Die “condicio ursa” träumt einen gewaltigen Traum
Dienstag, 9. März 2010 6:52
Wenn Bären allein sind, denken sie immer ganz besonders intensiv. Da Bären nun mal Einzelgänger sind, insbesondere die Herren, bedeutet dies, sie denken immer ganz besonders intensiv, außer vielleicht sie haben zuviel an vergorenem Obst zu sich genommen. Selbstverständlich gibt es dutzende und mehr Bärendamen auf dieser Welt, die dies bezweifeln. Also das mit dem Denken, keinesfalls das mit dem vergorenen Obst. Doch Weltfrauentag war gestern und Archibald befand sich in offensiver Denklaune und alleiniger als sonst, da nicht nur die Holde des Hauses an der Arbeit war, sondern auch Ernst Albert zu einer Kurzreise aufgebrochen war. So machte sich Archibald daran, ein größeres Thema anzudenken. Nein: nicht „Abbes Bein/Anoperation“, sondern nicht weniger als die „condicio ursa“, die Bedingung des Bärenseins, war es, die Archibald heute umtrieb. Seit Tagen beschäftige er sich nun schon damit, ob er denn ein Ostbär oder ein Westbär sei. Gewiß, es gab Momente, wo ihm dies alles schnurzegal war und er seinem Bärenfatalismus frönte. Doch heute war es Archibald, als ob er sich selbst neu erfinden oder zumindest definieren müsse. Wer bin ich? Wo komm ich her? Warum? Weshalb? Wann? Die vielen, vielen W-Fragen. Und solche großen Fragen haben Bären schon immer im Liegen gelöst. Also stieg Archibald von seinem Fensterbrett, legte sich auf Ernst Alberts (eigentlich Eva Pelagias) rotes Sofa, schlief ein und, wie es Robert Zimmermann einst gesungen hatte: „He dreamt a monstrous dream.“
Archibald stand im Zentrum eines Kreidekreises. Zwei Männer an den Rändern desselben. Der eine Mann roch nach gebranntem Kartoffelwasser und Machorka, der andere trug das Abbild eines riesengroßen Ahornblattes auf seiner Brust und rief unentwegt „Timber! Alas! Timber!“. Archibald hatte das Gefühl beide zu mögen, soweit Gefühle in Träumen präzise sein können. Plötzlich packten die beiden Männer Archibald und jeder versuchte ihn aus dem Kreidekreis auf seine Seite zu ziehen. Beide Männer schienen gleich stark zu sein. Es war ein gewaltiger Schmerz, der Archibald erwachen ließ. Er blickte um sich und sah, daß er auf der Straße einer mittelhessischen Kleinstadt lag. Er war zweigeteilt, hier sein rechtes Bein, dort, etwa 100 Meter weiter, der Rest.
Archibald erwachte ein zweites Mal. Der Tag hatte ihn wieder. „Potzrembel! So kann man sich, wenn man es übertreibt, in zwei Teile denken.“, dachte er und: „Liegt da nicht das mit Mäusespuren übersäte Papier, welches Ernst Albert mir am Potzrembeltag mit dem Ausruf: „Lesebär!“ vor die Nase geworfen hatte?“ Da Archibald vor Kälte und posttraumatischer Verwirrung etwas fröstelte, deckte er sich zu. Mit einem Buch.
Thema: Archibalds Geschichte | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth