WHY ARE THE LEAVES LEAVING AND WILL THEY EVER COME BACK?

herbst

Dann war er wieder draußen. Außerhalb seiner selbst und doch mittendrin dabei in der Welt. Er schaute und sah dabei auch etwas. Die Blätter an den Bäumen im Hinterhof waren gelb und sie hatten kaum mehr Kraft sich an den Ästen zu halten. Der Wind spielte mit ihnen. „Na, krieg ich Dich?“ Können Blätter Angst vor dem Fallen haben? „Und tschüß!“ Kleine gelbe Choreographien zerschnitten taumelnd die spätsommerliche Luft. Es trudelte so vor sich hin. Archibald schaute und schaute und schaute und wurde traurig. Die schönen Blätter. So gelb, so rot und dann liegen sie auf der Erde und werden – Zackzack! – braun wie ein ungewaschener Bärenpöter. Seine Knopfaugen feucht, das Haupt geneigt und so manchen Seufzer in den spätsommerlichen Himmel sendend, so fand ihn Ernst Albert vor, als er von der Probe nach Hause kam. „Schwermut, mein Bär?“ „Das ist doch sehr bedenkenswert, daß die Blätter jetzt so schön sind wie das ganze Jahr nicht und dann sind sie zwei Minuten später pfutsch und kommen nicht mehr wieder. Ziemlich doof ist das!“ Und Ernst Albert holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich zu seinem von der Herbstmelancholie erfaßten Bären und erzählte ihm eine kleine Geschichte.

Er erzählte ihm, daß er vor genau zehn Jahren einen Herbst erlebt hatte, der so ein gewaltiger Herbst war, so ein Herbst, in dem alle, aber wirklich alle Blätter von wirklich allen Bäumen herunter krachten und es ihm damals erschien, als ob es nie wieder Blätter geben würde und alle Hoffnung auf ein Ende des Zerfalls und des Vergehens oder gar die Wiederkehr eines Frühlings mit den fallenden Blättern dieses einen Herbstes ein für alle mal zu sterben schien. Und daß ihn damals nichts und niemand trösten konnte und jeder Hinweis eines Anderen, irgendwann werde es gewiß wieder Blätter geben, das sei der Lauf der Welt und der nächste Frühling scharre schon ungeduldig mit den Hufen, ihn nur noch tiefer in einen Zustand heilloser Verzweiflung stürzte. Dabei hatte er bis dahin den Herbst und ganz besonders den Monat Oktober, welcher der Monat seiner Geburt ist, so geliebt. Letzte warme Tage, malende Blätter, das finale Aufbäumen der Säfte, das reife Platzen, das vergangene Jahr wird vergoren und sorgt für einen ersten Rausch. Es ist nicht kalt. Es ist nur frisch. Aber damals, vor zehn Jahren, in diesem Herbst voller Panik und Verrat und Ausweglosigkeit und schmächtigen Lügen war ihm das Fallen der Blätter nur entsetzliches Menetekel. „Ja, ja, so war das!“ Und Ernst Albert holte sich noch ein zweites Bier. Und dann hat der Bär gedacht, daß Herr Ernst Albert heute wohl einen sehr sentimentalen Anfall hat. Das brachte ihn dazu zu grinsen.

„Geht doch, Herr Bär!“ Ernst Albert mag den tiefen Ernst, mit dem sein kleiner Genosse in die Welt schaut, aber er freut sich auch, wenn der mal grinst und nicht hinter allem die ganz große Frage sucht oder gar zu sehen glaubt. Und dann sagte Ernst Albert zu Herrn Archibald Mahler, daß es wohl seine Bedeutung habe, wenn die Blätter in vollster Schönheit fallen und sterben. Wenn etwas zu Ende geht, meinen ja alle immer, dies sei auf jeden Fall das Schönste, was ihnen bis heute geschehen sei. Und dann wird rumgemoppert und genöhlt und getrauert. Dabei hatten sie davor das nun unwiederbringlich Verschwundene oft gar nicht bemerkt. „Aha!“ Das begriff der Bär. In Ansätzen. „Genau! Der Baum will sich ja auch mal erholen! Das ganze Zeugs monatelang in der Luft zu halten! Ganz schön anstrengend! Und warum hab ich jetzt schon wieder Hunger?“ Ernst Albert war verschwunden. Er war in der Küche. Eva Pelagia briet Pfeffersteaks. Hatte sie früher auch nie gegessen. So ist das eben, wenn die Blätter fallen.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 7. Oktober 2010 19:06
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