Von gestempelten Eiern und daß es eigentlich um etwas ganz anderes geht
Montag, 5. April 2010 8:51
Eva Pelagia und Ernst Albert waren aufgebrochen, um ganz in der Tradition des alten Geheimrates und Grüne-Soße-Fans JWvG nachzuschauen, “ob durch des Frühlings holden, belebenden Blick Strom und Bäche vom Eise befreit seien, im Tale Hoffnungsglück grüne, da der alte Winter, in seiner Schwäche, sich in rauhe Berge zurückgezogen”. Archibald wiederum zog sich zurück auf das grüne Fensterbrett, da ihn der Geruch von frischem Basilikum beim Denken unterstützte. Hier war er Bär, hier durfte er sein.
Heute galt es nachzudenken über die hiesigen Aufrechtgeher und ihr großes Eierfest. Offensichtlich haben die Fellfreien ein sehr inniges Verhältnis zu ihren Eiern. Seit einiger Zeit beschriften sie ihre Eier mit allerlei geheimen Zeichen. Aus diesen Zeichen kann man wohl erkennen, wann das Ei gelegt wurde, von wem, wie, warum, ob draußen oder drinnen, ob der Stall beheizt oder tapeziert ist, wie weit es vom Stall bis zur nächsten Autobahnauffahrt ist, wann die Legehenne das letzte Mal den gesetzlich vorgeschriebenen Legeurlaub genommen hatte, ob der Bauer verheiratet ist oder eine Frau sucht, mit welchem LKW-Typ die Eier in welchen Markt geliefert wurden und warum und wie oft die Verkäuferin dem Kunden noch einen schönen Tag gewünscht hat. Deshalb verbringen die Zweibeiner wohl auch die Hälfte ihres Lebens in den Kaufbuden, den diese Informationsflut muß erst einmal erfaßt und verarbeitet werden. Sicher ist sicher und keine Experimente. Dafür hatte Archibald ein gewisses Verständnis, da auch er kein großer Freund von Überraschungen ist. Das muß ja nicht sein, daß dort, wo gestern noch ein mit Lachsen gefüllter Wildbach durchs Gehölz rauschte, heute eine monströse Staumauer aus Beton steht und der Wald zu einem Unterwasserpark mutiert ist. Aber dies, und soweit war Archibald schon in der Zweibeiner Denkensart eingedrungen, war wohl ein wesentlicher Bestandteil humanoider Denke: dem Anderen mit großer Freude Überraschungseier vor die Haustür zu setzen, aber im umgekehrten Fall laut aufzuschreien, daß solch eine unliebsame Bescherung einem doch gehörig auf die Eier gehe und man möge dies gefälligst unterlassen. Wobei der Andere dann wiederum darauf pocht, dies sei auf keinen Fall seine Schuld, wenn man sich mit dieser kleinen Veränderung nicht arrangieren könne. Archibald mußte an den Mann denken, der vor Tagen auf seinem Fahrrad mit mörderischer Geschwindigkeit durch die kleine, enge Straße unter seinem Fenster gerast war, so daß eine dort gehende alte Frau in letzter Sekunde zur Seite springen konnte, dabei stürzte und sich am Kopf verletzte. Der Radfahrer, ein großer, kräftiger Mann, der einen Helm auf dem Kopf hatte und aussah, als zöge er in den Krieg, half der alten Frau auf und als diese sich über den Fahrstil des Helmträgers beschwerte, beschimpfte dieser sie und meinte, wenn auch sie einen Helm trüge, würde ihr auch nichts passieren. Erhobenen und behelmten Hauptes rauschte er davon. Seltsame Vögel!
Wieder bimmelten die Kirchenglocken und Archibald hatte das Gefühl, daß es bei diesem Eierfest eigentlich gar nicht um Eier geht, sondern um etwas ganz anderes, wichtigeres, fundamentaleres. Archibald Mahler, als Bär vom Brandplatz, konnte dies nur ahnen. Wer sollte es ihm auch erklären? Die meisten Aufrechtgeher hatten es längst vergessen. Schade eigentlich. Aber das Basilikum roch noch immer gut und die Sonne schien und die Birken vor dem Fenster trugen erste Blütenkätzchen. Und dies alles schien dem Bären zuzurufen: „Fürchte Dich nicht, Archibald!“
Thema: Küchenschypsologie | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth