Beiträge vom 21. April 2010

Vom Reichtum, geistiger Armut und der Gnade des Vergessens

Mittwoch, 21. April 2010 9:31

vulkanasche„Laughing just to keep from crying.“ Das hatte einst der göttliche Rory Gallagher in seinem noch göttlicheren ‚Bullfrog Blues’ gesungen. Und was waren das nun für Geräusche, die Ernst Albert von sich gab, als er, mit der lokalen Zeitung wedelnd, in die neue Höhle gestürmt kam? Weinen? Lachen? Wüten? „Unfaßbar! Unfaßbar! Einfach unfaßbar!“ Ernst Alberts erklärtes Lieblingswort bei aufkeimendem Zweifel an der geistigen Verfaßtheit seiner Mitzweibeiner riß Archibald aus seiner Floralmeditation. „Höre, mein Bär. Ich zitiere wörtlich, wortwörtlich: ‚Nicht nur die Reisebranche hat Probleme durch das Flugverbot: Auswirkungen gibt es beim Handel mit Import-Früchten. Die Kapstachelbeeren aus Kolumbien..’ Ich wiederhole: ‚Die Kapstachelbeeren aus Kolumbien werden knapp, sagte ein Sprecher der Merkur Frucht. Ähnliches könnte für Rosmarin, Mangos und Sternfrüchte gelten. Sie kommen für Lokale und Feinkost-Läden per Flieger nach F.’ Unfaßbar! Was sind das nur für Krankheimer? Mein Gott! Jetzt brauch ich ein Bier. Von der Brauerei schräg gegenüber.“ Die Zeitung flog in eine Ecke. Wüste Verwünschungen ausstoßend verließ er die Neue Höhle. Es war für Archibald nicht klar zu verstehen, wen Ernst Albert zuerst erschießen wollte: den Leiter des Fruchtmarktes, den gänzlich Geisteskranken, der so eine gequirlte Kacke abdruckt oder alle perversen Schwachmaten, die hier in diesem Land Kapstachelbeeren aus Kolumbien kaufen. Auf alle Fälle wünschte er jedem von ihnen einen dreiwöchigen Erholungsurlaub auf Haiti an den Hals.

Yogi ‚Yellowstone’ Parkinson hatte sich zu Archibald gesellt. Gemeinsam betrachtete man den Auslöser der Wutrede des Herrn Ernst Albert. Yogi las – ja, er konnte richtig gut lesen für einen Bären – und vergaß im selben Moment. Und dies sei auch der Vorteil seiner, von den Zweibeinern gefürchteten, Unpäßlichkeit, bemerkte Herr Parkinson nach Beenden der Lektüre. Er als Hausbär im Heckerland sehe darin aber nur Vorteile. Denn ohne die permanente Gnade des Vergessens ließe sich ein Leben unter den wahnsinnigen Zweibeinern auch gar nicht gelassen gestalten. Rein mit den nötigen Informationen und direkt wieder raus damit. Zack! Die Zeitung flog über den Balkon, segelte auf den Fußgängerweg unten am Flüßchen und landete vor den Reifen eines Radrasers. Dieser mußte bremsen. Er mußte sogar absteigen. Verzweifelt blickte er hinauf in den kondensstreifenfreien Himmel. Etwas hatte seine Fahrt unterbrochen. Wütend scharrte er mit seinen Radlerhufen, ballte die Faust und suchte einen Schuldigen.

Einige Meter über ihm saßen zwei Bären, einer aus Mittelhessen, der andere aus Wyoming und übten sich in der Kunst der Floralmeditation. Verschimmelte Kapstachelbeeren aus Kolumbien fielen vom Himmel. Der Pedalritter weinte. Ernst Albert kam lachend des Weges und schenkte ihm eine Flasche des lokalen Bieres. Es sollte ein guter Tag werden, denn Ernst Albert hatte etwas vergessen. Und außerdem ist heute der allmonatliche Rory Gallagher – Gedenktag. Prost!

Thema: De re publica, Im Heckerland | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth