EINE ALTE FRAU SCHIMPFT, SINGT LIEDER UND DIE GRÜNE LAMPE IST TOLL

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Als wirklichen Profi im Musengewerbe würde sich Archibald Mahler, Bär der heute mal die Strassenseite gewechselt hatte, nicht bezeichnen. Aber etwas Erfahrung in der Darstellerei und anderen Musentempelaufgaben hatte er doch schon gesammelt, als er diesen Sommer zusammen mit Herrn von Lippstadt-Budnikowski (seit neuestem Mister Holtby genannt) unten am Lausebacher See die Sommerseespiele auf die wackligen Bretter gestellt hatte. Nach der Premiere jedoch war er sich recht sicher, daß es für einen Bären, der so gestrickt war wie er und dessen Lieblingsbeschäftigung das aus dem Fenster schauen und das über die Welt nachdenken ist, nicht zu vergessen der regelmäßige und konzentrierte Verzehr von Thunfischpizza, Heidelbeermarmelade und Honigkuchen, nur bedingt ratsam ist, in der doch recht hektischen und nervenaufreibenden Theaterwelt sein Glück zu suchen. Doch mit einem gewissen Abstand und der rosaroten Brille der verzückten Rückschau auf der empfindlichen Bärennase? Na ja, vielleicht doch.

Er hatte von seinem Fensterplatz im Hause gegenüber schon öfters mal interessiert auf dieses große Eisentor auf der anderen Strassenseite geblickt. Manchmal öffnete sich das Tor, rauchende Aufrechtgeher standen davor, seltsame Möbelstücke würden rein und raus getragen, gedämpftes, manchmal buntes Licht drang aus dem großen Raum hinter dem Tor und das am hellichten Tage. „Die sperren sich selber in einen fensterlosen Raum, die Zweibeiner und haben auch noch Spaß dabei! Seltsam!“ Gut, um einen ordentlichen Winterschlaf hinzulegen, ist das schon vernünftig sich eine fensterlose, dunkle Höhle zu suchen. Aber einfach so und sogar, wenn die Sonne scheint? Ganz schön dämlich. Nichtsdestotrotz, wunderfitzig wie der Bär nun mal war, das würde er doch gerne wissen, was hinter diesen Türen vor sich ging. Manchmal vernahm er leise Musik, Pistolenschüße, gerne auch mal wildes Gefluche und viel und gerne gelacht wurde in der Finsternis auf der anderen Seite seiner Straße offensichtlich auch. Und nun stand auch noch sein Herr und Meister, der ehrenwerte Ernst Albert seit ein paar Wochen fast jeden Tag morgens wie abends vor diesem Tor, um dann regelmäßig in der Zauberhöhle zu verschwinden. Und spät abends kam er heim und summte ein Lied. Jeden Tag ein anderes.

Jetzt also saß Archibald in der Höhle, ein großes Fenster, das gar kein Fenster war, aber wie ein Fenster aussah, leuchtete in bunten Farben, in Farben, die es draußen vor der Türe und hinter richtigen Fenstern gar nicht gibt, aber trotzdem waren es schöne Farben und der Bär guckte gerne hin, fragte sich aber trotzdem, warum die Aufrechtgeher nicht einfach einen großen Hammer nähmen und ein richtiges Fenster in die Wände dieser großen Höhle hackten. Dann müßten auch diese großen Lampen nicht immer brennen. Doch bevor er diesem Gedanken weiter nachgehen konnte – Oh diese hektischen Aufrechtgeher! – kam eine ältere Frau auf die Bühne und hielt sich an einem Eisenteil mit Rädern fest, wohl damit sie nicht umfällt, und schimpfte. Und sie sah aus, als ob sie nicht ganz gesund sei, und Archibald dachte, die wäre auch besser im Bett geblieben und hätte sich auskuriert, anstatt in einer Höhle mit falschem Fenster rumzuschimpfen. Und dann stellte sie das Rollding in die Ecke und sang ein Lied. Genau das Lied, das Ernst Albert, gestern abend als er heim kam, vor sich hergesungen hatte. Nur sang die Frau, die jetzt plötzlich ganz gesund war, das Lied viel besser! Und auf dem Tisch, wo sie saß, brannte diese Lampe. „Die will ich haben!“ Die Lampe, nicht die Frau. Weil, vor der hatte Archibald nämlich etwas Schiß, genau so wie der blonde Mann mit den gelb-weißen Schuhen, der ab und zu Musik machte, an dem riesigen schwarzen Kasten saß, wo die Musik rauskam und dort sitzend von der Frau ausgeschimpft wurde, trotzdem aber immer freundlich blieb und keine falschen Noten spielte. „Komischer Vogel!“ Das dachte der Bär.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 21. Oktober 2010 13:20
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