Wolziger Seelegien / Dreizehn / Märchen

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Zurück. Wieder am See. Wieder an einem See. Am Ufer sitzen. Auf den See blicken. Man kann so ein ganzes Leben verbringen. Archibald Mahler hat sich Ernst Albert nicht ausgesucht, Ernst Albert hat Archibald Mahler auf der Straße gefunden. Das wissen wir. Und Mahler sitzt seit vier Jahren erstaunlich oft am Ufer eines Sees. Man fotografiert ihn dabei, wie er an den etlichen Seen sitzt und schaut. Meist von hinten und hinter Mahler zu sehen ist dann der Teil eines Sees, einer der vielen Seen. Der Wolziger See aber ist ein besonderer See. Aber? Nix aber!

Ernst Albert wollte noch ein bißchen lesen, auf einer der Bänke am See, die in den letzten Tagen – mangels Massen – so etwas wie sein Privateigentum geworden waren, den springenden Fischen zuschauen, einen besonders bewegenden Sonnenaufgang erleben. Den guten wahren Naturkitsch. Sommerzeit, das Leben ist einfach, die Fische springen und vor einigen Jahren hat man sogar das Sommermärchen erfunden. Ist es nicht herrlich? Einer der älteren Herren Dauercamper tritt an die Bank und fragt Ernst Albert, ob er denn wisse, warum die Fische sprängen? Nahrungssuche? Freude am Leben? Am Titelgewinn gar? Pustekuchen! Die springenden Fische sind kleine Fische auf der Flucht. Denn nähert sich unter ihnen ein großer Hecht oder hungriger Barsch, kann der Sprung an die frische Luft für sie lebensverlängernd sein, zumindest vorübergehend. Tja, Sommerzeit, das Leben ist einfach, die Fische springen und vor einigen Jahren hat man sogar das Sommermärchen erfunden. Ist es nicht herrlich? Der Wolziger See aber ist ein besonderer See. Heute ist er alle Seen.

Heimat

Von Görsdorf der Blick / hinüber nach Allensbach / hinter Bad Saarow im Nebeldunst / der Hohentwiel / vor seinem Schatten ein Kormoran / von West nach Ost / zieht über Launsbach eine der ungezählten Gewitterfronten / eines Sommers / vom Baum hängt das Seil / schwingt im Wind über dem Wasser / gestern noch schwang und sprang hier / ein Junge / hinab

Als Ernst Albert – gemüdet von der Ruhe – sich auf sein Zimmer zurückgezogen hatte, unterhielt sich Archibald Mahler noch ein wenig mit dem Engel. Gerne hätte er ein Foto davon ins Netz gestellt, – so eine Art Selfie, wie man heute sagt – aber der Engel, der Mahler seit einigen Tagen auf dieser Reise begleitete, war zwar – wie man das so erwartet – mit einem mildem und reinem Herzen ausgestattet, doch hatte er kotige Flügel, Würmer tropften von seinen Lidern und er sah ein wenig so aus, als habe er alle Hoffnung fahren lassen, grau, müde, hager. Wie Engel nun mal aussehen, wenn sie ihrer Arbeit, eben Engel zu sein auf dieser Welt, milden und reinen Herzens nachgehen. Und wer will dies Foto sehen? Aber lächeln, das konnte er, der Engel. Und der Wolziger See lächelte mit. Aber? Nix aber! Pst! Die Seerosen öffnen gerade ihre Blüten. Und der Herr Ernst Albert hat es so eben verpaßt. Weia! Archibald Mahler wird sich wohl kümmern müssen.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Sonntag, 24. August 2014 21:10
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