Die Lehre: Erst leer, dann bunt, dann wieder leer!

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Manchmal denkt sich Archibald, daß er doch ein recht blöder Bär ist. Da sitzt er und beobachtet, tagelang, hält sogar die Klappe, plappert nicht rum, schaut genau hin und dann noch etwas genauer, schweigend, da dies – sagen die Einen und auch Andere – die Präzision des Denkens erhöhen soll und dann? Wieder keine Spur von Durchblick oder gar Erkenntnis. Das ärgert ihn. Und noch mehr ärgert es ihn, daß er gar nichts dafür kann, wenn er rein gar nichts kapiert von so mancher Kuriosität, mit der die Aufrechtgeher die Welt tagtäglich beschenken. Woher soll er auch in seiner zutiefst bärigen Naivität wissen, daß der gemeine Aufrechtgeher gerne große Pläne macht, aber letztlich leider überhaupt keinen Plan hat, und zwar so etwas von keinen Plan, daß sich Archibald immer wieder fragt, welcher Aufrechtgeher das Wort „Affentheater“ in Umlauf gebracht hat, wo doch selbst ein regredierender Schimpanse nie auf die Idee käme, ein solches Verhalten an den Tag zu legen.

Überhaupt keinen Plan haben die Aufrechtgeher, wenn uns um das geht, was sie „Stadt“ nennen. Das hat Archibald schon mal rausgefunden. Dazu wäre zu sagen, daß ihm diese Erkenntnis in der Kleinen häßlichen Stadt sozusagen auf dem Silbertablett serviert wird. Da reichen einige intensive Schaustunden auf seiner Fensterbank oder eben die letzten Tage auf seinem kleinen Schrottplatz rechter Hand der Lahn. Gestern hatte er – Mehr Höhe, mehr Überblick! – einen ehemals roten, nun von Licht, Luft und Regen wunderbar ausgebleichten Kleinlaster bestiegen. Zuerst hatte er sich gefragt, woher wohl seine Vorliebe für rote Automobile komme, da er aber darauf keine schnelle Antwort fand, nahm er es, wie es ist. Rote Autos gefallen ihm. Punkt. Aber alt und rostig müssen sie schon sein. Und dann schaute er auf die Kleine häßliche Stadt und da hämmerte es, grub es Löcher, asphaltierte es, riß es ein, baute es auf und sperrte es ab und blieb doch ständig unvollendet. Und gab es zwischen zwei Häusern noch ein Loch, standen einige Aufrechtgeher mit gewichtigem Gesicht davor, entrollten einen Plan, hatten aber keinen solchen und am nächsten Tag rollte ein Bagger an. Und einige Wochen, oder Monate oder aber Jahre bis Jahrzehnte später, war alles so schön bunt da, wo mal ein Loch gewesen war oder ein Platz.

Und dann fragte sich Archibald Mahler, was den Aufrechtgeher denn diese fürchterliche Angst vor jeder Art von Leere einflößte. Was sie treibt jeden noch so kleinen freien Platz in ihren Städten ziel- und planlos mit hektisch zusammen geschusterten Kaufbuden zu verschandeln, diese Monumente eines unsäglich billigen Geschmacks mit schrillbunten, dummdreist getexteten Reklametäfelchen zu behängen und so das Auge eines jeden Ästheten – und Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz ist ein Ästhet – Tag und Nacht zu foltern. Und das Kurioseste dabei: die Freude der rauschhaft Bauenden währt immer kürzer. Schnell sind die Löcher zugebaut, schnell ist alles so schön bunt dort, aber noch schneller ist alles wieder genauso leer wie zuvor. Nur so viel häßlicher. Aus Leere wurde Leerstand. Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen! Tränen. Zu vermieten! Pause. Paare. Passanten. Man eilt vorbei. Dann bleibt man stehen. Neueröffnung! Oh Gott, das Spielchen geht von vorne los.

Archibald schloß die Augen. Dies war bitter nötig. Er spürte, wie die Reste des Tageslichts hinter seinen geschlossenen Augenlidern auf der Iris funkelten. Die Sonne trocknete seinen feucht gewordenen Pelz. April im September. Kein Indianersommer heute, eher Osterhasenwetter. Auch hier kein Plan! Den Bären beschlich ein Verdacht. Könnte es sein, daß die offensichtlichen Wetterkuriositäten der letzten Zeit auch auf das Konto der Aufrechtgeher? Nicht auszudenken! Erst mal ein Prise Schlafsalz aufs Zahnfleisch reiben. Gute Nacht!

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 16. September 2010 21:49
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