Zu Dornbirn besucht Archibald den Herrn Zimmermann und ist beeindruckt
Da war er schon stolz. In Begleitung dreier ehrenwerter Gesellschafter der alten Markgrafenbande aus der kleinen reichen eingebildeten Stadt ins benachbarte Vorarlberg zu reisen, um Herrn Robert Zimmermann zu erleben. Die Haare der Reisegruppe ergraut und das Auto – wie die Abdomen – etwas dicker geworden als anno dunnemals Mitte bis Ende der Siebziger. Die Stimmung jedoch die gleiche. Frühes Bier, indische Heilkräuter und dezent alberne und euphorische Vorfreude auf den Meister. Archibald fühlte sich ausgesprochen wohl. Man hatte ihn sehr freundlich begrüßt. Alle dummen und gescheiten Sprüche der Troika verstand er nicht, aber er spürte durchaus, wenn Aufrechtgeher guter Laune sind und es ehrlich miteinander meinen. Und die Lieder, die aus den Lautsprecher knarzten, sie waren ihm vertraut. „My woman got a face like a teddy bear / She’s tossin’ a baseball bat in the air / The meat is so tough you can’t cut it with a sword / I’m crashin’ my car, trunk first into the boards.” Keine Sorge: keine Unfälle. Die Betonpiste des Nachbarlandes, das soeben die Spanier besiegt hatte, wurde vignettenfrei befahren. No risk, no fun! Dornbirn erreicht. Unverschämte acht Grad plus vor Ort, Dauerregen und die umliegenden Berge im feuchtkalten Nebel. Na und? Nichts trübt die Laune auf dieser kleinen Zeitreise.
Eine Reise zurück in eine Zeit, welche beim Betreten der Halle fröhliche Urständ feiert. Kaum Einlaßkontrollen, Fotoapparate erlaubt, nur kein Blitzlicht bitte, die Bühne an der Längsseite der sehr überschaubaren Halle, größtmögliche Zuschauernähe, keine feste Bestuhlung, man kann sitzen oder stehen und bezahlt doch einen Preis. Einige “VIP’s” blicken mit häppchenverklebten Fingern von einem Balkon aus schräg runter auf die Bühne: Peching! Bierstände im Innenraum, viele Bierstände, keine Schlangen davor und drei Taler zwanzig für ein großes, gut gezapftes Getränk, unter den Rauchverbotschildern blitzten die ersten Feuerzeuge auf und bald ziehen süßliche Rauchschwaden durch die Halle. „Once upon the time!“ Lob, Gruß und Dank an die Veranstalter. Vorfreude wurde hier nicht durch kranken Kontrollwahn bombardiert. Pünktlich wie immer: “Columbia recording artist B.D.” Und Archibald ist fasziniert. Ein kleiner dünner Bär, ein kleiner dünner, sehr gutgelaunter Tanzbär springt auf die Bühne. Neunmal steht er hinter seinem elektrischen Pianoforte, dreimal schultert er die Gitarre und viermal – und das ist der Moment, in dem Archibald sich in ihn verliebt – steht er im Zentrum der Bühne, nur das Mikrophon in der einen, eine Mundharmonika in der anderen Hand. Alle Kraft und alle Konzentration legt er in seine Stimme. Er knarzt, gurgelt, wütet. Er zerpflückt, zerlegt, streichelt die Worte. Fügt zusammen den Sinn. Alle Lieder, die Archibald schon öfters in Ernst Alberts Höhle gehört hat, sie beginnen zu wachsen, zu fliegen, zu glitzern und zu tanzen. Sie tanzen über den Köpfen der begeisterten Menge, sie tanzen wie dieser mit der Mundharmonika ins Publikum winkende Mann in seinem hellgrauen Südstaatenanzug mit den obligatorischen Seitenstreifen an der Hose. Und hast Du nicht gesehen: er grinst, er lächelt! Flirtet er mit dem Publikum, welches seine Lieder auf Händen durch den Abend trägt? Vor ihm kniet gelegentlich der leitende Gitarrist und feuert den Tänzer an, treibt dessen Stimme an, zieht sich zurück, um die Stimme wieder in Empfang zu nehmen. Call und Recall auf höchster Ebene. Der Mann in Schwarz mit der wummernden Gitarre fördert und fordert den Sing- und Tanzbär! Und beim letzten Lied – Das spiele der Meister fast nie am Ende, ließ Ernst Albert, der alte Fachmann, verlautbaren! – da hatte Archibald feuchte Augen, falls ein Bär überhaupt weinen kann und nicht doch die indischen Heilkräuter die Bindehaut gereizt hatten. „May God bless and keep you always / May your wishes all come true / May you always do for others / And let others do for you.”
Auf der Rückfahrt wurde wenig gesprochen. Es war, da herrschte Einigkeit, eines der richtig guten und beseelten Konzerte des Meisters. Man war beglückt, bekifft, trunken. Nur der wackere Chauffeur nicht! (Danke an Arno für das Anhalten im rechten Moment!) Ein schöner Ausflug in Zukunft und Vergangenheit. Never ending tour! Zu Hause ein Absacker, noch mal singt der Meister, Archibald schlummerte ein und Ernst Albert notierte die Eindrücke des nun gestrigen Abends. Ihm war aufgefallen – Man notiere: Dylan zu interpretieren liegt ihm mehr als fremd: dennoch! – daß der Meister in die Mitte des Abends einen fast politischen Schwerpunkt gesetzt hatte. Ein wütender, teils zynischer, dann wieder gelassener Kommentar zu Finanzen, Banken, Ölpest und der ständig weiter wachsenden Schere zwischen Reich und Arm. Ein von Herrons Banjo voran getriebenes, entspannt stampfendes „High Water“. Hier kommt die Flut. Es folgt „Desolation Row“, unterlegt von einem Riff, das sich permanent im Kreise dreht, Rummelplatzmusik. Nichts ändert sich, Schemen und irreale Gestalten bevölkern den heruntergekommenen Planeten. Und dann – einer der absoluten Höhepunkte aller bisherigen zehn Konzertbesuche des Herrn Ernst Albert – Dylan ohne Instrument, alleine am Mikrophon und ein wütend ausgespucktes „Ballad of Hollis Brown.“ Sie nehmen den Armen nicht nur ihr letztes Hemd, sondern auch ihre Würde. Und wenn ihr Spaß dran habt, ihr vollgefressenen verwöhnten Lümmel, bringt ihr eine Hungerleiderin einfach um, kommt ungeschoren davon. „The Lonesome Death of Hattie Carroll”. Jedes einzelne Wort spuckt er fast verächtlich aus. Nehmt die Lumpen aus Eueren Gesichtern! Eure Krokodilstränen interessieren die Verhungernden und Entwürdigten nicht. Schlußpunkt dieser kleinen Serie ein lautes und von dem großartigen Charlie Sexton wütend in die Saiten geknalltes „Honest With Me.“ Der Sänger kann seine tiefe Enttäuschung kaum verhehlen und er kämpft mit sich um ein Stück letzte Hoffnung. „Well, my parents they warned me not to waste my years / And I still got their advice oozing out of my ears / You don’t understand it, my feelings for you / Well, you’d be honest with me if only you knew.“ Später der sentimentale – und das darf sein – Abgesang: “Workingman’s Blues # 2”. Die Gesellschaft ist eine andere geworden. Und als das alles kaum mehr zu toppen ist, mutiert er zu einer Art zynischen Frank Sinatra, stellt sich mit seiner Harp in die Mitte der Bühne und croont ein „Ballad Of A Thin Man“, daß sich draußen die Nebelwolken lichten und der Hausberg der Lokalen, der Karren, sichtbar wird. Und das war wirklich so. Ernst Albert hat es gesehen! Ein faszinierender Abend. Archibald erwachte aus seinem Schlummer. „Ernst Albert?“ „Ja?“ „Wann fahren wir wieder heim?“ „Weshalb?“ „Weil hier nur eine Zimmermannplatte ist. Ich muß mehr Zimmermannlieder hören!“ „Bald fahren wir wieder heim! Bald! Schlaf gut und: May your heart always be joyful / May your song always be sung / May you stay forever young / Forever young, forever young / May you stay forever young!” Danke Dornbirn! Danke Meister!
Montag, 21. Juni 2010 17:56
Habe selten so eine witzige und dennoch äusserst beeindruckende Kritik über ein Zimmermann- Konzert gelesen. Respekt !!!
Montag, 21. Juni 2010 18:28
Gut gesagt, genau so war’s.
Montag, 21. Juni 2010 18:29
Danke für diese schöne Geschichte! Was für ein Mann, dieser Zimmerman! Was der Sexton möglich macht… Toll, oder?
cheers aus Hamburg
Bert
Montag, 21. Juni 2010 19:16
Der Artikel ist dem phantastischen Konzert von Dornbirn voll angemessen.
Respekt & Dank
manfred aus gp
Montag, 21. Juni 2010 22:19
die besprechung ein volltreffer. es war ein toller höhepunkt.dank für die schöne beschreibung. ist nicht besser zu treffen
Mittwoch, 30. Juni 2010 22:41
Jetzt weiss ich,warum Du das Foto vom Bären gemacht hast.Wir sassen im Ström-Regen im Auto und wunderten uns!