? Na, der von gestern wohl! Gewiß! So oft hatte der Bär am See nun schon diese Worte gelesen, daß er begann sie auswendig vor sich her zu sprechen:

„Dichten heißt: nicht Schamane sein, nicht Beschwörer, nicht Überredner, nicht Gefühlsexzentriker. Das heißt, nicht Gefühle über Dinge sagen, sondern die Dinge so sagen, daß sie gefühlt werden können. Nicht eine Sache interessant machen wollen, sondern das Interessante der Sache entdecken. Nicht die eigene Begeisterung herausposaunen, sondern das Hinreißende der Sache zur Sprache bringen.“

Ernst Albert trat ans Ufer, seinen Bärenfreund über die bevorstehende Abreise in Kenntnis zu setzen. Der wedelt mit dem Schriftstück.

„Mensch, Herr Albert, hier! Wir können ja noch einiges lernen!“

„Hast Du es auch gefunden? Das ‚Kleine ästhetische Bekenntnis’ von Georg Maurer. Hm, ja, viel können wir noch begreifen.“

„Und wir hätten doch noch so viel zu erzählen, vom See, dem Engel, den Wanderungen, drinnen und draußen und allem. Oder? Wir müssen hier bleiben. Ich will nicht zurück in die kleine häßliche Stadt in Mittelhessen. Nie mehr.“

„Kindskopf! Budnikowski und Pelagia erwarten uns und der Musentempel ruft, laut und das leere Konto auch.“

„Und was ist mit den übrigen Geschichten? Etliche: Vom dem Adler in mir und den Tätern und Opfern. Die Flucht in die Mythen. Die Schleuse und das sinkende Niveau. Kuddels bunte Kiste. Die Wichtel im Wald und das einsame Würzfleisch. Die Blossiner Fischerhütte und die Systemreste. Der gebackene Aal, der Zander und Fischbrötchen erlegen den Schmerz. Charlie und wie ihr Vater am nächsten Tag am Nebentisch Wodka trinkt und zu laut verzweifelt. Willi mit den glänzenden Trinkeraugen in seiner Dorfkneipe, der letztes Jahr zum ersten Mal im Westen war. Und nichts vermisst. Der alte Theatersaal in Kolberg und wie Sie dort mit Wachtmeister Krause Atemübungen machten, betrunken. Die Kirche in Dahmsdorf und das Haus, daß wir dort kaufen wollen, inklusive Gräbstätte. Fühmanns Reise nach Salzburg und Ihr Deja vu vom letzten November. Die Kraniche über unseren Köpfen gestern. Buckow und die Spuren der Familie von Bülow. Und und und.“

„Wir kommen zurück, entweder hierher oder dorthin. Ich muß nun wieder nach Portugal und mich mit Herrn Pereira unterhalten!“

„Dann fahre ich mit Herrn Budnikowski in die Berge! Ganz allein!“

„Tu das!“

„Und wir reden nur Blödsinn!“

„Auch gut! Los jetzt!“

„Nur wenn Sie mir im Zug mehr von diesem Maurer vorlesen!“

„Gerne!“

Das was Archibald Mahler an einem regnerisch kaltem Augusttag, in einem Zug kurz vor Stendal von Herrn Ernst Albert vorgelesen bekam, war eine Passage – hier aus allen Zusammenhängen geklaut und vogelfrei zitiert – aus dem ‚Tagebuch eines Lyrikers’ von Georg Mauer, geschrieben 1949. Wie klar, wie frisch heute noch.  (Danke Herr Gunnar Decker für die erhellende Fühmann – Biographie!):

„ (…) Über die Toten kann man sprechen, was man will. Sie stehen nicht mehr auf, um sich zu verteidigen – oder dein Lob schamhaft zu dämmen. Sie erschlagen dich nicht, wenn du sie schmähst, sondern deine Lüge erschlägt dich, sie erheben dich auch nicht, wenn du ihnen gerecht wirst, sondern deine Gerechtigkeit erhebt dich. Versprich nicht – denn, wenn man verspricht, verspricht man sich zumeist. Denn deine Zukunft gibt nichts auf dein Versprechen… Beruf dich nicht auf die Vergangenheit, um dich zu erweisen. (…) Sage, wie es um die Gegenwart steht. Denn das sind immer die süßesten Worte, auch wenn es bittere Pillen sind. Denn sieh, das lebendige Blut in uns ist immer süß, auch wenn es uns weh ums Herz ist. Denke über die Vergangenheit nach, aber denke dabei, daß du darüber nachdenkst und du nicht die Wahrheit der Vergangenheit, sondern deine Wahrheit auffinden willst. (…)“

Zug fahren macht müde, Abschied auch und Heimkehr sowieso. Also ist der Herr Archibald Mahler eingeschlafen. Ernst Albert schaut für Mahler aus dem Zugfenster in die Welt. Dem Ernst Albert ist es ein Stück weit heller als auf der Hinfahrt. Doch viel Nachsinnen noch ist weiterhin. Davon berichten? Nachsinnen. Ernst Albert packt seinen Bären – die baldige Ankunft in der kleinen häßlichen Stadt ward eben ausgerufen  – und was wächst dem Mahler auf dem Rücken? Flügel gar? Bis bald!

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Thema: Wolziger Seelegien | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth