Beitrags-Archiv für die Kategory 'Archibalds Geschichte'

Sechster Brief an den Ehrenwerten Herrn Albert

Freitag, 24. April 2015 12:59

lahn3

Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

das mit dem Steuern wird bei mir wohl nix. Nach reifender Überlegung. Quatsch. Wenige Sekunden nur der Vorstellung: Archibald Mahler vor oder hinter einem Lenkrad: Angstperlen auf der Bärenstirn am Bärenkopp. „Was hast Du im Schädel? Dreck oder Stroh? Bist Du so dumm? Oder tust Du nur so?“ Nein, bester Herr Ernst Albert, nicht Sie meine ich mit diesem uralten Reim von Wolf B – mann, keine Beschimpfung ob meiner Verpflanzung aus der Anonymität in das karge Licht der beschauten Welt sei dies, nein dies ist lediglich Selbstbeschimpfung des Bären und geschuldet einer allgegenwärtigen Traurigkeit, die beim Schauen auf Dinge entsteht und wuchert, wenn man nicht aufpasst. Zurück zum Lenkrad. Wie gelingt dies den Aufrechtgehern – den meisten (Die Freiheit soll es ja sein, die Freiheit des Bürgers!) – vor und hinter den Lenkrädern auf den Betonbahnen, die Wald, Flur, Stadt und Wege zerschneiden, durchfurchen, schreddern, daß einem schlendernden Bären ganz bange werden mag: das Gas anbeten und alle Bremsen verachten? Und dann (Bummelant! Verkehrshindernis! Macht das weg, das Störding, das lahme!) auch noch: der Überholvorgang. Zahn auf Zahn knirschend, kiefermahlend selbstgerecht. Da möchte ich kein Hinderlichbär sein. Mein Tempolimit wäre fünfzehn Kilometer in der Stunde. Man darf nur so schnell fahren, wie der Liter Treibsaft kostet, das heißt eigentlich wirklich wert sein müßte. Aber das macht mal mit Euch selbst aus, die ihr Leib und Kopp in Blech geschneidert, von Licht, Luft und Verantwortung abgenabelt, die sagenumwobene Zeit zu sparen. Da denke ich ja gerne mal drüber nach zwischen Hölzchen und Schaltstöckchen: wie macht man das: Zeit sparen? Gibt es da Büchsen für? Zinsen? Spart man da eher im Fond? Oder im Heck? Teufel aber auch! Ein Boot vielleicht würde ich wohl lenken wollen. Wer über Bord geht, darf zumindest versuchen, an Land zu schwimmen. Aber braucht man da nicht einen Schein? Überall sind Scheine. Und ich habe keine. Ich mag auch keine haben wollen. Und machen schon gar nicht. Machen tu ich braune Haufen oder Wortberge. Und die sehen sich manchmal verflucht ähnlich. Aber es muß raus. So ein geplatzter Bär sieht auch Scheiße aus. Ich schweife weg. Und deshalb ist das auch mit dem Lenken nichts für mich. Der geschlagene Haken ist mir wichtiger als der eilige Hintermann. Apropos Haken: vielleicht mach ich jetzt einfach heeme und frag den Budnikowski, ob er sich mal für mich ans Steuer setzt und für mich aus dem Fester schaut und mir sagt, was er so sieht. Kommentieren kann ich das dann schlaubärenhaft immer noch. Selbstversuch. Gefilterte Ahnung. Fremde Sicht. Weniger Worte. Den Zweifel fressen. Ob ich dem Hasen auch glauben will? Kann? Solitärer Monobär, der ich am liebsten am eigenen Pöter rumkratze? Bevor das sich jetzt zur Selbstgeißelung auswächst, will ich den Schritt gen Heimat lenken. Morgen soll es ja auch regnen und winterschlaflos, wie ich dieses Jahr in den Lenz tapere, fröstelt mich schnell und ausdauernd. Ist das eine gute Idee. Sie könnten mir eigentlich auch mal schreiben, Herr Albert. Oder?

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: Ein Leben ohne Führerschein besänftigt.

Ihr Herr Archibald Mahler

Thema: Archibalds Geschichte, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein fünfter Brief an den Ehrenwerten Hr. Albert

Dienstag, 21. April 2015 20:39

lahn2

Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

man spricht gerne vom Blick, welcher irgendwo hängen blieb. Woran dann? Griff etwa der Gegenstand einer wohlwollenden oder notwendigen (meint man gerne) Betrachtung nach einem vorbeihuschenden Blick seiner Wahl? Forderte er so uneingeschränkte Zuwendung? Ließ dann einfach los auf Grund mangelnder Hingabe? Fehlender Konzentration? Oder war es die ewige Blaupause im Kopp, welche dermaßen prägt, stempelt und lenkt, daß der Blick nicht mehr frei schweift, sondern im Vorselektier – Modus und so wohl ohne Bewußtheit seiner selbst sich stürzt auf das, was er erhaschen soll, in Erwarten fast schon vorfinden muß, um seiner Blaupausigkeit willen. Und dann verkaufe man dieses Ergebnis als Neuigkeit! Da blieb ich hängen! Sieh an, schau her! Nun ist ja ein neuerlicher Krieg, eine zum Abendbrot gereichte Katastrophe, der nächste neue Clown an der Außenlinie nichts wirklich bahnbrechend Neues, aber hingeschaut werden muß. Sofort! Wirklich? Ist es nicht schon wieder mal zu spät, viel zu spät? Aber die Neugierde, die heute – bewußt? – gerne zur Neugier verkürzt wird, sie reckt den ewigen Schwanenhals. Will ich sehen, was zu sehen ich vorgebe? Da wird eine weitere Katastrophe beblickt, entsetzt als hätte man sie gestern erfunden und gleichzeitig ist man aber in der Lage den Weg, der dorthin führte, genauestens zu beschreiben. Im Garten Eden war es auch zu langweilig. Man hätte verzichten müssen. Auf die Neugierde. Die wächst und wächst und ob dieser lange Schwanenhals immer so dolle ist? Geschnüffelt wird ja gerne. Man weiß von manchem, der sogar in Tagebüchern vertrautester – eben drum wohl – Genossen rum geschnüffelt hat. Heute reicht ein moderner Fingerwischer und wer da alles noch mit schnüffelt, weiß keiner so recht. Man veräppelt sich gern und gerner selber. Was machst Du grade? Wo bist Du grade? Was denkst DU so? Was denke ich gerade? Wo war ich? Was soll ich tun, wenn sie mir über den Kopp wächst, die neuGIER. Ich wollte doch nur aus dem Fenster schauen und mich interessiert lediglich, wann die Lachse mal wieder die Gießener Fischtreppe hochklettern und ob man Bären, die dann dort fischen, gleich mit wegfischt wegen Kompetenzüberschreitung und wegen ohne Genehmigung und so. Und wie ist die Prognose für die diesjährige Blaubeerenernte? Das interessiert mich. Aber dann hüpft man von Hölzchen auf Stöckchen und wird planlos verwirrter und erregt sich und der Blick vibriert. Das ist doof. Und was ich, bester Herr Albert, immer noch nicht raus gefunden habe, ob die Dinge mich rufen oder ich auch schon so vorsortiert bin im Kopp und ob am Ende überhaupt ich derjenige bin, der da guckt aus mir raus oder nur so ein leerer Reflex mich vor sich her treibt. Und falls was Anderes und Fremdes aus mir raus guckt, was und wer ist das? Ist es mein altes Leben? Das vor dem abben Bein? Jetzt nach Jahren? Wo will das hin? Will da was hin? Ich glaube, ich sollte eine Denkführerscheinnachprüfung beantragen. Mit Guckseminar. Als Versuch nur. Klingt das brauchbar, bester Herr Albert? Also den Schwanenhals lasse ich erst mal einschrumpfen. Und such mir ein Steuer.

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: Nicht jeder Spiegel ist ein Lügenbeutel!

Ihr Herr Archibald Mahler

Thema: Archibalds Geschichte, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Ein vierter Brief an den Ehrenwerten Hr. Albert

Montag, 20. April 2015 21:00

lahn1

Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

als hätten Sie sich lediglich gebückt, nein, ziemlich exakt fünf Jahre nach meiner Bergung setzten Sie mich an mein erstes Fenster. Schauen sollte ich. Ich tat’s. Warum? Nun, zwei Augen habe ich im Kopp und hielte ich jene unentwegt geschlossen, dürfte man mich nicht weiter Bär nennen, sondern sollte mich Olm, Maulwurf oder Hamm heißen. Und was schaute ich also dann? Die Welt. Klein erst, weiter dann, länger auch, auswärts und wieder nach innen und nah. Die Welt? Ich? Die eine Welt? Da dieser, der vierte Brief ein überschaubarer soll bleiben, will ich hier nicht weiter in den Beeten der Bedeutung rumhacken wie eine durchgeknallte Amsel und allzu ausführlich berichten von all diesen gefilterten und ungefilterten und bedachten und unbedachten und zwanghaften und freien und viertelwissenden und scheinempathischen und gelangweilten und aufgeregten und tobenden und gähnenden und traurigen und teilenden und egomanen und oberflächlichen und manchmal dümmelnden und wieder und wieder schrecklich belanglosen Blicken, welche ich auf diese gefilterte und ungefilterte und bedachte und unbedachte und zwanghafte und freie und viertelwissende und scheinempathische und gelangweilte und aufgeregte und tobende und gähnende und traurige und teilende und egomane und oberflächliche und manchmal dümmelnde und wieder und wieder schrecklich belanglose Welt warf in all meinen Ein – und Auslassungen. Besser: die Blicke, welche man vielleicht aus mir heraus warf. Weil: war ich es denn wirklich selbst? Ist mein Kopp mein eigener Kopp oder nur ein ferngesteuerter Apparat mit getrübten Sehschlitzen? Eine wohlfeile Reflexmaschine? Und wer war der Werfer? Wer warf all diese Blicke durch meine auf die Welten in mir und außerhalb meiner gerichteten Augen, wer warf durch mein unruhiges Linsen hindurch mit schwungvollem Arme alle diese Blick hinaus? Und wichtiger: wer warf das zurück auf meine Linse, was mir dann blieb im Kopp und später wurde Wort, Wörter und wieder Wort? Wirft überhaupt wer irgendwas und irgendwo? Gibt es einen Plan? Kann man von Absicht sprechen? Gibt es etwas jenseits des Versuches den Pudding Welt sich an die Backe zu nageln? Und, bester Herr Ernst Albert, verfolgten Sie denn einen Plan, als Sie mich ans Fenster setzten? Was war die Absicht? Bekenne, Mahler, bekenne er? Pustekuchen mit Sahne und Lachskonfitüre auf Toast! Was ich sagen will? Lieber Herr Albert, jeden Morgen erwache ich und bin mir ein Fremder. Und jeden Morgen läuft mir eine der vielen Welten vor die verschlafene Nase und will beäugt werden. Sie bleibt mir fremd. Immer wieder auf ein Neues. An manchen Morgenden, wenn ich mir selbst ein Näherer scheine, begrüße ich mich freundlich, duze mich sogar und eine der vielen, gerade vorbeihuschenden Welten hebt grüßend den Arm und winkt mir zu. Wie diese chinesischen Glückskatzen. Dann freue ich mich. Den anderen Morgen mag ich nur schlafen. Einen ewigen Winterschlaf. Da kann zurück werfen, wer werfen mag und was immer auch. Aber dies ist seltener. Das mit dem ewigen Schlaf. Das gestehe ich hier und Ihnen. Meist blickt mir die Neugier über die Schulter, reckt ihren Hals wie ein Schwan auf Patrouille und ich – oder wer immer das tut – schaue weiter hin und wieder. Das wollte ich Ihnen kurz (na ja!) mitteilen. Das nächste Mal schreibe ich dann vom Schwanenhals und was das macht mit einem Bären. Sonst fehlt mir weiterhin ein Plan. Gut so. Oder?

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: Viele Welten werden gerne übersch(w)ätzt!

Ihr Herr Archibald Mahler

Thema: Archibalds Geschichte, Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

Der nun 3. Brief an den Ehrenwerten Hr. Albert

Mittwoch, 15. April 2015 13:43

tundra

Sehr geehrter Herr Ernst Albert,

ich bin mir nicht sicher, ob Sie nicht gelegentlich ein seltsames Gefühl beschleicht ob der Tatsache, daß Sie Briefpost von einem Bären erhalten. Nun, Sie hatten sich gebückt damals am Brandplatz, neugierig, nachmittagstrunken, verwirrt und mit angekratztem Herz. Sie haben mein abbes Bein sinnend in der Hand gewogen, für gut befunden, den Rest von mir erblickt und sich nochmals gebückt und eins und eins zusammengezählt. Die daran anschließenden zwei Jahre saßen mein weiterhin abbes Bein und ich aneinander gelehnt unter Ihrem Nachttisch und staubten weitgehend vor uns hin. Aber dies sei hier nicht Thema. Sie haben sich gebückt. Sie hätten Ihres Weges weiterwanken können, aber Sie haben sich gebückt. Und zehn Jahre später schreibe ich Ihnen einen Brief. Ach ja, Fritz Lang. Der hat ja nicht nur etliche monströse Filme gemacht, sondern ist wohl auch monströs vielen Damen hinterher gehechelt. Aber die Eine? Tja! Die Eine. Jene schenkte ihm zum Abschied einen Affen. Man (oder Fritz) nannte ihn Peter. Mit ansteigendem Alter nahm Peter im Alltagsfilm des Fritz eine, wenn nicht die Hauptrolle ein. Las Fritz, hielt Peter ein Buch in den Pfoten. Trank Fritz, stand eben Peter eine Martini. Rauchte Fritz, hielt Peter eine Zigarette in seinen Pfoten und er wurde jeden Abend von Fritz ins Bett gebracht. Fritz ließ ihn gar am Schluß seiner Korrespondenz mit Freunden diese grüßen, empfing auch Erwiderungen der Grüße, bis endlich das liebende Ende ihn in Fritzens Sarg legte. Sie sehen aka lesen demnach, so ein gelegentlicher Brief eines Ihnen gut bekannten Bären an Sie ist da fast schon eine Petitesse. Ich fasse mich kurz und bin einfach nur froh, daß Sie sich gebückt haben. Man kann das abbe Bein einen geschändeten Bären auch mit einem eleganten Kick ins Gebüsch befördern. Sie taten dies nicht. Auch gute Werke haben ihre Konsequenz, selbst wenn man dies nicht so recht glauben mag angesichts der Welt in der Sie leben müssen. Jetzt lassen Sie mich aber enden und den heutigen Sommer meinen Pelz braten lassen. Bären kriegen keinen Hautkrebs. Ätsch!

Bis dahin mit allerherzlichstem Bärengruß. Und nicht vergessen: Eine Schwalbe macht noch keinen Ponyhof!

Ihr Herr Archibald Mahler

Thema: Archibalds Geschichte, Letzte Fragen | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

A. Mahler macht sich selbstständig / Versuch 1

Sonntag, 4. Januar 2015 20:49

kiel01

Das Reiseziel war ja schon verkündet worden. Trotzdem – zur Sicherheit – hatte Mahler das Reiseziel nochmals auf einen Pappkarton gekritzelt. Zur Sicherheit? Aus purer Not und fast Verzweiflung eher. Was ist geschehen? Na ja, der Herr Albert mußte mal wieder hoch in den Norden, um den Musentempel an der Förde zu bespaßen. Ob der Herr Bär wieder mitreisen wolle? Empörtes Geschnaufe. Es sei ein neues Jahr ins Land gezogen, man sei außerdem schon im sechsten Jahre nun gemeinsam unterwegs, es sei also hohe Zeit, daß sich was drehe und es sei einem Bären seines Status und seiner – wenn auch nur im kleinsten Kreis – Bedeutung, nicht mehr zuzumuten lediglich auf Aufrechtgehertickets durch das Land zu stromern und der Herr Albert solle ruhig schon mal los. Er käme schon hinterher. So oder ähnlich schnaufte und raunte der Bär. Ob man ihm wenigstens etwas Geld da lassen solle? Nicht nötig, man sei jetzt alt genug und erfahren und danke auch, aber nein, lautete die Antwort. Die Tür fiel ins Schloß, denn der ICE nach Kiel muß erreicht werden.

Also sitzt Mahler grübelnd, hält den Pappedeckel in die Luft, der Reisehut singt ihm ein Lied von der Straße, der Bär jedoch hat keinen Groschen am Pelz und wie soll denn bitte nun die Förde erreicht werden? Der abgereiste und generell vielgereiste Herr Albert hatte ja des öfteren davon berichtet, wie weit ihn einstens der Daumen im Wind gebracht hatte. Meilen und Meilen und noch mehr Kilometer. Aber ein Bär, welcher an einer Autobahnauffahrt steht und es ist auch noch kalt? Mahler zieht sich in dem Moment, da ihn dieser Gedanke ereilt, entschlossen verärgert an seiner eigenen Nase und spricht: „Was bist Du für ein Pimpelbär, der hier von Kälte jammert, wo dieser Winter ein Häschen bestenfalls? Zuviel Kontakt zu Aufrechtgehern scheint Dir gehörig zu schaden.“ Doch bevor man sich allzu strenge selber geiselt, ertönt eine mahnende Stimme, welche daran erinnert, daß ein Bär, der seinen Winterschlaf schwänze und stattdessen durch die Republik trampen wolle, schon ein Kuriosität darstellen könnte. Also beschließt Archibald Mahler eine zweite Meinung einzuholen. Man sucht ja nach eigener und ureigener Selbstständigkeit. Und liegt da nicht das Buch, die Gabe des Budnikowski, zu seinen Pranken? Unbesehen? Der Beginn der Reise verzögert sich ein erstes Mal.

Thema: Archibalds Geschichte, Aufbrüche 2015 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part five this is

Dienstag, 30. Dezember 2014 20:34

no4

Das Buch, welches zu seinen Füßen lag, dafür hatte Archibald Mahler keine Zeit noch nicht. Also keine Lust eigentlich auch, ehrlich gesprochen. Dieses Jahr nichts Neues mehr. Nein. Und nö! Mahler betrachtet den Bären vom Feldberg. Sein Abbild. Bildnis. Bild. Was auch tun, nun da Budnikowski um die Ecke. Das Abbild. Bildnis. Bild. Es schaut zurück, aber es schweigt. Ein Patient habe den Bärenvetter einstens dem Onkel Doktor am Fuße des Seebuck überreicht, hatte der ehrenwerte Herr Ernst Albert berichtet, als Dankeschön überreicht für wieder gewonnene  Gesundheit. Wer nun war dieser unbekannte Patient? Ein Skifahrer oder Schneebrettrutscher, der seine Grenzen im Geschwindigkeitswahn übersprungen hatte – es lebe der Spocht! – und seine Knochen geschreddert hat? Ein feuchtfröhlich dreister Wanderer aus flachem Land, der in Sandalen an regennassem Tag sich als Gipfelstürmer sah? Ein Zappelkind, von seinen überehrgeizigen Eltern mit allem versehen außer Respekt, welches aus dem Sessellift auf grüne Piste gestürzt war? Keine Erkenntnisse nirgendwo, Spekulationen allenthalben.

Archibald Mahler hat sich inzwischen an die Spiegelung seiner selbst gewöhnt. Partiell. Jene Augen: seine Augen. Jenes Fell: sein Fell. Jene Nähte durchziehen auch sein Fell. Einst schon? Heute gewiß aber. Was geschah damals in Sonneberg? Falls es dort geschah. Nur ein Gedanke, der Mahler durchzuckt. Wir wissen nichts. Noch. Vielleicht doch das Buch am Fuße seiner Tatzen betrachten, denkt der Bär und sacht sich zugleich: Nö! Nö! Nö!

In der Küche klirren Gläser. Budnikowski bereitet den Jahresabschluß vor. Das hat Priorität. Aber einer geht noch, ein Gedanke, ein Beschluß. Mahler spricht. Zum Abbild. Bildnis. Bild.

„Hör zu! Ich gebe Dir einen Namen, Du anderer Bär, der mir so ähnlich, den ich nie sah, seit Tagen aber sehe vor mir. Deine Augen: meine Augen. Dein Fell: mein Fell. Diese Nähte Dich zusammenhaltend, die auch durchziehen mein Fell. Und jucken gelegentlich. Dich vielleicht, sicher mich. Du Bild nur vor meiner Nase und sonst Du lediglich ein dürrer Bericht des Herrn Ernst Albert. Ich benenne Dich nun. Du bist jetzt der ANDERBÄR. Oder besser noch und international: THE UNDERBEAR. Das klingt nach Blues und Geheimnis und Roadhouse. Oder doch lieber nur ANDERBÄR? Weil 2015 soll doch alles klarer und einfacher werden. Mal gucken. Doch weil ich noch nichts beschlossen habe, hast Du noch keinen endgültigen Namen, aber wirst hiermit in Kenntnis gesetzt, daß eine Namensgebung unmittelbar bevorsteht. So weit. So gut. Und bis später dann, FELDBÄR!“

Archibald Mahler will sich erheben, stößt mit seiner rechten Fußtatze gegen das Buch zu seinen Fußtatzen, der Buchdeckel ploppt kurz nach oben und Mahler steckt seine Nase zwischen die Seiten.

„Aha! Sehr schön! Der Anfang schon mal!“

Dann beginnt der letzte und erste Archibald Mahler sich zu kratzen. Denn da juckt ihn etwas. Aus der Küche tönt ein Lied. Budnikowski lacht.

Thema: Archibalds Geschichte, jetzt mal 2014 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part four this is

Montag, 29. Dezember 2014 16:35

no3

(Riechen wir und schmecken Tauwetter? Vor der Türe vielleicht. Hinter den beschlagenen Fenstern dito? Mitnichten. Mediator Budnikowski wirft einen Blick auf seine Kontoauszüge. Nun denn, die Herren Bären zahlen. Der Job darf weiterhin erledigt werden. Doch wofür denn auch? Stillstand lediglich? Die Eisschollen reiben noch knirschend ihre Kanten aneinander und unter ihnen eilt der Strom Richtung Delta, verzweigt sich, verdunstet und regnet nieder, die Rücken der Schweiger werden feucht und weiterhin wehen schneeschwangere Winde über abgegraste Wipfel, selbst über den Feldberg rüber ab und an und sonstwo auch. In Mahlers Schädel ein trunken – trotzig Lied. Dann spricht der Hase zu ihm! Hören wir rein mal wieder!)

„Heute, Herr Archibald Mahler, richte ich meine dürren Worte an Sie, alter Gefährte, Wegekumpan und Teilhaber an manch dunkler, aber auch hellster Denkstunde. Gestatten Sie mir eine vorläufige Diagnose. Oft schon erlebte ich Sie als einen, der der Welt den Rücken kehrte, um sich aufzumachen zu einer Wanderung hinunter in die Schlünde Ihres verfinsterten Egos. Und immer wieder – hernach – fanden Sie mich als bange wartenden, gar harrenden – dies meiner Natur vollumfänglich entsprechenden – Hasenbeherzten, bange darauf hin harrend und starrend, ob Sie denn nun von der Reise ins Herz der Finsternis wieder zurückkehren täten, frohgemut, befreit von all Ihren stets wiederkehrenden Juckreizen und bereit die Welt neuerlich mit Ihren schlauen Augen zu bewerfen. Heute jedoch, liebster Bär, bin ich nicht bereit an den Rändern Ihres knarzenden Ichs rumzuhoppeln, nicht bereit die Aura Ihrer Zweifel peripher zu dekorieren, heute, Bär vom Brandplatz, trete ich beherzt gegen Ihr einst abbes Bein, entbiete artigst und pflichtschuldigst meine Wünsche zum neuen Jahre hinwärts, verlasse das alte Jahr – Haken rechts, Haken links – und lege, bis ich Ihre wohltuende Stimme wieder vernehme, ein Buch nieder, nieder zu Ihren Fußpranken. Dieses Buch. Das Buch schlechthin. Vielleicht. Gewiß jedoch: Ihr Buch. So long, ming Jong!“

(Budnikowski legt Mahler ein Buch zu dessen Füßen. Ein herrliches Buch. Das allerherrlichste Bärenbuch überhaupt und generell. Mahler atmet tief ein und aus und ein und man könnte den Eindruck gewinnen, er mache sich auf den Weg, auf den Weg zurück aus den Tiefen seiner Ichverwinkelung, auf den steinigen Weg zurück in die Welt. Schauen wir zu! Und hören nochmals das alte Lied. Und schauen zu wie Mahler wendet seinen Blick gen Mitbär und dann beginnt zu lesen. Oder andersrum.)

Thema: Anregende Buchstaben, Archibalds Geschichte, jetzt mal 2014 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part three this is

Samstag, 27. Dezember 2014 17:09

no2

(Herr Archibald Mahler ist etwas muksch. Herr Kuno von und zu Lippstadt – Budnikowski will – auch angesichts der noch in der Luft hängenden Reste des Weihnachtsfriedens – kommunizieren. Der Zweitbär ist halt da. Budnikowski richtet also Worte der Annäherung an den selbigen. Hören wir rein.)

„Hömma, nicht das wir uns kennen täten. Und auch inne gesamten Optik von Ihre Erscheinung sehe ich da keine genetisch gemeinsamen Poolinhalte zwischen meine Felligkeit und der Ihrigen. Also nur in Kürze und fürre Eröffnung gelegentlicher Gesprächseinheiten: Dat Bärentier an Ihre linke Seite, dat iss der famosige Herr Archibald Mahler, der seit etlichen Jahren vonne kleine in Häßlichkeit erstarrte Mittelhessenstadt inne und auffe Welt blicken tut und seit die Aufkreuzung von Ihre fotographische Gegenwart schockgestarrt sich in seine bisher angenommene Exklusivität annet ehemals abbe Bein gepinkelt fühlen tut. Falls Sie dat nachverfolgen können.“

(Der Betrachter vermeint ein kurzes Schulterzucken beim Zweitbären vernommen zu haben. Worte jedoch keine. Schweigen. Auch beim alten Mahler. Weihnachten hin oder herum.)

„Gut, der geschätzte Herr Bär vonnem Seebuck annem Feldberg. Et iss komplett in meine Verständnisfähigkeit verankert, dat Gewöhnungsphasen beie plötzliche Konfrontation mit neue Verwandtschaft durchaust zu akzeptieren sein sollte un muß, aber isset möglich, wenn ich Sie inne unhasenhafte Geradlinigkeit fragen täte, watt Sie auffe Höhen des Feldbergs verschlagen hat und ob in Ihre Zweitbärenherz der Anblick vonnem leicht angemukschten Bärentier an Ihre linke Seite gewisse Wirkungen zeitigen tut, eine Antwort entgegen nehmen zu dürfen?“

(Der Betrachter vermeint ein kurzes Schulterzucken beim Zweitbären vernommen zu haben. Worte jedoch keine. Schweigen. Auch beim alten Mahler. Weihnachten hin oder herum.)

„In Ordnung. Et iss mir in voller Bewußtheit, dat dat Mediatorengewerbe einet vonne eher härteren Arten der Gelderwerbung iss. Aber wenn ich die beiden Bären kurz um eine Geste bitten könnte, die mir Signale sendet, dat prinzipiell Bereitschaft zu wie immer geartete Gesprächsführung innen Äther rumsummen tut? Ansonsten sehe ich mich gezwungen allet an Aufträgen gegen Ende vonnem sich abrollenden Jahre Vierzehn mit silvesterwirkender Sofortigkeit zu kündigen. Dat iss eines von meine berühmte vorletzten Worte, weil – und dat nur in gebotener Kürze, meine Herren Bären – auch dem Hasentier, dat im nächsten Kalendarium dat Tier vonnem Jahr sein werden darf, iss die Geduld nich von hier bis Hongkong un wieder zurück gespannt. Ich höre!“

(Der Betrachter vermeint ein kurzes Schulterzucken beim Zweitbären vernommen zu haben. Worte jedoch keine. Schweigen. Auch beim alten Mahler. Weihnachten hin oder herum.)

„Dat glaub ich getz nich. Die Herren also hömma bitte! Ich geh getz Skisprunghüpfen inne Bilderapparatur betrachten. Und morgen iss in Ihrer beider Verschwiegenheit fürre Durchbrechung letzte Changse! Ein Lied, zwo, no, hier!

(Beide Bären zucken mit was auch immer. Zu spät.)

Thema: Archibalds Geschichte, jetzt mal 2014 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part two this is

Dienstag, 23. Dezember 2014 18:40

no1

“Hatten Sie einen Unfall, Mahler?”

„Das bin ich nicht!“

„Oder sind Sie jetzt ein Sanitäter oder gar Arzt!“

„Nein, verdammt, das bin nicht ich!“

„Bei der Geburt getrennt?“

„Ja eben dies vielleicht. Da sitzt dieser Kerl, diese Zweitausgabe meiner selbst, im Schwarzwald und ich stell mir die Fragen!“

„Nun vielleicht handelt es sich bei Ihnen um die Zweitausgabe!“

„Noch schlimmer! Sie sehen mich in Grundfesten erschüttert!“

„Und dies wenige Stunden vor dem Feste!“

„Meine Geschichte muß komplett neu aufgerollt werden!“

„Da findet man neue Verwandtschaft und hat die Folgen zu tragen!“

„Bedenken, Budnikowski, bedenken. Unzählige Möglichkeiten schießen ins Kraut unter meiner Schädeldecke.“

„Vergessen Sie Ihren Doppelgänger einfach und lassen Sie ihn auf jenem Regal in der Arztpraxis die Maladen begrüßen!“

„Sie sollten mich soweit kennen, um zu wissen, daß mir dies schlichtweg nicht möglich!“

„Mit Winterschlaf wird das wohl nix dieses Jahr?“

„Vergessen Sie das!“

„Er scheint mir aber ein bißchen dicker im Gesicht zu sein als Sie!“

„Was ist schlimmer als ein unerwarteter Bruder?“

„Sprechen Sie!“

„Ein unerwarteter Zwillingsbruder!“

„Vielleicht ist es ja nur ein Neffe oder Onkel oder Cousin oder ein Identitätsdieb!“

„Wie bitte!“

„Na so eine Art Stalker!“

„Machen Sie mich nicht noch wahnsinniger, als ich eh schon bin!“

„Trinken wir etwas Ingwerwasser und polieren die Christbaumkugeln!“

„Weia, weia! Oh Welt!“

Thema: Archibalds Geschichte, jetzt mal 2014 | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

No, no, no: it ain` me, babe / part one this is

Montag, 22. Dezember 2014 19:37

doktor_mahlerUnd als Mahler diese Taste drückte, drücken wollte, diese Taste, welche die Photographie in die Wolken schießt, sie dort oben zerlegt in die Einzelteile all ihrer Punkte, später sie wiederum nieder regnen läßt, um das Ganze kurz vor dem Aufprall wieder zum Ganzen zu fügen, da sagte er sich: „Das bin doch ich!“ und jenes sprach er, obwohl er genau wußte, daß der da abgebildete Bär nicht Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz ist, jener Bär eben, der auf einem Foto, welches der ehrenwerte Herr Ernst Albert aus dem Heckerland jüngst mitgebracht hatte, dort auf einem Regal im Empfangsbereich einer Arztpraxis am Fuße des Seebuck, der einen wesentlichen Teil des Feldbergs darstellt, sitzt und den herein humpelnden Hilfebedürftigen mit gewohnt mahlerscher Freundlichkeit entgegenblickt. „Nein, nein, nein! Das bin ich nicht!“

Die wunderbare Dame Pelagia hat den abgebildeten Bären zuerst erspäht, als sie den gekrümmten Ernst Albert zwecks Einrenkung verschobener und verhakter Knochenteile in die Praxis zu Füßen des Feldbergs begleitet hatte. Draußen fiel der Regen eimerweise, Nebel finsterte und fraß nebenbei alle Konturen auf und der behandelnde Onkel Doktor stammte aus Thüringen, hatte studiert zu Marburg und seine Schwester – Ärztin desgleichen – praktizierte in der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen. Dies sei anekdotisch nur am Rande bemerkt. Reise durch die Lande und komme an zu Hause. Nein, das ist kein Zitat von Goethe.

Doch die Erkenntnis nun: Mahler war fortan – Tatze schwebend über Tastatur – nicht mehr der EINZIGE. The Master of Alleinstellungsmerkmal died tonite. Erkenntnis: Da draußen atmet mehr, als er je zu ahnen gewagt hätte. Niemals nie hätte Mahler auch nur einen Gedanken daran verschwendet Glied einer Kette, Teil einer Kollektion, Ergebnis einer Produktion, Kopie seiner selbst zu sein. Die Frage aber deshalb: Wo ist das Nest? Wo schnurrt das Fließband? Wo zucken die Nadeln der Nähmaschine? Sonneberg? Ahnungen sträuben das Fell. Zwar hatte Mahler – damals als er begonnen hatte seine bescheidenen und unbescheidenen Gedanken in der Wolke namens ‚Jeder darf gucken!’ zu plazieren – darüber nachgedacht, woher er als der Bär vom Brandplatz inklusive abbes Bein denn nun stamme. Aber sich selbst betrachten und das nicht in einem Spiegel, sondern als Doppelung seiner selbst? Weia!

Mahlers Brust hob und senkte sich in stupender Aufregung. Dies hier war ein Problem – so schwante es dem Bärenkopp – welches nicht in wohlfeil selbst beatmeter Einsamkeit zu lösen war. Hier bedurfte es eines Gesprächs. Eines Partners.

„Herr Budnikowski? Hätten Sie mal Zeit für mich!“

Ein Bär bittet um Hilfe. Das möge man sich mal merken, falls mal und so.

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