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Around the world in 365 days, 8784 hours, many mighty minutes and minutes and waste weeks

Mittwoch, 30. Dezember 2015 20:06

syl15

Karten und Briefe wären noch zu beantworten, gestorben wird im Minutentakt und der Bär ist von seiner Runde zurück. Zuerst ein Lied der Andacht. Der Bär nickt mit.

„Die Mundharmonika gefällt mir gut!“

„Ich würde Ihre Weihnachtswünsche gerne noch beantworten, lieber Mahler, aber ich finde den rechten Vogel nicht, der diese zu Ihnen trägt. Es sind zu viele auf dieser Karte.“

„Sind Sie jetzt David Robert Jones, oder war mir nur etwas erschienen?“

„Ach Identitäten. Ich werde ihnen später ein Liedchen zur Beantwortung Ihrer Frage pfeifen. Ich gestehe jedoch, der Blick in den Spiegel hatte mich überrascht. Wie war das Jahr nun abschließend, das hinter uns liegt?“

„Kratzig. Nächstes Jahr werde ich mir ein anderes Toilettenpapier zulegen.“

„Und sonst?“

„Naja, fünfhundertsiebenundzwanzigtausendundvierzig Minuten Anwesenheit auf diesem Planeten der Kuriosität und Traurigkeit und, lieber Budnikowski, nächstes Jahr wird sich nichts ändern!“

„Doch, andere werden sterben.“

„Wird denn keiner mehr geboren?“

„Schon. Aber wir werden jene nicht kennenlernen!“

„Naja, dann tun wir so als hätten wir die Gestorbenen gekannt!“

„Das alte Spiel! Mahler, was sahen Sie auf Ihrer Runde?“

„Ich schlich an Wänden entlang. Ich traute mir das freie Feld nicht zu. An den Wänden lehnten ausgespielte Karten. Ich stieß dagegen. Sie fielen um und das erschreckte mich. Ich brach die Runde ab. An den Wänden finden sie nun die Abdrücke meiner Tatzen. Nächstes Jahr versuche ich es erneut. Ich werde das freie Feld mit einem Segler queren. Es soll ja kräftig regnen.“

„Nehmen Sie mich mit?“

„Das weiß ich noch nicht.“

„Verwirren Sie meine diversen Identitäten?“

„Zugestandenermaßen, ja!“

„Hömma, dat wird sich nicht ändern lassen, auch in die nächsten achttausendundvierundachtzig Stunden eher nich.“

„Dann pfeifen Sie mir Ihr Lied!“

„Gerne!“

Der Schrank neigt sich, der Hut rutscht und der Bär und der Hase versuchen alles unter den Einem zu verstauen. Noch hält das kommende Jahr die Füße still, wir seh’n uns wieder im April!

Thema: Bemerkungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mahlers Brief, welcher durch puren Zufall so datiert wie hier zu lesen ist, aber trotzdem!

Donnerstag, 24. Dezember 2015 14:41

brief4

Lieber Budnikowski,

messen Sie dem Datum meiner Antwort auf Ihre Leberwurstfrage keine Bedeutung bei, es handelt sich lediglich um einen zufälligen Zusammenstoß diverser Assoziationsketten. Aber auch der Zustand, in dem der aktuelle Winter sich befindet, wäre zu erwähnen, denn ein jeglicher Versuch mich in den Winterschlaf fallen zu lassen endet in Unruhe, öffnet meine Augen und diese erblicken blühende Zweige. Japanische Zierkirsche. Nachtreibende Margariten. Weidenkätzchen. (Betreffs Ihrer Nebentätigkeit nur dies: das Ei ungefärbt belassen oder braten, bitte!) „Das Kind“, welches nun einen spanischen Namen trägt, ist wütend aus der Krippe geklettert und umtost mit der Wucht kreativer Zerstörung die Küsten und Gestade. Gezeitenströme verirren sich und Luftmassen fallen orientierungslos vom Himmel herab. Der Aufrechtgeher hat wieder Grund zu jammern. Selten dämmert ihm, daß Wesensmerkmal der vielbesungenen Freiheit es ist, nicht so viele Dinge zu tun, sondern dies zu unterlassen. Und so schreibe ich Ihnen zu, sollte Sie ein Anfall von transzendentaler Bedeutungshuberei überfallen:  das Leberwurstbrot an der Wand ist die rechte Wahl. Gerne auch gefasst oder gerahmt. Den Meisten ist das Rauschen vor den verspiegelten Fenstern der eigenen Imwaldität sowieso wurscht, wichtig ist die Erregung coram publico und daran herrscht wahrlich kein Mangel. Corizo corazon, Companero!

Kürzen wir ab und schließmuskeln, mein lieber Denkgenosse. Das letzte Jahr war laut und neigte zur geistigen Leere. Steigen wir also am heutigen Tag auf die Blauen Berge, blicken wir am heutigen Tag in die Himmel, suchen wir am heutigen Tag ein anmutiges Ritual. Vielleicht liegt es irgendwo im grünenden Gras. Neben einem Weihnachtsei!

Ach ja, kann man eigentlich auch die althergebrachte, moribunde Herzensbildung an die Wand nageln?

Das fragt sich und grüßt Sie – gelegentlich -  im Zustand schicksalbejahender Wunschlosigkeit!

Ihr Companero cordial Archibald Mahler, Comandante do Plaza de Fuegos

PS: Ihr neuestes Filmwerk gefällt mir! Oder sind Sie es gar nicht, sondern…

kuno_bowie

Thema: Bemerkungen, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Budnikowski antwortet und schreibt also an Mahler einen Brief auch über Leberwurstbrote

Donnerstag, 17. Dezember 2015 19:12

brief3

Besten Mahler,

dat iss die Sache so mit die Flecken. Da kannse noch so Vorsicht waltern lassen inne Planungsverfahren, wenn et troppt, isset passiert meist jenseits vonne Gewußtheit. Und dann iss klebrig. Getz zum Bleistift beie Marmeladenschnitten. Und obwohl ich schon höre des Sektierers Gemurre gellen, von wegen iss doch Unterschied obbe Flecken von Brombeer oder Aprikose oder Quitte oder iss Aprikose nur als Marillen anbetungswürdig und kannse bei Aprikose auch in Obergurgl dat Kreuz übere Brust und dat Gestirn kreuzigen tun, ich tu dat mal mit Schal generalisieren, und sach, dat et klebt, wennet klebt und dat persönliche Herkunftsorganigramm vonnem Fleck iss mich Jacke wie Putzlumpen. Wissense, dat öffentliche Anne-Wand-Pinnen iss schon die Crucification, so wie et ebenst die Tendenz geben tut in tägliche Verschärfung, dat die Öffnung vonne Hosenlätzen gewisse Heilsversprechen transportieren könnten soll und so ebenst die Freiheit gewahrt bleiben muß für jede triefende Nase auffe Erdboden. Dat mag der Bourgeois sich anne liberale Joppe heften tun, während der Citoyen auffe tägliche reflektorische Spazierrunde die weggeschmissenen Schnupftücher von seine Mitweltnutzer vonne Asphaltwegen klauben tut. Also geht mich fott mit die heilige Indufällität. Sachens, gittet nich auch eine Versicherung gegen Indivalität? Oder tu ich da watt verwechseln tun, Herr Mahler?

Grüßen Sie mich herzlichst von rechtswegen auch den Mops von Otto von Trottoir

Ihren Budni (Desiechnierter Ministersprecher für Glauben, Taube und Brotbeläge)

PS: Glauben Sie, dat Leberwurst vielleicht besser anne Brotscheiben haften tut, falls et mich mal nache Veröffentlichung von meine Tranzendentalien verlangen tut?

PS 2: Wünschen Sie sich wat von meine Wenigkeit fürret nahende Fest oder reicht et, wenn ich die Löffels stillhalten tu?

Thema: Bemerkungen, De re publica | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mahler diktierte, während er Brief erhielt, hörte nicht zu, konnte aber nachlesen und antwortete

Dienstag, 8. Dezember 2015 8:36

brief2

Geschätzter Budnikowski,

Sie teilen mir mit, sie werden Marmeladenbrote anbeten. Ich äußere Verständnis angesichts der Unvernunft. Sicher befinden Sie sich auf dem Trotzweg, aber wer wandelt dorten nicht. Also verständnisreich genickt und die Bitte, das Marmeladenbrot nicht an nahe Wände zu nageln. Es tropft. Zu den Sätzen zu setzen noch wäre, daß ich auf einem Buch sitze. Einem Buchbergwerkbuch. Vollendet, abgeschlossen kaum. Das Monstrum, man hatte es Herr Ernst Albert als Dank für eine Musentempelei geschenkt. Schon der Titel. Also das mit der Depression verstehe ich ja mit einer Pöterhälfte, aber was ist raff? Möglicherweise gelingt es mir – nach erfolgter Lektüre – Parrallellenn (das Wort hat fast so viele Esse wie Misisipi) zu den Marmeladenbroten herzustellen. Oder schreibt man Marmaladenbrote? Nein. Das wären Berge in Südtirol. (Wo ich noch nie war!) Also, über achthundert Seiten wären zu durchfräsen. Herr Albert hat keine rechte Zeit, so schaue ich vorher und rein mal. Das Register gestaltet sich versprechend. Ich beginne mit meinen Initialen. Nur so. Apachen, Apfelsaft, Appolonius von Tyana, Apostel, Apotheose, Apusie, Are You Growing Tired Of My Love, Aristoteles, Arnemann Sepp, Arrabal Fernando, Artaud Antonin, Askese, Asklepios Klinik, Ata und Atom Heart Mother und dann May Karl, Mc Cartney Linda, Mc Cartney Paul, Meine Welt, Meinhof Ulrike, Meins Holger, Meister Eckhardt, Melancholie, Melencolia sowie Menschensohn siehe Jesus. Natürlich ist dies bestenfalls Kostpröbelchen in kleinster Dose. Jesses maria! Für Gespräch mit Ihrer Hochwertigkeit sehe ich so Zeitmangel nahen. Ich hoffe auf ein Wiedersehen auf blubbernder Heizung – wenn die Welt noch atmen darf – im Frühjahr dann, also wenn Winter sein wird. Endspiel iss immer. Es ist spät geworden, so longines.

Mit Gruß und Wink

Archibald Mahler

Thema: Anregende Buchstaben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Budnikowski schreibt dem Mahler einen Brief und beschließt Marmeladenbrote anzubeten

Sonntag, 22. November 2015 21:10

brief1

Budnikowski hatte eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden. Falsch. Er hat die Ehrenwerte Pelagia eine alte Schreibmaschine auf der Straße finden lassen. Falsch. Das hat die Ehrenwerte Pelagia wohl selber gemacht, also gefunden. Falsch? Falsch. Ein uns nicht näher bekanntes Wesen hat die alte Schreibmaschine der Pelagia zu dahineilenden Füßen an den Straßenrand gelegt und der blieb nichts anderes übrig als die alte Schreibmaschine zu finden. Falsch. Wäre sie da nicht lang gelaufen, dann hätte sie die alte Schreibmaschine gar nicht sehen können, dort am Straßenrande rechts. Falsch. Links. Falsch. Mittags. Falsch. Hätte, wäre und hätte man gewußt, hätte man die alte Schreibmaschine woanders deponiert. Falsch. Das ist doch ausgemachter Blödsinn. Falsch? Falsch. Das ist ausgedachter Blödsinn. Richtig. Nein. Nein! Falsch. Die Schreibmaschine war schon immer da gewesen und man hatte sie nicht bemerkt. Falsch. Erst wenn man etwas bemerkt, ist es auch vorhanden. Falsch! Man muß über das Bemerkte schreiben, dann erst existiert es. Falsch. Die Worte verbergen das wahre Wesen des Gegenstandes. Falsch. Der Schreiber verbirgt mit den Worten sich selbst. Falsch. Die Schreibmaschine kann doch nichts dafür. Falsch. Wer A sagt, muß sich auch aufs B tippen lassen. Falsch. Aber die Werte. Falsch. Unsere Werte. Falsch. Unser aller Wertekanon. Falsch. Schreibmaschinen singen nicht falsch. Falsch. Der Letzte knipst die Lichtgestalt aus. Falsch? Falsch. Budnikowski behauptet, er habe eine alte Schreibmaschine auf der Straße gefunden, die die Ehrenwerte Pelagia fast übersehen hätte, weil wenn etwas nicht existiert, kann man kein B tippen, geschweige denn über das Wesentliche schweigen. Leider falsch. Budnikowski hebt die linke Pfote, auf dem obigen Foto verdeckt. Da ist doch was verborgen. Falsch? Wir werden es wissen, wenn es zu spät gewesen sein wird. Falsch. Das ist die einfachste Übung, also falsch, aber richtig. Schreibt Budnikowski dem ihm einen Brief diktierenden Mahler einen Brief? Er tut es scheinbar. Falsch? Er kauft sich keine neue Karotte.

Hömma Mahler,

mir isset, als ob et angebracht wäre, dat ich ab morgen Marmeladenbrote anbeten tu.

Herzlichst

Ihren Budnikowski (Exbärte)

Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung III

Dienstag, 17. November 2015 8:55

fin03

Hätten die Fenster Läden, sie klapperten und rüttelten. Die Blätter drehen sich zu Boden, als fänden sie Gefallen daran zu vergehen. Die Heizung zischt, schweigt, zischt, schweigt. Im Dachgeschoß rumpeln Schritte. Der Bär freundlich.

Willst Du ein Stück?

Nein. Pause. Wovon?

Vom Zwieback. Ich habe die Hälfte davon verwahrt. Er betrachtet den Zwieback. Stolz. Drei Viertel. Für Dich. Da. Er reicht dem Hasen den Zwieback. Nein? Pause. Ist Dir nicht wohl?

Sei doch still! Pause. Sprich leiser! Pause. Wenn ich nur schlafen könnte. Ich würde vielleicht lieben. Ich bestiege den Blauen Berg. Blickte auf Weiten, Lichtes, könnte sehen… sehen… Himmel, Erde, Natur, nacktes Leben. Pause. Einfach. Pause. Es tropft, es tropft in meinem Kopf.  Pause. Es ist ein Herz, ein Herz in meinem Kopf.

Ah! Hat man gehört. Man läßt Herzen klopfen. Im Kopf. Ah!

Man sollte über so etwas nicht lachen.

Nichts ist komischer als das Unglück, zugegeben. Der Hase entrüstet.

Oh!

Doch, doch, es gibt nichts komischeres auf der Welt. Und wir lachen darüber, wir lachen darüber, aus vollem Herzen, am Anfang. Aber es ist immer dasselbe. Wie bei einem Witz. Anfangs noch lachen wir. Dann wird es wie immer. Der Witz wird zu oft erzählt. Pause. Willst Du Deinen Zwieback nicht?

Ich werde Dich verlassen.

Kannst Du mich vorher noch kratzen?

Nein. Pause. Wo?

Am Rücken.

Nein. Pause. Reib Dich an der Heizung. Oder an der Wand!

Weißt Du noch, wie wir lachten. Pause. Damals. Wir wären beinahe von der Heizung gefallen, so lachten wir.

Es war das Erdbeben.

Nein, es war der Witz. Pause. Hör ihn dir nochmal an. Erzählerton: Ein Engländer – er verzieht sein Gesicht, um einen englischen Bären nachzumachen. Es gelingt mit groben Zügen -, der dringend eine gestreifte Hose für die Silvesterfeier braucht, begibt sich zu einem Schneider, der seine Maße nimmt. Stimme des Schneiders. So klingt ansonsten der Hase: „So, das wäre geschafft, kommen Sie in vier Tagen wieder, dann ist sie fertig.“ Gut. Vier Tage später. Stimme des Schneiders: „Sorry, kommen Sie in acht Tagen wieder, der Hosenboden ist mißraten.“ Gut, macht nichts, der Hosenboden ist nicht so einfach. – Acht Tage später. Stimme des Schneiders: „Bedaure sehr, kommen Sie in zehn Tagen wieder, die Schrittnaht ist mißlungen.“ Gut, einverstanden, die Schrittnaht ist delikat. – Zehn Tage später. Stimme des Schneiders: „Tut mir leid, kommen Sie in vierzehn Tagen wieder, der Schlitz ist mißglückt.“ Gut, wenn’s denn sein muß, ein guter Schlitz muß sitzen. Pause. Stimme des Bären. Ich erzähle den Witz schlecht. Pause. Trübsinnig. Ich erzähle den Witz immer schlechter. Pause. Erzählerton: Kurzum, die Osterglocken blühen schon, und der Schneider verpatzt die Knopflöcher. Der Bär macht das Gesicht des englischen Bären, auch Kunde des Schneiders mit der Stimme des Hasen. Englisch entrüsteter Bär: „Goddam, Sir, nein, das ist wirklich unverschämt, so was! In sechs Tagen, hören Sie, in sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Ja, mein Herr, jawohl, mein Herr, sage und schreibe die W e l t! Und Sie, Sie schaffen es nicht mir in drei Monaten eine Hose zu nähen!“ Stimme des Schneiders, ebenfalls entrüstet: „Aber Mylord! Mylordschaft! Sehen Sie mal – verächtliche Geste, angeekelt – die Welt an… Pause … und sehen Sie da – selbstgefällige Geste, voller Stolz – meine H o s e!“

Pause. Der Hase starrt in den Morgen. Sein Körper krampft, er bricht in ein schrilles Lachen aus, schweigt, lehnt seinen Kopf an des Bären Schulter und lacht wieder los. Der Bär milde.

Ruhe!

Der Hase zuckt zusammen und hört auf zu lachen. Der Regen trommelt ohne Unterlaß gegen die Scheiben. Der Bär läßt das Buch sinken. Er ist müde. Es ist noch früh. Klebrige, lästige Dunkelheit. Klamm, gottgegeben. Der Bär erhebt sich.

Laß mich eine kleine Runde machen.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung II

Sonntag, 15. November 2015 17:31

fin02

Der Tag hält sich in Grautönen. Glocken läuten. Vor dem Fenster pickt eine Amsel nach Wacholderbeeren. Dann fällt sie tot vom Baum. Der Hase.

Fühlst Du Dich in Deinem normalen Zustand?

Ich sagte doch, daß ich mich nicht beklage.

Ich fühle mich etwas komisch.

Keiner hat Dich gezwungen.

Es kann zu Ende gehen. Pause. Das ganze Leben dieselben Fragen, dieselben Antworten.

Wir werden uns erheben müssen. Wir könnten wieder von Zwieback leben. Anderthalb Zwieback pro Tag werden reichen. Pause. Ich werde nicht gehen können. Der Bär seufzt leise, kratzt sich am Rücken. Der Hase reckt den Kopf nach oben, spricht.

Haben wir schon Licht? Schaut nach links. Gleich springt der Kühlschrank an. Schaut nach rechts. Er wird leiser sein als letzten Sommer. Schaut nach oben. Ah. Schaut nach unten. Er beginnt zu zittern. Wirst Du mich verlassen?

Der Zwieback hat keine Beine.

Früher mochtest Du mich.

Früher.

Ah. Immerhin. Pause. Der Bär erhebt sich. Klettert von der Heizung. Durchschreitet einmal den Raum. An der gegenüberliegenden Wand bleibt er stehen und lehnt sich mit Stirn und Tatze an die Wand. Der Hase schrill.

Wo bist Du?

Hier.

Warum tötest Du mich nicht?

Ich weiß nicht, wie die Zwiebackdose zu öffnen ist. Pause. Vernehmbarer Atem. Drei Sekunden lang. Dann Stille. Später. Der Weg ist mir zu weit. Wir werden Fahrräder holen müssen. Oder Pferde. Pause. In der Küche lauert der Tod. Verfluchte Erzeuger. Keine Haltung. Keine Moral. Fressen. Fressen. Sie denken nur ans Fressen.

Ich will meine Karotte. Pause. Schrill. Wo ist der Brei? Schriller. Ich will meine Karotte als Brei. Pause. Es ist sinnlos.

Es gibt keine Natur mehr. Die Felder sind Sümpfe geworden. Plastikbeutel wehen in die Drahtzäune. Die Natur wird uns vergessen.

Du übertreibst. Wir atmen doch, wir verändern uns! Wir verlieren täglich Haare, Zähne, Zuversicht, unsere Frische, unseren Anstand, unsere Ideale. Der Bär schlägt seinen Schädel sanft gegen die Wand. Es klingelt an der Haustür. Schrecken. Der Bär dreht den Kopf.

Niemand auf der Welt hat je so verdreht gedacht wie wir.

Man tut was man kann.

Man hat Unrecht.

Du hältst Dich für gescheit, nicht?

Gescheitert! Der Bär horcht auf. Das Klingeln erlischt. Der Bär bläht seine Nüstern. Seufzt wieder. Als sei es die Welt!

Ja. Als sei es die Welt. Pause. Im Treppenhaus fällt die Türe ins Schloß.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Vor dem Winter ein Endspiel auf der Heizung I

Donnerstag, 12. November 2015 7:17

fin01

Innenraum mit Möbeln. Trübes Licht. Ein Heizkörper. Ein Hase und ein Bär. Auf einem Fensterbrett hinter ihnen Erinnerungsstücke. Tand. Der Hase lacht auf. Spricht.

Ende. Es ist zu Ende. Ein Körnchen kommt zum anderen. Eins nach dem anderen und eines Tages, plötzlich, ist es ein Haufen, ein kleiner Haufen, der unmögliche Haufen. Man kann nicht mehr schlafen. Man kann nicht mehr strafen. Ich schließe die Augen. Sie sind geschlossen. Man hat sie mir geschlossen. Vielleicht. Ich werde sie geschlossen halten. Mit Sicherheit. Ich betrachte von nun an meine Lider. Von innen. Zentimeter für Zentimeter. Dann warte ich. Bis man nach mir pfeift.

Der Hase verharrt regungslos. Der Bär gähnt. Er dreht die Heizung höher. Kratzt sich am Pöter. Erhebt die Stimme. Brummt.

Jetzt bin ich dran. Pause. Erneutes Gähnen. Ein beherzter Furz. Ich bin dran. Jetzt spiele ich. Ah. Heißes Eisen. Mein Fell dampft. Er seufzt. Der Hase bleibt regungslos. Man kann ihn nicht denken hören. Kann es ein Elend geben, das erhabener ist als meines? Möglicherweise. Früher. Auf rauhen Inseln. In Kamschatka. Hinter den Winden. Bei Wyoming. Pause. Ich kann mir denken, daß es viele sind, die leiden. Dreht die Heizung noch höher. Aber mein Leiden. Gibt es Gleichwertiges? Ich bin allein.

Die Luft ist unerträglich heiß. Wecke mich, wenn ich einschlafe. Er schlägt nach dem Bären. Wecke mich auf, sollte ich schlafen. Bring mich ins Bett. Der Winter lauert zwischen den heißen Metallrippen.

Wir haben doch eben erst Platz genommen!

Das ist kein Argument!

Ich kann nicht in jeder Minute etwas tun.

Dann blicke in meine Augen. Das Jucken ist unerträglich. Reiche mir ein Taschentuch. Die Suppe ist versalzen. Das Lied gefällt mir nicht. Meine Glieder knarzen. Die Zeiten sind ungeheuerlich!

Jetzt wird es mir zu bunt!

Der Bär greift ins Bild und kratzt sorgfältig die Farben aus den Furchen. Das Hase hält ein paar Noten in den Pfoten. Novemberwind pustet Wüstensand auf die Wunden des enteilenden Jahres. In der Ferne Furcht. Und Dresdner Stollen.

Thema: Endspiel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

In fernen Zonen / Der Heimkehrer bleibt blind

Sonntag, 25. Oktober 2015 9:52

blindwillie01

Immer wieder hatte ich meine weinende Pfote auf die Schulter des Ehrenwerten Herrn Archibald Mahler gelegt. Nein. Immer und immer noch ruhte die Pfote, feucht im Augenwinkel, auf der Schulter des Großen Häuptlings des untergegangenen Stammes der Kamschakta – Bear, dem Legendenberankten, dem Liederumtosten, dem Wehmutsriesen namens Kleines Abbes Bein. Aber der Zweitakter rollte vorwärts unbeirrt und das verräterische Grinsen im Antlitz des Bären gab mir keinen Anlaß eine Vollbremsung, eine Umkehr oder wenigstens eine besinnende Rast zu erhoffen. Wenn blubbernde Heizungsrohre und der bevorstehende Winterschlaf rufen, ist die Abenteuerlust oder ein herzschwerer Erinnerbedarf eines Feldhopplers dem Bären nicht mal ein Nicken des zur Kenntnis genommen Habens wert. Doch der gescheite Hase baut vor und haste nich gesehn nahm ich ein oder zwei Scheibchen der Magischen Pilze zu mir, die man mir zum Abschied in der Pulqueria in mein Jutebeutelchen gesteckt hatte. So lebet ihr weiterhin in den Gefilden der strukturierten Vermessenheit und glaubt den Ziffern eurer dahin rasenden Wecker, ich weile zwischen den Zeiten, Zeilen und Farben. Der Siegtreffer wird vor dem Ausgleich geschossen und der Fehler wird gemacht am Ende des Buches. Meine Augen verschließen sich vor den Bildschirmen und Straßenlaternen, in blinder Ruhe blinzeln sie entgegen einem inneren Lichte. Langsam reite ich die Welle zu Ende, die Larve des Old Schmetterpfote pellt sich von meiner Haut, es kitzelt und alsbald liege ich zusammengerollt in den Federn meines nächsten Ichs. Spektren durchpulsen mich und in frisch erworbener Blindheit vertraue ich dem Gasfuß des Herrn Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder mal befindlich auf einer seiner vielen ziellosen Heimfahrten. Und ohne eine Klage werde ich in den Körper schlüpfen, der – wann auch immer dies sein wird – neben dem Bären auf einer in Betrieb genommenen Heizung sitzen wird. Vielleicht werden wir Schach spielen. Vielleicht werden wir sterben. Wir werden zu tun haben. Das ist gewiß. Ausnahmsweise pfeift eben der Bär ein feines Lied, denn streng genommen ist dies mein Brevier. Dabei übersieht er eine rote Ampel. Blöd!

tal32

Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Das versteinerte Gebet / Mescal und Heimreise

Dienstag, 13. Oktober 2015 18:53

tal31

Gerne würde ich an dieser Stelle berichten von letzten Worten, die Kleines Abbes Bein, der edle Häuptling der Kamschatka – Bear, uns hinterlassen, gerne würde ich singen ein Lied, dessen weiche Melodien und dessen trostgebende Worte uns über die Täler der Unbill und Großen Traurigkeit hinweghülfen, gerne stünde ich an einer Wegkreuzung und blickte mit festem Auge auf das aufgestellte Schild und wüßte sogleich wohin ein zweifelsfreier Schritt uns führen wird. Doch mein Gefährte hatte nichts hinterlassen zum Abschied als Gruß und frommen Wunsch. Er war gegangen um seiner selbst willen. Kein weißer Bart baumelte von den Himmeln hinab, keine biblischen Strahlen fingerzeigten das Licht vor meine taumelnden Füße und Manitou hatte das Gebäude unseres Mißvergnügens schon längst verlassen. Die Götter nun unsichtbar geworden und wir hatten es gewollt.

Unten im Tale schrie Tinseltown von sich selbst ergriffen, die Rücken der Schafe krümmten sich in freiwilliger Verzückung und Fäuste trommelten auf die eigene Brust. Trockener Husten pfiff durch die durchstochenen Lippen. „Oh Tinseltown, sei gebenedeit und leg uns an die Uniformen, wir singen steinernes Gebet.“ Mir war kalt so ohne den Gefährten an meiner ängstlichen Seite und ich sah uns blicken hinab ins Tal, wie wir es in diesem langen Sommer es so oft getan, doch kein Rad in der Nähe meiner zitternden Pfote, welches zurückzudrehen griffbereit. Schwitzend, fluchend und greinend wie ein armes, verhärmtes, altes Weib, welches die Söhne übers Meer geschickt, auf daß jene dort im Schatten der Tempel des Ewigen Klimperns ein paar erbärmliche Unzen verdienen mögen, um ihr einstens zwischen den fensterlosen Trümmern der Heimat ein halbwegs würdevolles Begräbnis bezahlen zu können, taumelte ich voran ohne Ziel. Ein klebriges Gespinst wuchs vor meine Augen. Erblindete ich? Ich fiel mehr, als daß ich eintrat in jene schummrige Pulqueria. Ich hob den Arm und sogleich ergoß sich die milchig – schäumende Flüssigkeit in meinen Leib, sickerte durch die Wände meiner Adern und da ich spürte, daß dieses Stöffche zu schwach, verlangte ich nach einem doppelstöckigen Mescal, schluckte und zerbiß den Wurm. Das Licht schwand. Warmer schwarzer Wind küßte meine Ohren, meine Füße tanzten durch das Sägemehl, welches den Kneipenboden bedeckte und ein Blume stach mir in die Nase. Ach, wie frohgemut hatte ich sie einstens gerochen. Wo weilst Du, oh Schöner Tag? Das Gurgeln, welches sich meiner pulsierenden, nach mehr verlangenden Kehle entrang, mir schien, ich konnte es sehen, als ein starker Arm von hinten mich umfasste. Meine Stimme schwand und man sprach mit mir.

„Budnikowski, der Herbst ist da. Morgen soll es sogar schneien. Also, auf den Bergen, sagt man. Wir müssen das Tal verlassen. Steig ein. Suchen wir einen Heizkörper!“

„Aber was ist mit Tinseltown? Was ist mit dem Tal? Oh Häuptling und Gefährte, mir ist gar nicht gut.“

„Kommt der Lenz, gehen wir wieder raus! Jetzt hoch mit dem elenden Pöter!“

„Mahler? Sind Sie’s?“

Das Letzte, was ich vernahm, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, war das Klackern eines alten Zweitakters. Roch ich Benzin?

tal30

Thema: Archibalds Geschichte, Die Reise ins Tal | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth