EIN TANZ MIT DEM VERGEHENDEN JAHR

kiel_orakel

Hatte ihn wer gerufen? Der Bär stand auf, rutschte von seinem Felsen herab. Da, von dort vorne hatte jemand seinen Namen gerufen. Er ging den Strand entlang. Und was er nun erblickte, gefiel ihm sehr. „Magisch!“ Das dachte er. Nun vernahm er die Stimme ganz deutlich und nah. Sie sprach: „Moin, moin!“ Und: „Schön, daß Du zu meiner kleinen Geburtstagfeier gekommen bist!“ Archibald blickte um sich. Niemand zu sehen. Zumindest kein Aufrechtgeher, dem man diese Stimme zuordnen könnte. Lediglich ein ganze Reihe kleiner Steinmännlein. Von wegen lediglich. „Das ist bestimmt der geheime Garten eines Zauberers. Und die Steinmännlein sind seine Zauberlehrlinge und die haben Blödsinn gemacht und dann hat der Zauberer sie zur Strafe versteinert.“ Und dann hörte er Musik. Und die Stimme sprach: „Zwar habe ich heute Geburtstag, aber Du, weil Du von so weit hergekommen bist, Du darfst Dir heute etwas wünschen.“ „Darf ich kurz nachdenken, Herr Unbekannt?“

Und Archibald hatte sich gewünscht zu diesem Lied tanzen zu dürfen und der Herr Unbekannt möge doch, so lange dieses schöne Lied läuft, die versteinerten Zauberlehrlinge lebendig machen, auf daß sie mittanzten und er nicht so alleine wäre. Und Archibald Mahler begann sich im Kreis zu drehen wie ein alter Derwisch und Sufimeister und die Steinmännchen drehten sich mit ihm. Und sie fragten den Bären, was er dieses Jahr denn so alles erlebt habe. Und der Bär dachte nach und schon begann das ganze vergangene Weltschaujahr mitzutanzen, mit ihm und um ihn herum. Und es war ein großes Hallo und Grüß Gott und Ach gucke mal und der Bär staunte, was dieses Jahr, das auf einer mittelhessischen Fensterbank begonnen hatte und sich nun im Garten eines Magiers am Strand von Strande seinem Ende zu neigte, so alles mit sich geführt hatte. Da war er an der Lahn gesessen und hat von Meister Basho das genaue  Hinschauen gelernt. Da hat er Tage in einer Höhle im Wald zugebracht und eine Thunfischdose nicht aufbekommen. Da hat der den magischen Robert Zimmermann tanzen und singen gesehen. Da hat er mit seinem Kumpan, dem ehrenwerten Herrn von Lippstadt – Budnikowski, die Bretter, die die Welt bedeuten erobert und sich auf der anderen Seite der Straße, in Ernst Alberts Musentempel, in die Frau mit dem Rollator verliebt. Da hat er gedacht, bis das Bärenhirn qualmte und manchmal auch was rausgefunden. Da hat er unten im Heckerland zweimal Geburtstag gefeiert, erst mit Eva Pelagia und dann mit Ernst Albert und das Paradekissen wurde auch besessen. Da ist er auf den Spuren des Geheimrats in Ernst Albert Vergangenheit eingetaucht. Da saß er auf der Motorhaube seines geliebten Simca und hat so einiges an Zweibeinerdummheit kennenlernen dürfen. Da hat er sich aufgeregt, über die Dummheit und die Aufrechtgeher. Da hat er mit dem Lütten Stan die Großen Pöhlerei Festspiele besprochen. Da hat er rausgefunden, wer er eigentlich ist und sich seinen Namen zugelegt. Da hat er das Buchstabenriechen erlernt und neue Welten kennengelernt. Und jetzt ist er hier.

Dann war das Lied verklungen. Die Steinmännchen blickten hinaus auf Meer. Von dort näherte sich eine gewaltige Finsternis. „Au Backe und Potzrembel die Waldfee! Höchste Zeit aber auch!“

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 4. November 2010 13:17
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