Beitrags-Archiv für die Kategory 'Küchenschypsologie'

Die Tschurtschenthalermethode

Montag, 29. März 2010 13:04

apotheke„Jo schaug, wann es Dich verruckt moacht, noa schpeibst es aus!“ Und: „Sums nit und suff an Meum athamaniticum Jacq.“ Das hatte Ernst Albert Archibald gestern ins Ohr geflüstert. Selbstredend ist – dies vermutet selbst ein Bär, der noch am Anfang seiner Bildungsreise durch die Welt steht – das eine tirolerisch und das andere Latein, kann also nicht originär von Ernst Albert stammen,  obwohl der seine Bildungsreise durch die Welt schon etwas früher angetreten hatte. So sei es! Urheber dieser weisen Worte ist der Tschurtschenthaler Gregor, ein Drogist und Schnapselbrenner aus dem abgelegenen Glungezertal in Tirol. Drunten in der Landeshauptstadt am Inn hatte der Tschurtschenthaler Gregor eine Drogerie und dort hatte Ernst Albert auf einer seiner Reisen den Tschurtschenthaler Gregor kennengelernt. Er hatte vor dessen Drogerie gestanden und das alte Ladenschild photografiert, als die Tür aufging und ein stattlicher alter Mann mit riesigen verhornten Händen Ernst Albert hineinwinkte. „Keamens enk eini, Luschn.“

Ernst Albert stand in einem leeren Ladengeschäft, welches  gewiß seine 250 Jahre auf den – allerdings auch leeren – Regalbrettern hatte. In der Mitte des Raumes befand sich ein wackliger Holztisch, auf diesem ein Blecheimer und daneben eine große Flasche Schnaps. Und wie der Herr Albert so schaute wie eine Luschn, weil er nix verstand, hat der Tschurtschenthaler Gregor ihm ein Stamperl von dem Selbstgebrannten eingeschüttet und dann die von ihm entwickelte Methode erklärt.

Er erzählte, daß ihm seit Jahren auffalle, daß, wenn er von seinen Bergen herabsteige, die Menschen in den Tälern und Städten immer wahnsinniger und hektischer würden, weil sie innerlich vermüllt seien. Und daß der schlimmste Müll gar nicht mal der Dreck in den Flüssen, in der Luft und in den Nahrungsmitteln sei, sondern der Dreck in den Hirnen und Herzen der Menschen. Und daß fast alle Krankheit nicht aus dem Himmel in den Menschen hineinfalle, sondern daß die Menschen einen großen Spaß daran hätten, sich gegenseitig krank zu machen. Und schlimmer wie jede „Fotzn“, die man dem anderen mit der Hand auf die Wange haue, seien die „Fotzn“ die man mit Ausgesprochenem und Hingeschmiertem austeile. Und das sei eine gewaltige Menge, die der Mensch täglich an unsinnigen, geheuchelten und sinnlos nachgeplapperten Worten aufnehme, sei es über Ohr, Auge oder Nase. Und deshalb: „Jo schaug, wann es Dich verruckt moacht, noa schpeibst es aus!“ Und das sei die Methode. Du sprichst zehn Worte, die Dir seit Tagen das Hirn und Herz vermüllen laut vor Dich hin, spuckst dreimal in den Blecheimer und: „Jammerst nicht rum und säufst ein Stamperl Bärwurz.“ Und machst Dich an die nächsten zehn Worte. Und so weiter und so fort, bis Du eine angenehme Leere in Dir hast. Und die fühle sich richtig „bearig“ an. „Pfiat enk, i muaß buggln.“

So saß Ernst Albert vor dem Kränkelbären, Bleistift und Papier in der Hand, neben sich – in Ermangelung des Originals – einen griechischen Anisschnaps und vor sich Eva Pelagias Putzeimer. Und Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, begann eine lange, lange Liste zu diktieren. Denn wenn eine sensible Bärennase unter die Aufrechtgeher fällt, da kommt schon was zusammen.

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Sekundärer Krankheitsgewinn, ein geheimer Fieberthermometerhalter und Tom Waits

Mittwoch, 24. März 2010 6:12

krank„I never saw my hometown / until i stayed away too long!“ Das hatte Tom Waits einst gesungen. Lang ist’s her! Und obwohl Bären nicht zum permanenten „Hätte! Wäre! Wenn!“ der Aufrechtgeher neigen, es war mehr als Erleichterung, was Archibald spürte, als das Scheppern des Tores zur Hofeinfahrt ihn weckte. Die Rückkehr des Hausherrn! Warum aber Ernst Albert sich geschlagene 93 Sekunden vor Lachen schütteln mußte, bevor er den Bären unter seinem papiernen Kolder  hervorholte, bleibt ein Geheimnis der düsteren Psyche der Zweibeiner. Bären lachen Opfer per se niemals aus. Es kann zwar sein, daß diese, falls lecker, verzehrt werden, aber auslachen? Niemals! Doch Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz, war froh über die Rückkehr der Lachwurz E. A. und so verzichtete er darauf heute den Moralbären rauszukehren. Man ist ja nicht der Papst. Archibald zitterte. „Nein, Herr Lenz, beruhigen Sie sich! Kein Vorwurf! Nur die falsche Kleidung und der falsche Zeitpunkt! Nur die Nächte! Ich weiß!“ Der Bär seufzte. So war auch das geklärt.
Oh Krankheit, wenn nicht all zu heftig, Du schönste Zeit im Leben eines Mannes – Verzeihung! – Bären. Ein kleiner Seufzer: Eva Pelagia eilt herbei mit einer Tasse Honig, die befeuchtet ist mit etwas Kräutertee. Ein großer Seufzer: der geheime Fieberthermometerhalter (im Bild unten links in Teilen zu erkennen) eilt herbei und erzählt einen schmutzigen Witz. Ein Riesenseufzer: Ernst Albert eilt herbei und man darf im Bilderapparat Kugeltreten schauen. Heute abend: Die Blauen gegen die Blöden. Archibald lag im Bett der Hausherren. Leise sang er das Hohelied des sekundären Krankheitsgewinns vor sich hin. Er schloß die Augen und gab den konzentriert Leidenden. Ganz bedächtig räumte er seinen Gedankenschrank einmal komplett aus und dann wieder komplett ein und hatte im selbem Moment schon wieder vergessen, was er da gerade getan hatte. Oh Vanitas, wie erfrischst Du doch die Bärenseele! Archibald, der schwächelnde Bär legte ein Schweigegelöbnis ab. Die Fastenzeit fordert eine Geste! Wenn wer was wissen möchte: „I tell you all my secrets / but i lie about my past / so send me off to bed for evermore.”
Im Nebenzimmer beging Ernst Albert seinen monatlichen Tom Waits – Tag und packte seine Reisetasche. Das Klavier ist erkältet. Nicht ich.

Thema: Küchenschypsologie, Robert Zimmermann, Öffentliche Leibesübungen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung

Sonntag, 21. März 2010 7:21

vaterDas Eisentor stand offen. Archibald flog hinaus in die häßliche Stadt. Und er sah, daß diese häßliche Stadt den Aufrechtgehern immer noch nicht häßlich genug war. Er sah, daß die Zweibeiner in der ganzen häßlichen Stadt zwischen all den häßlichen Kaufbuden riesige Löcher gegraben hatten. Was suchten sie? Archibald schien es, ein riesiger Grizzlybär habe die Straßen durchwühlt, auf der Suche nach dem Aas, welches er letzten Herbst eingebuddelt hatte. Aus den Löchern strömte der faulige Geruch alter Kanalisationsrohre. Archibald sah hunderte rotweißer Plastikgeländer, welche die Vertiefungen, in denen sich kein einziger Zweibeiner aufhielt, umstellten. Sie hatten diese Löcher geschaufelt und gebaggert und haben dann, nachdem sie nichts gefunden hatten, panisch die Flucht ergriffen. Ihre Bagger haben sie einfach zwischen den schreiend bunten Kaufbuden stehen gelassen. Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz sah einen großen, schwarzen Mann, der eine schwarze Melone auf dem Kopf trug und hektisch zwischen den großen Löchern umherlief. „Hereinspaziert!“ schrie er unentwegt. „Hereinspaziert!“ Seine Stimme überschlug sich. Ihm folgte eine Handvoll Kinder. Die Kinder trugen uralte, verblichene und schmutzige Theaterkostüme. Wo hatten sie diese alten, erbärmlichen Kostüme gefunden? In einer der Gruben? Ein kleiner, dicker, häßlicher Junge war als Eichhörnchen verkleidet. Er schwitzte. Der große Schwarze Mann und die verkleideten Kinder drückten den Tüten und Taschen voller Lebensmittel, Elektroartikel, Kleidungsstücke und Kopfschmerztabletten aus den Kaufstuben zerrenden Aufrechtgehern bunte Zettel in die Hand. Die Tütenschlepper warfen einen kurzen Blick auf diese Zettelchen, ließen sie dann auf die Straße gleiten oder warfen sie – das bot sich an – in eines der großen Löcher. „Hereinspaziert! Hereinspaziert!“ Dann sah der Bär einen anderen Mann. Er trug ein Pappschild vor sich her, welches er an einem langen Holzstab befestigt hatte. Auf dem Pappschild stand geschrieben: „Holger sagt: Laßt Eure Finger aus den Hirnen derer, die von Euch abhängig sind. Denn sie rechnen mit Euch. Lukas 8.13.“

Archibald blieb stehen. Er stand vor einer riesengroßen Glasscheibe. Er blickte in Bärenaugen. Hinter der Scheibe saß in einem lächerlichen, mit Plastikblumen versehenem Regal: Verwandtschaft. „Gefangenbefreiung! Und zwar sofort!“, schrie es in Archibald. Der Revoltebär erwachte. Er bummerte gegen die Scheibe. Das dicke, häßliche Eichhörnchenkind lachte blöde. Eines der Bärenviecher hinter der Glasscheibe, ein stämmiger Grizzly, blinzelte ihm zu. „Vater?“ Archibald preßte seine Nase gegen die Scheibe. „Junior! Alles in Ordnung! Kümmere Dich nicht! Du hast zu tun! Bis bald!“

Warmer, dicker Regen fiel vom Himmel. Es war Zeit in den Park zurückzukehren.

Thema: Draußen vor der Tür, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Eine Nachtwanderung endet in Frauenhänden

Donnerstag, 11. März 2010 13:46

eva_pelagiaBären haben ja nichts gegen Frauen. Also Bärenmänner, um präzise zu bleiben oder zu werden. Aber zuviele Begegnungen? Nee! Da draußen in den Wäldern und auf den Bergen sieht man sich auch nur einmal im Jahr, so im Mai oder Juni, und dann sieht man sich richtig und zwar intensiv richtig. Wird zumindest erzählt. Und spätestens, wenn das „sich gesehen haben“ bei den Bärendamen Früchte trägt, jagen diese die Herren vom Acker. Zu Recht, denn es kommt immer wieder vor, daß so eine Frucht, wenn sie sich zu einem niedlichen Bärenjungen entwickelt hat, auf der Speisekarte von Papa Bär landet, worüber sich dann die Menschen fürchterlich aufregen, um dann anderntags an ihren eigenen Schutzbefohlenen rumzufummeln. Und dann ist das Geschrei groß, weil keiner was mitgekriegt haben will, obwohl die meisten Bescheid wußten. Aber das ist ein Thema im Zusammenhang mit Traumaverarbeitung, also etwa aus der Kategorie Abbes Bein / Anoperation und darüber wollte Archibald auch gar nicht nachsinnen, als er erwachte, sondern nur kurz anmerken, daß er als Bär nichts gegen Frauen hat, er sich aber nicht sicher ist, ob er von einer Frau gerettet werden möchte. Denn dies geschah gerade.

Ernst Albert hatte gestern seinen Bären unter dem Buch des Herrn Kotzwinkle liegen lassen und hatte sich sogleich ins Bett begeben. Der Tag war lang gewesen und anregend und der Schlaf ein tiefer. So bemerkte Ernst Albert nichts von Archibald kleiner Nachtwanderung.

Eine Stimme, es war die Stimme von Horse Badorties, hatte Archibald hinausgerufen, hinaus in den Park, um dort ruhig und cool, mit seiner ganzen gelösten strahlenden Persönlichkeit, sich der vitalen Meditation und dem Beknabbern von Buschwerk zu widmen. Und so erhob sich der Bär und schlafwandelte rumpelnd durch die Höhle, versuchte dabei, auf der Suche nach der Wohnungstür, in den Kleiderschrank einzudringen (Polterdirumpel!), verstreute, nach einem schmerzlichen Zusammenprall, das in der Küche gelagerte Leergut über den Steinfußboden (Schepperdiklepper!) und kroch zu guter letzt – vielleicht ist dies ja der Geheimgang in die Freiheit! – in das Schalloch einer der Gitarren von Ernst Albert (Rasselditwäng!), bis ihn die sanften Hände der wachgewordenen Eva Pelagia dort befreiten und zurück auf das rote Sofa trugen und dabei vorsorglich – Frauen wissen oft intuitiv Bescheid über die Gründe männlicher Ver(w)irrung – das Buch des Herrn Kotzwinkle zurück in das Bücherregal stellte. Bärensicher.

Archibald erwachte. Die Sonne kitzelte seine Nase. Die letzte Nacht, nichts als ein einziger undefinierbarer Schatten. Besser so. Denn von mütterlichen Händen wieder auf den rechten Weg gebracht zu werden, ist auch für herumstromernde Bären eine sehr zwiespältige Angelegenheit, rein küchenschypsologisch betrachtet.

Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Blumen, Schnaps und der „Große Mitsubishi“

Montag, 8. März 2010 0:23

maerzschnee2Die Nacht war gekommen. Der Wind hatte auf Nord gedreht. Der Himmel war eisesklar. Archibald dachte nach, frei von jeglichen geschäftlichen Verpflichtungen. „La reflexion pour la reflexion.“ Über ihm das größte Sternbild am Nachthimmel der nördlichen Halbkugel, jenes Sternbild, das die Menschen einst nach Archibald, das heißt, nach seiner Gattung benannt hatten. Seit einiger Zeit jedoch hieß es nun „Der Große Wagen“. Archibald verstand nicht warum. Jedem nicht komplett unwissenden Bär war klar, daß mit „Wagen“ seit jeher nur die fünf „Schwanzsterne“ des Bärenbildes bezeichnet wurden. Irgendwann hat nun der Mensch – wahrscheinlich im Zuge seines zunehmenden Mobilitätswahns – den eindeutig erkennbaren Bärenschwanz zur Deichsel eines Wagens umgedeutet und das gesamte Sternengebilde einfach umbenannt. „Wahrscheinlich ist der Tag nicht fern und sie kommen auf die Idee dieses wunderbare Bärenlicht „Der Große Mitsubishi“ zu nennen.“ Archibald war kurz davor sich bärig zu echauffieren, doch da er sich damit einen Bärendienst (auch über diesen Ausdruck gilt es gelegentlich nachzusinnen, dachte er kurz) getan hätte, blieb er ruhig und seine Nase genoß die menschenduftfreie Nachtluft. Über ihm alle diese funkelnden Boten, die vor Sternenjahren mal ein bißchen Licht auf die Reise geschickt hatten, welches heute nacht bei dem nachsinnenden Bären in Mittelhessen ankommen sollte. „Hoffentlich fällt den Menschen nicht ein, eines Tages neben jeden Stern da oben ein Preisschild, ein Etikett und das Verfallsdatum zu hängen. Schlimm genug, wenn sie aus ihrer Welt und ihren Hirnen eine einzige Kaufbude machen.“ Archibald spürte immer noch die Nachwirkungen des gestrigen Sonntags, als tausende und abertausende ferngesteuerte Menschen im Kaufrausch die Gegend rund um seine Höhle unsicher gemacht hatten. Doch die Nacht brachte Linderung. Archibald ruhte in seinem Fell und die Frage, welche ihn seit Tagen umtrieb, nämlich, ob er denn ein Bär des Westens oder des Ostens sei, pochte nur leise an den Rändern seiner Träume, in denen Lachse ohne Preisschild, Bienenstöcke ohne Etikett und Heidelbeeren ohne Mindesthaltbarkeitsdatum die Hauptrolle spielten. Eine kalte Frühfrühlingssonne weckte Archibald.

Heute war nicht irgendein Tag. Heute war Weltfrauentag. Archibald konnte das nicht wissen. Ernst Albert aber wußte es. In der vor zwanzig Jahren versunkenen Hälfte dieses Landes wurde der Tag im wesentlichen so gefeiert, daß die Männer morgens ihren Kolleginnen Blumen mitbrachten, dann eine Rede auf die Frauen hielten und den Rest des Tages Schnaps tranken. Ernst Albert handhabte dies anders. Er trank erst einen Schnaps, ging dann für Eva Pelagia Blumen kaufen, um, wenn sie dann von der Arbeit nach Hause käme und er noch dazu in der Lage wäre, eine kleine Rede zu halten.

Kaum erwacht fiel es Archibald wie – diesen kleinen Scherz konnte er sich nicht verkneifen – Lachsschuppen von den Augen. „Ursa major.“ Ursa: die Bärin! Ursa major: die größere Bärin. So heißen die Sterne dort oben. Und die  abgespeckte Variante daneben heißt? Der Kleine Bär! Sic! So hatte also Archibald durch pures, selbstloses Nachsinnen seinen Beitrag zum Weltfrauentag geleistet. Wie aber die größere Bärin und der kleine Bär an den Himmel gekommen waren, das ist eine andere und bitterböse Geschichte.

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Von der Primula vulgaris, einer Geschäftsidee am Sonntag und was Jeff Bridges dazu sagt

Sonntag, 7. März 2010 15:15

maerzschneeDraußen lag frischer Schnee. „Wenn der Quark auf den Boden fällt, fällt der Quark auf den Boden.“, sagen die Inguschen gerne, die an den Nordhängen des Kaukasus leben und dort schon manchem Bären das Leben schwer gemacht haben. Archibald war wach, hellwach und war fest gewillt, keinerlei Meinung haben zu wollen in Bezug auf die Verzögerungen im Betriebsablauf betreffs der Ankunft der nächsten Jahreszeit. Welt zu schauen heißt Rückschläge erdulden zu müssen. Außerdem gab es viel zu bedenken und in die richtigen Gedankenschrankfächer zu lenken. Angesichts einer solchen Aufgabe sollte man schlichtweg – Archibald schämte sich im selben Moment, da er das nun folgende Wort dachte – Bärenruhe zu bewahren. Nichtsdestotrotz: hatte nicht Archibalds Bärenahnvater, als er damals auf dem Ararat die Arche als letzter verließ, zu dem ihn zur Eile antreibenden Noah gesagt: „Gott hat Euch Menschen eine schwere Aufgabe auferlegt. Er beschleunigte Eure Zeit.“?

Draußen jagten die Menschen von Kaufstube zu Kaufstube. Es war  Sonntag und irgend jemand hatte den Menschen verboten zu Hause zu bleiben. Vor den übervollen Kaufstuben standen junge frierende Frauen und drückten den Tüten und Taschen voller Lebensmittel, Elektroartikel, Kleidungsstücke und Kopfschmerztabletten aus den Kaufstuben zerrenden Menschen eine Primula vulgaris in die unfreien Hände, gratis. Archibald wollte sich davon nicht beeindrucken lassen und rieb sich am Fensterrahmen. Es war zwar nicht zu erwarten, daß in nächster Zeit ein weiterer Bär in Ernst Alberts und Eva Pelagias Höhle einziehen würde, aber zum einem gilt: „Traue keinem Menschen! Abbes Bein hin, Anoperation her!“ und zum anderen: „Gelegentliches Markieren des Reviers hat noch niemandem geschadet.“ Man ist ja schließlich Bär und keine Ameise und weiß einen solitären Lebensstil zu schätzen, der außerdem Voraussetzung für Nachdenkarbeiten aller Art ist. Die Menschen draußen erhöhten die Schlagzahl und Archibald hatte das Gefühl, er müsse nun doch etwas tun. Nur was? Nachdenkarbeiten? Ist das der Weg? Ja! Nachdenkarbeiten! Da war sie: die Geschäftsidee. Archibald konnte zwar nicht klagen über sein Leben im Haushalt Albert / Pelagia, aber ein kleines Zubrot verdienen mit Nachdenkarbeiten, warum nicht? Selbstlos die Ergebnisse tage- und nächtelanger Hirnarbeit teilen. Nein, nicht selbstlos, ein paar Lachse, Honig und Heidelbeeren könnten schon dabei abfallen, denn geteiltes Nachdenken ist doppeltes Nachdenken. Eine Bärenweltidee: staatlich geprüfter Nachdenker! “Sie gehen shoppen jeden Tach, solange denk ich für sie nach.” Ungeahnte Möglichkeiten! “Die einen wählen Westerwelle, ich denke nach an ihrer Stelle.” Eine Wachstumsbranche! “Wollen Sie dem Kind was schenken, Archibald kann für es denken.” Euphorie bemächtige sich des Bären. “Wenn ihr Arsch auf Grundeis hängt, ruf den Bär, der für Dich…” Archibalds Blick fiel auf die Mülltonne, die vor dem Nachbarhaus stand. Er kratzte sich am Hintern. Ein Schwarm Raben flog über die Höhle hinweg. Es dämmerte. Ideen kommen, Ideen gehen und raus bist Du. Archibald dankte den Bärengöttern. Sie hatten ihn gerade vor einer großen Dummheit bewahrt. Wie schön es ist, die hereinbrechende Nacht willkommen zu heißen. So ganz ohne Geschäftsidee.

“Wenn mein Impuls ist, das zu tun, was ich wirklich liebe – dann ist jetzt die richtige Zeit dafür! Aber bin ich auch wirklich dazu in der Lage? Weil: Es kann auch sein, daß ich nur ein faules Arschloch bin. Ach, immer diese Selbstzweifel…” Aber das hat Jeff Bridges gesagt.

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Herr Schmidt hilft Archibald und Ernst Albert dabei sich etwas aus den Pfoten zu saugen

Dienstag, 2. März 2010 13:45

tagesschauEin Schriftsteller aus Hessen, den alle nur den Geheimrat nennen, schrieb: “Dichter gleichen Bären, die immer an eignen Pfoten zehren.” Archibald war sehr froh, daß dieser Herr Geheimrat – man sagt, kein anderer Schreiber auf der ganzen Welt habe so viele Buchstaben auf Papier gebannt wie er – tiefes Verständnis für seinen Zustand hatte. Und der war heute in der Tat etwas desolat. Früh schon hatte Archibald sich an Fenster gesetzt, die Sonne schien, die Luft war kalt und klar.  Eigentlich ein guter Tag weiter an der Ordnung im Gedankenschrank zu arbeiten. Pustetorte. In Archibalds Kopf sah es aus wie in Nachbars Garten, wo wild durcheinander die Hinterlassenschaften des Orkans, der vorletzte Nacht über die Stadt gefegt war, herumlagen: abgebrochene Äste, Zeitungen, Plastiktüten, Kinderspielzeug und ein paar Dachziegel. Das gefiel ihm nicht. Archibald schloß die Augen und er sah unzählige, ineinander verwobene Gedanken, die völlig unsortiert vor seinem Gedankenschrank lagen und nach Einordnung schrieen. Archibald öffnete die Augen. Wo war die Unordnung größer, draußen oder drinnen? Manchmal ist die Welt ein großes Ach und der Himmel fällt einem auf den Kopf. “Sterben – schlafen – vielleicht auch träumen! Ja, da liegts: Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen, wenn wir die irdische Verstrickung lösten, das zwingt uns stillzustehn.”, brummte er leise vor sich hin und wußte im selben Moment nicht, welcher Wind ihm diese Worte eines Prinzen aus Dänemark in den Kopf geweht hatte. In einer warmen Höhle, tief im Wald, liegen und schlafen, das war es was Archibald heute wollte und er beschloß, daß der Winterschlaf dieses Jahr doch etwas zu kurz aufgefallen war und die Welt  ihm heute gestohlen bleiben könne. Sollen andere hinschauen.

Ernst Albert saß im Nebenzimmer vor seiner aufklappbaren Schreib- und Bildermaschine und hatte begonnen eine neue Spielvorlage für die Musentempel zu verfassen. Er machte dabei den Eindruck, als habe heute auch er nur ein übelst verknotetes Wollknäuel im Kopf. Wie das Gescherr, so der Herr. Und so beschlossen die zwei Wirren die Flucht vor der Leere und setzen sich – der Reflex aller Faulpelze – vor den Bilderapparat. Doch sie hatten die Rechnung ohne den ehemaligen Abgeordneten aus Bergedorf gemacht. Der alte Mann saß im Bilderapparat, beantwortete geduldig Fragen, rauchte dabei eine Zigarette nach der anderen, rieb sich dazwischen Schnupftabak in die Nasenlöcher, trank etwa 8 Liter Kaffee mit geschätzten 125 Stück Würfelzucker darin und sprach, als der Fragesteller ihn bat, sein Lieblingsgedicht zu rezitieren:  “Des Waldes Dunkel zieht mich an, doch muss zu meinem Wort ich steh’n, und Meilen geh’n bevor ich schlafen kann, und Meilen geh’n bevor ich schlafen kann.”

Selten wurde ein Bilderapparat so schnell ausgeschaltet und Ernst Albert und Archibald machten sich an die Arbeit. Ernst Albert kämpfte wieder mit den Worten und Archibald begann an seinen Pfoten zu saugen und siehe da. Doch davon später.

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Von Lachseintopf, Aufräumen und Bärennasen

Donnerstag, 25. Februar 2010 8:10

vorne_2Archibald hatte die Augen aufgeschlagen und seine Zunge schmeckte die Reste eines geträumten Lachseintopfes mit Heidelbeeren. Was sah er? Vor dem Fenster regnete es. Immer noch? Wieder? Keine Veränderung also draußen. Gut. Oder doch? Mit seiner Bärennase, die einhunderttausendmal besser riechen kann als eine Menschennase, roch er, wie in nicht allzu weiter Ferne die Wasser der Flüsse und Bäche gewaltig anschwollen und dabei so einiges an winterlichem Unrat mit sich fortrissen. Es wird aufgeräumt. Wie gestern Eva Pelagia es tat, als sie, nachdem der neue Schrank aufgebaut war, stundenlang durch die Höhle gestürmt war, jenes von hier nach dort, dieses von da nach hier und wieder zurück räumte und dabei häufig zweifelnd ihre wunderschöne Stirn furchte. Archibald hatte vollstes Verständnis. Bewegung und Veränderung. Auch wenn es nur ein neuer Schrank ist, der hinzutritt, ein altbewährtes Gefüge muß sich neu zusammenrütteln. Der Blick bleibt als erstes am Eindringling, auch wenn man ihn noch so herbeigesehnt hat, haften. Neue Bäume wachsen langsam und schieben sich unmerklich in das Auge des Betrachters, aber so ein Schrank: eine halbe Stunde Hämmern und Fluchen und Schrauben, zwei gepflasterte Daumen von Ernst Albert später und da steht er nun: neu, fordernd, frech. “Füll mich! Nutze mich! Schau mich an.” Und dann dieser neufremde Geruch. Archibalds einhunderttausendmal empfindlichere Nase roch noch die Maschinen, welche die Bretter in Paßform gesägt hatten, den Schweiß der Arbeiter, die die Bretter in Plastikfolie und Pappendeckel eingepackt hatten und das vergossene Blut Ernst Alberts. Prinzipiell ist so eine feine Bärennase eine sehr sinnvolle Einrichtung. Zum Beispiel im Frühjahr, wenn sie in kilometerweiter Entfernung das Aas riechen kann, die Opfer eines harten Winters, die dem Bären dazu dienen, wieder zu Kräften zu kommen nach dem langen Schlaf. Aber so eine Bärennase kann auch eine rechte Qual sein. Wenn gar ein neuer Bär im Wald auftaucht und Ansprüche erhebt auf Aasstücke, Beerensträucher, Bienenwaben, kann sich das zur olfaktorischen Folter auswachsen. Über Kilometer hinweg weht der sensiblen Bärennase der Dunst des neuen Rivalen entgegen. Da werden selbst quadratmeilengroße nordische Wälder zur gefühlten Einraumwohnung ohne Fenster. Das einzige, was die Bärennase dann beruhigen kann, ist das Wissen darum, daß die neue Nase im Revier ähnliches erleidet. Jawoll, auch die Bärengötter sind gerecht. Und da schoß es Archibald ins Hirn. Der Verlust des Beines damals, vielleicht die Folgen eines Kampfes? Um Aasstücke? Beerensträucher? Bienenwaben? Dunkle Ahnungen, ein bedrohliches Echo aus längst vergangener Zeit. Groß und fordernd im Raum: die Vergangenheit.

Ernst Albert kam zurück von einem Spaziergang. Er hatte seine verletzten Daumen und sein Hirn ausgelüftet, war bester Laune und rief, die Türklinke noch in der Hand: “Beste, schau mal, was ich gefunden habe. Da wird das Bärenviech aber Augen machen.” Und wäre beinahe gegen den neuen Schrank gerannt. Rumms! Und Archibald hatte wieder etwas vergessen.

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