Blumen, Schnaps und der „Große Mitsubishi“
Montag, 8. März 2010 0:23
Die Nacht war gekommen. Der Wind hatte auf Nord gedreht. Der Himmel war eisesklar. Archibald dachte nach, frei von jeglichen geschäftlichen Verpflichtungen. „La reflexion pour la reflexion.“ Über ihm das größte Sternbild am Nachthimmel der nördlichen Halbkugel, jenes Sternbild, das die Menschen einst nach Archibald, das heißt, nach seiner Gattung benannt hatten. Seit einiger Zeit jedoch hieß es nun „Der Große Wagen“. Archibald verstand nicht warum. Jedem nicht komplett unwissenden Bär war klar, daß mit „Wagen“ seit jeher nur die fünf „Schwanzsterne“ des Bärenbildes bezeichnet wurden. Irgendwann hat nun der Mensch – wahrscheinlich im Zuge seines zunehmenden Mobilitätswahns – den eindeutig erkennbaren Bärenschwanz zur Deichsel eines Wagens umgedeutet und das gesamte Sternengebilde einfach umbenannt. „Wahrscheinlich ist der Tag nicht fern und sie kommen auf die Idee dieses wunderbare Bärenlicht „Der Große Mitsubishi“ zu nennen.“ Archibald war kurz davor sich bärig zu echauffieren, doch da er sich damit einen Bärendienst (auch über diesen Ausdruck gilt es gelegentlich nachzusinnen, dachte er kurz) getan hätte, blieb er ruhig und seine Nase genoß die menschenduftfreie Nachtluft. Über ihm alle diese funkelnden Boten, die vor Sternenjahren mal ein bißchen Licht auf die Reise geschickt hatten, welches heute nacht bei dem nachsinnenden Bären in Mittelhessen ankommen sollte. „Hoffentlich fällt den Menschen nicht ein, eines Tages neben jeden Stern da oben ein Preisschild, ein Etikett und das Verfallsdatum zu hängen. Schlimm genug, wenn sie aus ihrer Welt und ihren Hirnen eine einzige Kaufbude machen.“ Archibald spürte immer noch die Nachwirkungen des gestrigen Sonntags, als tausende und abertausende ferngesteuerte Menschen im Kaufrausch die Gegend rund um seine Höhle unsicher gemacht hatten. Doch die Nacht brachte Linderung. Archibald ruhte in seinem Fell und die Frage, welche ihn seit Tagen umtrieb, nämlich, ob er denn ein Bär des Westens oder des Ostens sei, pochte nur leise an den Rändern seiner Träume, in denen Lachse ohne Preisschild, Bienenstöcke ohne Etikett und Heidelbeeren ohne Mindesthaltbarkeitsdatum die Hauptrolle spielten. Eine kalte Frühfrühlingssonne weckte Archibald.
Heute war nicht irgendein Tag. Heute war Weltfrauentag. Archibald konnte das nicht wissen. Ernst Albert aber wußte es. In der vor zwanzig Jahren versunkenen Hälfte dieses Landes wurde der Tag im wesentlichen so gefeiert, daß die Männer morgens ihren Kolleginnen Blumen mitbrachten, dann eine Rede auf die Frauen hielten und den Rest des Tages Schnaps tranken. Ernst Albert handhabte dies anders. Er trank erst einen Schnaps, ging dann für Eva Pelagia Blumen kaufen, um, wenn sie dann von der Arbeit nach Hause käme und er noch dazu in der Lage wäre, eine kleine Rede zu halten.
Kaum erwacht fiel es Archibald wie – diesen kleinen Scherz konnte er sich nicht verkneifen – Lachsschuppen von den Augen. „Ursa major.“ Ursa: die Bärin! Ursa major: die größere Bärin. So heißen die Sterne dort oben. Und die abgespeckte Variante daneben heißt? Der Kleine Bär! Sic! So hatte also Archibald durch pures, selbstloses Nachsinnen seinen Beitrag zum Weltfrauentag geleistet. Wie aber die größere Bärin und der kleine Bär an den Himmel gekommen waren, das ist eine andere und bitterböse Geschichte.
Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth