Beitrags-Archiv für die Kategory 'Archibalds Geschichte'

Archibald Mahler weiterhin am See und doch in Mittelhessen (Autobiographisches Hirnen Eins)

Freitag, 19. Oktober 2012 15:03

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Der Aspikbodensee. Liegt er da so vor Mahlers Fußtatzen. Bestenfalls eine Gehirnhälfte schaut hin. Will es eigentlich auch gar nicht mehr das Hinschauen. Ein Gedanke. „Damals als mich der Ehrenwerte Ernst Albert in seine Jackentasche packte und mich trug an den Brandplatz, wegen Abbes Bein und Namensfindung.“ Die Möwen am Bodensee sind immer so laut. Entschuldigung, ihr Paniker, der Bär möchte denken. Sich erinnern. Zumindest es versuchen. Who? Who are you? Das Lied ist schön. Wo hört es der Bär? Am Kopf ? Im See? Umgekehrt? Heute stand in einer Zeitung in Mittelhessen:

(dpa) Als Fremde und Helfer haben sich Streifenbeamte im hessischen Bad Vilbel nachts für einen ausgesetzten Teddybär eingesetzt. Das etwa ein Meter große Plüschtier mit schwarzen Knopfaugen und einem Stoffherz zwischen den Tatzen saß auf einer Bank. Eine Anwohnerin rief deshalb in der Nacht mehrfach die Polizei und forderte die Abholung des Teddys. Schließlich erbarmte sich eine Streife, denn: „Wir helfen in jeder Lage.“ Das in einen Müllsack eingepackte Kuscheltier kam mit aufs Revier. Beigelegt war ein Zettel: „Teddy sucht ein neues Zuhause.“ Der bisherige Eigentümer habe aber nicht ermittelt werden können, auch eine Vermißtenmeldung liege nicht vor, hieß es in einer Meldung der Polizei. Wenn sich niemand meldet, wollen die Beamten das Kuscheltier einem Kindergarten schenken.

Mahler weiß heute nur, Polizei benötigt er nicht, wenn er mal nicht wissen sollte, wer und wohin er eigentlich ist oder sollte. Und ein Kindergarten ist keine Heimat. Für niemanden. Obwohl sich so viele erwachsene Aufrechtgeher immer wieder gerne und mit großer Verbissenheit per Patientenverfügung in einen Kindergarten einliefern lassen. Sollen sie doch! Bärenegalität das ist. Krieg allen Verwahranstalten, Friede den Sitzplätzen mit Aussicht und Horizont! Der Aspikbodensee blubbert. Mahler versteht nix.

Thema: Archibalds Geschichte, Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Mahler sammelt Grenzerfahrungen und andere Familiaritäten oder schaut nur auf den See (11)

Sonntag, 14. Oktober 2012 20:07

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Ernst Albert hatte seine doofe Geschichte erzählt. Eine Geschichte von Feigheit, Unaufrichtigkeit, dem Grinsen statt dem Denken, hektischen Erwartungen, mangelnder Frustrationstoleranz, zerstörerischen Ängste und dieser ganz besonders fürchterlichen Schlaumeierei. Nichts Besonderes eigentlich, Musentempel eben, aber in dieser Ausprägung nicht alltäglich. Er hatte die Geschichte gar nicht mal wütend erzählt, traurig eher, kopfschüttelnd. Genauso hatte Mahler zugehört. Die Aufrechtgeher sind ja zu manchem Schwachsinn fähig, das weiß der Bär, seitdem er Welt schaut. Aber so etwas? Potzrembelige Psychokacke aber auch! Dann stand der Ehrenwerte Ernst Albert auf und machte sich auf nach Mittelhessen Und der Bär dachte, daß es schon sehr schmerzhaft sein muß, sich so von seiner alten Heimat verabschieden zu müssen. Vor allem, wo man doch hier so schön auf den See schauen kann. Mahler wiederum hatte noch keine Lust auf Mittelhessen und blieb erst mal sitzen. Blöd nur, wenn man keinen ordentlichen eigenen Gedanken fassen kann, weil jemand Dir Hirn und Herz vollgepackt hat mit Aufrechtgehermonstrositäten. Ob er die Geschichte von Herrn Albert erzählen soll? Ein großer Quatsch wäre so etwas wohl. Das wird von ihm gedenkt, demnach bleibt er sitzen, winkt dem Säntis zu und ein Segelboot vor seinen konsternierten Blicken kämpft gegen die badische Flaute an. Nichts geschieht, selbst Wind und Wellen stumm, als ruhe der See in Aspik. Und die Zeit rollt sich auf zu einer kleinen Kugel und rutscht des Bären Buckel hinunter. Dem Herrn Archibald Mahler wird es ganz sepia zu Mute und so bemerkt er, daß auch er seine Heimat verloren hatte. Und dies schon vor langer, langer Zeit.

Thema: Archibalds Geschichte, Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

WENN DAS EINE JAHR EINGESCHLAFEN, ERWACHT EIN NÄCHSTES (GEWISS?)

Mittwoch, 30. November 2011 5:09

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Ob er das sieht, was er hier sieht? Ob er das hört, was er hier hört? Ob er was denkt, falls er noch kann? Ob er der ist, der er dieses Jahr war? Und dann? Nächstes Jahr? Wer wird er sein? Wird er er sein? Wird er Bär sein? Kann oder will er sein, was er war oder sein wollte? Bleibt er Bär? Und wo er ist hier eigentlich? Ist er hier tatsächlich oder ist es schon der erste der vielen Träume dieses Winters? Ein kurzes Erwachen vielleicht? Ein fremdes Land? Braucht er ein Visum gar? Fliegen schon wieder die Kamele, wo er gerade eingenickt? Es rumpelt ihm im Magen. Es dröhnt ihm das Ohr. Es juckt ihm der Pelz. Es zieht ihn hinab. Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz im Winterschlaf, ist es, als schlingere er zwischen den Welten hin und her. Weia!

Tja, so wird es wohl sein. Dreh Dich um, kratze Dich am Pöter und schlafe weiter, mein kleiner Freund! Wir machen hier lediglich einen kurzen Zwischenstopp auf dem Weg nach Hause. Keine Sorge und bis die Tage!

Dein ehrenwerter Herr Ernst Albert

Thema: Archibalds Geschichte, Unterwegs mit Herrn Albert | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

KETTEN / SCHWERTER / WEISSE BÄNDER

Dienstag, 18. Oktober 2011 10:36

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Und dies ist die andere Geschichte aus dem Buch:

Aus irgendeinem Grunde fiel mir die Geschichte eines Mannes namens Chang aus Lin-an ein, das damals belagert wurde. Der Buddha erschien ihm im Traum und sagte zu ihm, am folgenden Tag würden Soldaten kommen und ihn töten. In einem vorigen Leben hatte Chang als Soldat während des Huang-Ch’ao-Aufstands einen Mann getötet. Dieser Mann hieß nun Li Li. Am folgenden Tag erschien ein Soldat am Tor und schwang sein Schwert. „Seid Ihr zufällig Meister Li LI?“ „Woher kennt Ihr meinen Namen?“ Chang erklärte alles. Li Li warf sein Schwert zu Boden. „Wenn ich Euch töte, dann werdet Ihr mich im nächsten Leben wieder töten. Und dann werde ich Euch wieder töten. Heute müssen wir diese Kette durchbrechen.“

So ist das wohl. Danke, ausgezeichneter Herr Eliot Weinberger! Und Archibald Mahler denkt darüber nach, woher und aus welchen vielen vergangenen Leben wohl das weiße Band hinüber reicht, das sich durch seine und die Geschichten, die er hier erzählt und denkt und schaut, zieht. Und ihm fällt auf, daß es auf die vielen, entsetzlich ungeduldig drängenden, letzten Fragen lediglich eine Art vorletzte Antwort gibt. So wie die Aufrechtgeher in Spanien immer nur ein vorletztes Bier ordern, wenn sie denn zu Bett schwanken wollen. Bestellten sie ein Letztes, fielen sie – und daran glauben sie fest – auf der Stelle vom Barhocker. Ja, so ist das wohl. Und war da nicht, auf der anderen Straßenseite, vis a vis vom Musentempel, dieses Schild? Der Bär erhebt sich.

Thema: Anregende Buchstaben, Archibalds Geschichte | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

VERGESSEN/KÖNNEN/ERINNERN/WOLLEN

Montag, 11. Juli 2011 16:47

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„Das Foto!“

„Oh, Chef und Herr Albert. Geht’s wieder?“

„Tee und Hühnersuppe und ein bißchen Chemie stellen den Aufrechtgeher wieder auf seine Beine. Geht so geht’s!“

„Man kann Sie erkennen!“

„Wie?“

„Das Foto!“

„Ja. Ich. Mein Vater. Ein Bär!“

„Damals war die Welt schwarz – weißer?“

„Vielleicht. Vielleicht liegt aber in dieser Beschränkung mehr an Farbe verborgen, als man heute für möglich hält!“

„Noch!“

„Genau! Noch!“

„Wo ist der Vater jetzt!“

„Er würde heute sechsundachtzig!“

„Das ist alt!“

„Wäre! Schade!“

„Sie sind nicht mehr blond!“

„Aber wahrscheinlich immer noch naiv! Verzeihung! Dummer Witz!“

„Aber der Bär! Er schaut seit wir in dieser Höhle wohnen hinunter auf ihren Arbeitsplatz.“

„Ist mir noch gar nicht aufgefallen!“

„Aber mir! Allerdings erst gestern. Wo ist der Bär jetzt!“

„Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich noch nicht einmal daran, daß es ihn gab.”

„Das haben Sie einfach vergessen?“

„Die Dinge an die Du nicht erinnern kannst, berichten von den Dingen, die Du nicht vergessen kannst!“

„Schön!“

„Nicht von mir. Ein Lied! Von der Zeit!“

„Auch schön! Das Lied. Ein Frage noch?“

„Ja!“

„Bin ich hier wegen des Fotos? Also weil damals schon ein Bär aus dem Fenster? Also: Landkarten und Traumpfade und Schatten und Seelenwanderung und überhaupt? Deshalb und Bedeutung gar?“

„Weiß man’s. Coincidencia rules ok.“

“Gott sei Dank. Find ich auch. Und wegen dem, was Sie mir versprochen haben auf dem Alten Friedhof noch?”

„Nicht vergessen ist, lieber Bär und Herr Mahler. Morgen. Morgen, wenn es wieder geht. In Ordnung?“

„Bitte ja! Wissen Sie, ich brauche nämlich Urlaub.“

„Genau deshalb!“

„Übrigens!“

„Ja!“

„Ich mag das alte Foto!“

„Pst!“

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SCHATTEN / BILDER / BÄREN / EINST

Sonntag, 10. Juli 2011 18:58

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Warum hatte sich Ernst Albert damals gebückt? Damals als Archibald Mahler zweigeteilt auf dem Brandplatz lag. Warum kam in diesem Augenblick (und wie lange Augenblicke waren vergangen, seitdem man oder es oder wer Archibald Mahler in zwei Teile gerissen, gerupft oder sonstwie hatte?) der ehrenwerte Herr Ernst Albert vorbei und nicht die Kehrmaschine, trunkene Jungspunde oder euphorisierte Pöhlergucker? Wer legt die unsichtbaren Spuren auf den Landkarten der Vorsehung? Und wann und warum hat man oder wer oder auch immer ein geöffnetes Auge? Hirn? Und schaut nach rechts und nicht nach links, wo lediglich Leergut und Hundescheiße über den Asphalt rollte an jenem Tag? Da bückt sich selbst Herr Ernst Albert nicht. Das denkt der Bär im Bett, als die Schatten an der Wand zu ihm zu sprechen beginnen. Ein Junge! Ein Mann! Und ein alter struppiger Bär! Der Junge, der aussieht wie der Mann! Der Mann, der den Jungen liebevoll betrachtet! Und der Bär, der sich etwas zu weit aus dem Fenster lehnt! Und sie alle schauen hinaus die Welt! Damals. Und jetzt. Aus einem Schattenreich ins Jetzt. Schau an diese Welt! Zeitsprung! Der Bär schwitzt. Draußen regnet es. Seltsamer Sommer. Eva Pelagia kocht immer noch Tee und Hühnersuppe. Aber nicht für den Bären. Denn der liegt im Bett, freut sich seiner Erkenntnisse und schaut unentwegt auf dieses Bild. Warum war ihm dies noch nie aufgefallen? Wo es doch da hängt, genau da wo immer, direkt über dem Kopf, das Bild. Eigentlich toll. Manchmal dauert das, was dauert und bis. Schönes Bild. Ein altes Foto mit einem Bären. Einem Bären aus dem Tal der Schatten.

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VERZÖGERUNGEN IM BETRIEBSABLAUF

Samstag, 9. Juli 2011 20:17

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So geschieht das manchmal. Archibald Mahler erhebt sich von seiner Bank. Weiter! War zumindest ein Plan. Schritte, einer, zwei, drei. Weia! Schwer und schwerer. Knarzende Glieder, Pudding im Kopf und zugeschwollene Nüstern, durch die keine Atemluft in die Lungen strömen will. Weia und noch mal Weia! Der Schweiß rinnt kalt übers Fell und die Stimme, welche die beobachteten Körpersensationen vermelden will, oktaventief im Keller. „Was ist los, Herr Bär?“ Keine Antwort. Man setzt sich auf einen Stein, hält inne. Eine der Nächte des Sinnens war wohl zu kalt. Bakterium nicht mehr nur ante portas, sondern mitten drin im fröstelnden Leib bei sommerlicher Temperatur. Weia! Und Wut! Aufstehen, weitertaumeln und dann ein beherzter Tritt der Empörung gegen einen vorbeikommenden Laternenpfahl. Aua! Bringt lediglich Zusatzschmerz und sonst nichts! Pause! Mist! Also erbarmt sich der ehrenwerte Herr Ernst Albert in tragender Rolle und kurz darauf liegt der Bär, wo er nun liegt. In der Höhle der Zweibeiner. Oder ist alles ganz anders? Bär mit Sommergrippe? Wer`s glaubt! Sachen gibt es! Oder leidet das Tier als Stellvertreter? Wie auch immer, Archibald Mahler ruht. Macht Spaß. Alles so schön weich hier. Und dann sieht er was. An der Wand. In der Höhle. Da hängt was! Natürlich! Archibald Mahlers Geschichte! Ahnen! Ahnungen! Zufälle! Die Zeitmaschine! Es gibt einiges zu bedenken. Geht auch im Liegen. Eva Pelagia macht derweilen Tee und Hühnersuppe. Nur für wen?

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ICH SCHLAFE DOCH NUR! BIS DIE TAGE!

Mittwoch, 10. November 2010 6:16

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Jetzt ist Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz, wieder zu Hause. Die Heimreise war ziemlich entspannt. Herr Ernst Albert hatte nicht viel gesprochen, weil sein Kopf viereckig war. Der Zug war pünktlich. Man wurde abgeholt.

Jetzt sitzt der Bär in seiner Höhle in Mittelhessen, die Fensterbank ist fern, Eva Pelagia sorgt für eine angenehme Raumtemperatur in jeder Beziehung und bis Aschermittwoch 2011 ist noch was Zeit. Ordentlich Zeit! Morgen kommen die Narren. Das braucht ein Bär nicht! Man ist sich selbst Narr genug!

Jetzt schläft der Bär. Und der erste Traum des nun schlafenden Weltenschauers war der: aufzuwachen und als erstes wieder das geliebte Meer sehen zu dürfen. Und während man so schaut und wach wird, schmeißt Herr Lenz ein paar wärmende Sonnenstrahlen auf die Wasseroberfläche. Von rechts? Schaun wir mal!

Und sonst? Ich schlafe doch nur! Bis die Tage!

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EIN TANZ MIT DEM VERGEHENDEN JAHR

Donnerstag, 4. November 2010 13:17

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Hatte ihn wer gerufen? Der Bär stand auf, rutschte von seinem Felsen herab. Da, von dort vorne hatte jemand seinen Namen gerufen. Er ging den Strand entlang. Und was er nun erblickte, gefiel ihm sehr. „Magisch!“ Das dachte er. Nun vernahm er die Stimme ganz deutlich und nah. Sie sprach: „Moin, moin!“ Und: „Schön, daß Du zu meiner kleinen Geburtstagfeier gekommen bist!“ Archibald blickte um sich. Niemand zu sehen. Zumindest kein Aufrechtgeher, dem man diese Stimme zuordnen könnte. Lediglich ein ganze Reihe kleiner Steinmännlein. Von wegen lediglich. „Das ist bestimmt der geheime Garten eines Zauberers. Und die Steinmännlein sind seine Zauberlehrlinge und die haben Blödsinn gemacht und dann hat der Zauberer sie zur Strafe versteinert.“ Und dann hörte er Musik. Und die Stimme sprach: „Zwar habe ich heute Geburtstag, aber Du, weil Du von so weit hergekommen bist, Du darfst Dir heute etwas wünschen.“ „Darf ich kurz nachdenken, Herr Unbekannt?“

Und Archibald hatte sich gewünscht zu diesem Lied tanzen zu dürfen und der Herr Unbekannt möge doch, so lange dieses schöne Lied läuft, die versteinerten Zauberlehrlinge lebendig machen, auf daß sie mittanzten und er nicht so alleine wäre. Und Archibald Mahler begann sich im Kreis zu drehen wie ein alter Derwisch und Sufimeister und die Steinmännchen drehten sich mit ihm. Und sie fragten den Bären, was er dieses Jahr denn so alles erlebt habe. Und der Bär dachte nach und schon begann das ganze vergangene Weltschaujahr mitzutanzen, mit ihm und um ihn herum. Und es war ein großes Hallo und Grüß Gott und Ach gucke mal und der Bär staunte, was dieses Jahr, das auf einer mittelhessischen Fensterbank begonnen hatte und sich nun im Garten eines Magiers am Strand von Strande seinem Ende zu neigte, so alles mit sich geführt hatte. Da war er an der Lahn gesessen und hat von Meister Basho das genaue  Hinschauen gelernt. Da hat er Tage in einer Höhle im Wald zugebracht und eine Thunfischdose nicht aufbekommen. Da hat der den magischen Robert Zimmermann tanzen und singen gesehen. Da hat er mit seinem Kumpan, dem ehrenwerten Herrn von Lippstadt – Budnikowski, die Bretter, die die Welt bedeuten erobert und sich auf der anderen Seite der Straße, in Ernst Alberts Musentempel, in die Frau mit dem Rollator verliebt. Da hat er gedacht, bis das Bärenhirn qualmte und manchmal auch was rausgefunden. Da hat er unten im Heckerland zweimal Geburtstag gefeiert, erst mit Eva Pelagia und dann mit Ernst Albert und das Paradekissen wurde auch besessen. Da ist er auf den Spuren des Geheimrats in Ernst Albert Vergangenheit eingetaucht. Da saß er auf der Motorhaube seines geliebten Simca und hat so einiges an Zweibeinerdummheit kennenlernen dürfen. Da hat er sich aufgeregt, über die Dummheit und die Aufrechtgeher. Da hat er mit dem Lütten Stan die Großen Pöhlerei Festspiele besprochen. Da hat er rausgefunden, wer er eigentlich ist und sich seinen Namen zugelegt. Da hat er das Buchstabenriechen erlernt und neue Welten kennengelernt. Und jetzt ist er hier.

Dann war das Lied verklungen. Die Steinmännchen blickten hinaus auf Meer. Von dort näherte sich eine gewaltige Finsternis. „Au Backe und Potzrembel die Waldfee! Höchste Zeit aber auch!“

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (II)

Freitag, 29. Oktober 2010 19:48

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Das erlebte Archibald Mahler, als er die Badewanne seiner Fantasie durchsegelte:

Jack London war ein Trinker. London war aber nicht nur Trinker, er war auch der Neffe des berüchtigten Captain Keith „T for Teague“ Bligh, dem unumschränkten Herrscher über alles, was im Hafen von Portsmouth ein – oder auslief.

Archibald Hawkins war kein Trinker. Archibald Hawkins, Schiffsjunge in spe, hatte unlängst auf der „Hispaniola“ für seine erste Fahrt angeheuert. Heute abend saß er im „Goldenen Haifisch“ in Begleitung seines zukünftigen Lehrherrn, dem einbeinigen Schiffskoch Long John Larsen. Man feierte den Abschied von der Heimat und Klein – Hawkins kam nicht umhin sich seinen ersten doppelten Gin zur Brust nehmen zu müssen. „Auf alle Heiligen Klabautermänner und die Hintern, die uns auf der anderen Seite des Ozeans erwarten. Und leert die Fässer, bevor sie vergammeldansken!“, rief Mick „The Gulliver“ Finn, der Steuermann, in die verräucherte Taverne hinein, nahm den zukünftigen Schiffsjunge in den Schwitzkasten und unter dem brüllenden Gelächter der versammelten Crew flößte er ihm einen zweiten Gin ein, diesmal einen vierfachen. Die Welt drehte sich so schnell wie nie zu vor.

Archibald Hawkins stand vor der Türe des „Goldenen Haifisch“, die neblige Novemberluft nahm ihm den Atem, zwischen seinen Schenkeln und in der Tiefe seines Magen drängte so manches nach außen und auf der anderen Seite der schmalen Straße wankten die Hafenmole, ein paar Poller, ein Lagerschuppen, eine dunkle Ecke, alle Erleichterung verheißend. Von rechts raste umgebremst heran der Zweispänner des volltrunkenen Jack London. Er hatte die Kontrolle über seine überhitzten Schindmähren verloren. Das rechte Bein des Archibald Hawkins, welches gerade den Straßenrand betreten hatte, kollidierte mit dem schlingernden Gefährt, trennte sich auf Grund des Aufpralls vom Leib des armen Schiffsjungen in spe und blieb auf der anderen Seite der Hafenpromenade neben einem Poller liegen. Vor der Türe des „Goldenen Haifisch“ lag der restliche Archibald. In seiner rechten Pfote hielt er, heldenhaft umkrampft, ein bemaltes Stück Bärenhaut, welches im Moment des unglücklichen Zusammenstoßes aus den Händen des Trunkenbolds Jack London durch die neblige Luft direkt in die Arme des unschuldigen Unfallopfers geflogen war. Die zwei Schindmähren und ihre Fracht lagen aber im Hafenbecken. Dies war die Stunde von Orca, dem Killerwal. Irgendwo in weiter Ferne lachte Käptn Ahab.

Long John Larsen war Schiffskoch, doch einstens war er Schiffsarzt gewesen. Allerdings hatte er, nachdem ihm bei einer ordentlichen Kneipenschlägerei der jähzornige Maschinist Sir Francis “Freitag” Fletcher ein rostiges Messer in den Oberschenkel gerammt hatte, versucht sein eigenes Bein zu amputieren. Was ihm auch gelang. Aber ein einbeiniger Schiffsarzt? Wenn es so richtig stürmt? Den Kartoffeln macht das nichts, wenn das Messer mal wegen mangelnder Standfestigkeit woanders hinschneidet als geplant. So wurde Long John Larsen, weil er von der See nicht lassen konnte, Schiffskoch. Und nun saß er im nebligen Hafen von Portsmouth auf einem Poller und nähte einem kleinen Bären, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Schiffsjunge zu werden, sein abbes Bein an. Manchmal gibt einem das Leben die Chance etwas wiedergutzumachen. „Komm, mein Junge! Schnell an Bord! Dort im Hafenbecken treiben die abgenagten Knochen des Neffen Jack! Die Rache des Captain Bligh wird fürchterlich sein! Nichts wie weg! Leinen los!“ In weiter Ferne wünschte Columbus Glück.

Sieben lange Tage war man nun schon auf See. Madeira. Kapverden. Recife. Das Bein hielt. Man nannte ihn den Hinkebär. Das war ihm egal. Und ihm war auch nicht mehr jeden Morgen schlecht vom Auf und Ab der Wellen. Archibald Hawkins lernte die Freuden eines Lebens als Schiffsjunge kennen. Wanten hoch und Stagen runter. Rahsegel gerefft. Rahsegel geborgen. Deck geschrubbt. Nacht bewacht. Kartoffeln geschält und dann mit bloßer Hand zu Kartoffelpüree verarbeitet. Telefonbücher zerrissen. Feuerchen damit gemacht. Rauf ins Krähennest, Ausguck gehalten. Warten bis man einen Kürbis an die Rübe kriegt, dann runterklettern, Kürbis kleinhacken, Suppe mit machen, Kartoffelpüree dazu servieren. Zwei Stunden Schlaf. Klock zwei: Wanten wieder hoch. In der Ferne nur Ferne.

In Archibalds Koje, unter Gideons Bibel, die er als Kopfkissen benutzte, lag fein säuberlich gefaltet das Stück Bärenhaut, welches ihm Long John Larsen nach der Anoperation aus der Pfote klamüsert hatte. Das Stück Haut vor von oben bis unten bemalt mit Pfeilen, Wegen, Abkürzungen, angedeuteten Bergen, Flüssen, Wäldern und allerlei Heimlichkeiten. Was das alles bedeutete? Archibald war es gleich. Die Erinnerung daran überlebt zu haben: dies reichte ihm.

Ein fürchterlicher Sturm erwischte sie etwa drei Kilometer hinter dem Bermudadreieck. „Alle Mann an Bord.“ Alle? Mick „The Gulliver“ Finn stand vor des Schiffsjungen Koje. Er hielt die lang ersehnte Schatzkarte in seinen klebrigen Händen. (to be continued…perhaps)

Ernst Albert hatte Archibald alleine denken lassen. Er war etwas am Ufer hin und her geschritten und hatte sich Worte für die kommende Musentempelarbeit im Heckerland ins Hirn geklebt. Er war etwas überrascht, als er bei seiner Rückkehr den Bären in den Wanten eines kleinen Einmasters hängen sah. Der Bär war fürchterlich aufgeregt. „Die gehört mir! Verdammt noch mal. Das ist meine Schatzkarte.“ Das rief er immer wieder. „Hey Seebär in spe, mach mal langsam. Das Nordlicht hat es nicht so mit emotionalen Ausbrüchen in der Öffentlichkeit! Ich hab hier noch zu tun!“ Ernst Albert holte ihn zurück an Land. Der Bär kam zu sich. „Ich glaube, jetzt kann ich auch auf einem richtigen Schiff fahren!“ „Na dann man tau, Maat Mahler!“

Thema: Archibalds Geschichte, Kieloben | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth