Beiträge vom Oktober, 2010

DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (II)

Freitag, 29. Oktober 2010 19:48

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Das erlebte Archibald Mahler, als er die Badewanne seiner Fantasie durchsegelte:

Jack London war ein Trinker. London war aber nicht nur Trinker, er war auch der Neffe des berüchtigten Captain Keith „T for Teague“ Bligh, dem unumschränkten Herrscher über alles, was im Hafen von Portsmouth ein – oder auslief.

Archibald Hawkins war kein Trinker. Archibald Hawkins, Schiffsjunge in spe, hatte unlängst auf der „Hispaniola“ für seine erste Fahrt angeheuert. Heute abend saß er im „Goldenen Haifisch“ in Begleitung seines zukünftigen Lehrherrn, dem einbeinigen Schiffskoch Long John Larsen. Man feierte den Abschied von der Heimat und Klein – Hawkins kam nicht umhin sich seinen ersten doppelten Gin zur Brust nehmen zu müssen. „Auf alle Heiligen Klabautermänner und die Hintern, die uns auf der anderen Seite des Ozeans erwarten. Und leert die Fässer, bevor sie vergammeldansken!“, rief Mick „The Gulliver“ Finn, der Steuermann, in die verräucherte Taverne hinein, nahm den zukünftigen Schiffsjunge in den Schwitzkasten und unter dem brüllenden Gelächter der versammelten Crew flößte er ihm einen zweiten Gin ein, diesmal einen vierfachen. Die Welt drehte sich so schnell wie nie zu vor.

Archibald Hawkins stand vor der Türe des „Goldenen Haifisch“, die neblige Novemberluft nahm ihm den Atem, zwischen seinen Schenkeln und in der Tiefe seines Magen drängte so manches nach außen und auf der anderen Seite der schmalen Straße wankten die Hafenmole, ein paar Poller, ein Lagerschuppen, eine dunkle Ecke, alle Erleichterung verheißend. Von rechts raste umgebremst heran der Zweispänner des volltrunkenen Jack London. Er hatte die Kontrolle über seine überhitzten Schindmähren verloren. Das rechte Bein des Archibald Hawkins, welches gerade den Straßenrand betreten hatte, kollidierte mit dem schlingernden Gefährt, trennte sich auf Grund des Aufpralls vom Leib des armen Schiffsjungen in spe und blieb auf der anderen Seite der Hafenpromenade neben einem Poller liegen. Vor der Türe des „Goldenen Haifisch“ lag der restliche Archibald. In seiner rechten Pfote hielt er, heldenhaft umkrampft, ein bemaltes Stück Bärenhaut, welches im Moment des unglücklichen Zusammenstoßes aus den Händen des Trunkenbolds Jack London durch die neblige Luft direkt in die Arme des unschuldigen Unfallopfers geflogen war. Die zwei Schindmähren und ihre Fracht lagen aber im Hafenbecken. Dies war die Stunde von Orca, dem Killerwal. Irgendwo in weiter Ferne lachte Käptn Ahab.

Long John Larsen war Schiffskoch, doch einstens war er Schiffsarzt gewesen. Allerdings hatte er, nachdem ihm bei einer ordentlichen Kneipenschlägerei der jähzornige Maschinist Sir Francis “Freitag” Fletcher ein rostiges Messer in den Oberschenkel gerammt hatte, versucht sein eigenes Bein zu amputieren. Was ihm auch gelang. Aber ein einbeiniger Schiffsarzt? Wenn es so richtig stürmt? Den Kartoffeln macht das nichts, wenn das Messer mal wegen mangelnder Standfestigkeit woanders hinschneidet als geplant. So wurde Long John Larsen, weil er von der See nicht lassen konnte, Schiffskoch. Und nun saß er im nebligen Hafen von Portsmouth auf einem Poller und nähte einem kleinen Bären, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Schiffsjunge zu werden, sein abbes Bein an. Manchmal gibt einem das Leben die Chance etwas wiedergutzumachen. „Komm, mein Junge! Schnell an Bord! Dort im Hafenbecken treiben die abgenagten Knochen des Neffen Jack! Die Rache des Captain Bligh wird fürchterlich sein! Nichts wie weg! Leinen los!“ In weiter Ferne wünschte Columbus Glück.

Sieben lange Tage war man nun schon auf See. Madeira. Kapverden. Recife. Das Bein hielt. Man nannte ihn den Hinkebär. Das war ihm egal. Und ihm war auch nicht mehr jeden Morgen schlecht vom Auf und Ab der Wellen. Archibald Hawkins lernte die Freuden eines Lebens als Schiffsjunge kennen. Wanten hoch und Stagen runter. Rahsegel gerefft. Rahsegel geborgen. Deck geschrubbt. Nacht bewacht. Kartoffeln geschält und dann mit bloßer Hand zu Kartoffelpüree verarbeitet. Telefonbücher zerrissen. Feuerchen damit gemacht. Rauf ins Krähennest, Ausguck gehalten. Warten bis man einen Kürbis an die Rübe kriegt, dann runterklettern, Kürbis kleinhacken, Suppe mit machen, Kartoffelpüree dazu servieren. Zwei Stunden Schlaf. Klock zwei: Wanten wieder hoch. In der Ferne nur Ferne.

In Archibalds Koje, unter Gideons Bibel, die er als Kopfkissen benutzte, lag fein säuberlich gefaltet das Stück Bärenhaut, welches ihm Long John Larsen nach der Anoperation aus der Pfote klamüsert hatte. Das Stück Haut vor von oben bis unten bemalt mit Pfeilen, Wegen, Abkürzungen, angedeuteten Bergen, Flüssen, Wäldern und allerlei Heimlichkeiten. Was das alles bedeutete? Archibald war es gleich. Die Erinnerung daran überlebt zu haben: dies reichte ihm.

Ein fürchterlicher Sturm erwischte sie etwa drei Kilometer hinter dem Bermudadreieck. „Alle Mann an Bord.“ Alle? Mick „The Gulliver“ Finn stand vor des Schiffsjungen Koje. Er hielt die lang ersehnte Schatzkarte in seinen klebrigen Händen. (to be continued…perhaps)

Ernst Albert hatte Archibald alleine denken lassen. Er war etwas am Ufer hin und her geschritten und hatte sich Worte für die kommende Musentempelarbeit im Heckerland ins Hirn geklebt. Er war etwas überrascht, als er bei seiner Rückkehr den Bären in den Wanten eines kleinen Einmasters hängen sah. Der Bär war fürchterlich aufgeregt. „Die gehört mir! Verdammt noch mal. Das ist meine Schatzkarte.“ Das rief er immer wieder. „Hey Seebär in spe, mach mal langsam. Das Nordlicht hat es nicht so mit emotionalen Ausbrüchen in der Öffentlichkeit! Ich hab hier noch zu tun!“ Ernst Albert holte ihn zurück an Land. Der Bär kam zu sich. „Ich glaube, jetzt kann ich auch auf einem richtigen Schiff fahren!“ „Na dann man tau, Maat Mahler!“

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DIE BADEWANNE NAMENS FANTASIE (I)

Freitag, 29. Oktober 2010 16:02

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Die Suche nach dem ersten Schritt benötigte einige Schritte mehr, immer am linken Rand der Förde entlang, stadtauswärts. Und da lag es. Festgezurrt, vertaut an einem Baum, den die Aufrechtgeher ins Wasser gehauen hatten: ein Haus, das auf dem Wasser lag. Aber kein solches Stahlmonstrum wie die tutenden Häuser von gestern. Dieses Haus war aus Holz. Es hatte keine Ecken, keine Kanten. Es war ein mildes und friedliches Schwimmhaus. Und es hieß “Hispaniola”. Und diese Farben! Oben – ein Seebär würde sagen: die Planken – war es wunderbar grün angemalt wie eine Wiese. Unten – der Seebär spricht hier vom Schiffsrumpf – war es rot angestrichen wie sein alter Freund SIMCA. Und in der Mitte des kleinen schwimmenden Holzhauses stand ein hoher Baum und an diesem Baum hingen unzählige miteinander verknotete und verwobene Taue und Seile. Ein undurchschaubarer Wirrwarr, der im heute recht warmen Wind vor sich hin klickerte und klackerte. Und das gefiel Archibald sehr. Und wo er gestern so gar nicht begreifen konnte, daß ein gigantischer Haufen Stahl nicht auf der Stelle versinkt und sein restliches Dasein auf dem Meeresgrund fristen muß, dachte er daß – So kann man das sagen! – Holz schwimmen kann. Nicht so gewandt wie ein Bär – wenn er will – aber immerhin. Aber wo ist jetzt hier der erste Schritt?

„Sieht so der erste Schritt aus?“ „Denke ja, Käptn Mahler!“ „Warum?“ Und Ernst Albert erzählte. Davon daß er als Junge lange bevor er das erste Mal mit einem richtigen Schiffe auf einem richtigen Meer fuhr, alle Meere dieser Welt hundert- und tausendmal durchquert und durchsegelt hatte. Und davon daß er dabei immer fachkundige Begleitung gehabt habe. Und die fachkundige Begleitung habe Jack London und Magellan und Vasco da Gama und Gulliver und James Cook und Huck Finn und Captain Ahab und Wolf Larsen und Humphrey von Weyden und Sven Hedin und Alexander von Humboldt und Robinson Crusoe und Daniel Dafoe und Captain Bligh und Fletcher Christian und Leif Erickson und Sir Francis Drake und Amerigo Vespucci und Roald Amundsen und Vitus Bering und Thor Heyerdahl und Friedrich Gerstäcker geheißen. „Und Käptn Teague!“ „Nein, Archibald, den gab es damals noch nicht! Aber Du hast recht: The trick is: It’s in yourself!“ Und so wollte Archibald Mahler, angehender Weltenumsegler wissen, wie und wo Herr Ernst Albert so rumgesegelt sei. Und der sagte: „In der Badewanne der Fantasie!“

„Und was findet man, da drüben, auf der anderen Seite der Badewanne?“ Das fragte der Bär, nachdem er eine ganze Weile nachgedacht hatte. „Tempel, versunkene Inseln, verwunschene Städte, Flüße ohne Wiederkehr, Tahiti, Pitcairn, El Dorado, Shangri La, die Reeperbahn, Portsmouth, den Hafen von Amsterdam und Schätze!“ Da wollte der Bär wissen, was für Schätze, und wie man die findet, und ob man die behalten könne, und ob man dann reich sei und alles gut ist und überhaupt. Und Ernst Albert sagte nur: „Mal so, mal so! Und wer den Schatz für sich allein beansprucht, der stirbt meistens, bevor Du das Buch zugeschlagen hast!“ Und Ernst Albert erzählte nun dem Bären  – natürlich eine Kurzfassung – die alte Geschichte von Captain Flints Schatz, von Jim Hawkins und Long John Silver, von Israel Hands, dem Blinden Pew, von der seltsamen Begegnung mit Ben Gunn, dem wegweisenden Skelett und wie das alles enden kann. Und Archibald summten die gespannten Ohren vor Freude und er lichtete den Anker, setzte Segel und nahm Fahrt auf. Da draußen, auf der Badewanne Fantasie. “Siebzehn Mann auf des Toten Mannes Kiste, hohohoooooo und die Buttel voll Rum.”

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DER SOHN DES ZIMMERMANNS WAR SEEMANN UND LIEF ÜBERS WASSER

Donnerstag, 28. Oktober 2010 13:10

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Das Laufen über das Wasser. Davon hatte Archibald schon in der Höhle von Ernst Albert und der heute sehr vermißten Eva Pelagia gehört. Das kannte er aus einem Lied des alten Mannes mit der so tiefen Stimme, daß es Archibald immer das Fell vibrieren ließ vor tiefer Freude, wenn der sang. Und in diesem Lied wird darüber berichtet daß „der Sohn des Zimmermanns Seemann war, als er übers Wasser lief und sehr lange Zeit zugebracht hat von seinem einsamen hölzernen Turm Welt zu schauen und als er sich sicher war, daß nur ertrinkende Männer ihn wirklich wahrnehmen können, soll er gesagt haben, daß alle Männer Seeleute sein werden, bis die See sie wieder hergäbe und befreie.“ Und jetzt fragen Sie nicht, woher ein Bär des Englischen so mächtig ist, daß er einen Cohensong simultan übersetzen kann. Er kann das. Just dig it! Und wenn er sich ein bißchen konzentrieren würde – aber dazu hat er wenige Tage vor dem Winterschlaf überhaupt keine Lust – könnte er das Lied sogar auf Spanisch singen. Si claro!

Gut, ein Aufrechtgeher mag aus pädagogischen und sinnstiftenden Gründen gerne mal übers Wasser laufen, das mag ja wohl angehen, aber daß tutende Häuser, tutende Häuser, die größer sind als die meisten nichttutenden Häuser, die Archibald kannte, und dann auch noch die weißen Raben magisch anzogen, daß diese tutenden Häuser übers Wasser laufen und gleiten können, wo die doch so riesig sind. „Ja glaub ich das wohl! Potzrembel und heiliger Klabautermann!“ Und – jetzt war der Bär vollkommen geplättet – ihren riesigen Bauch auch noch mit hunderten von stinkenden Blechmilben und bestimmt tausend und mehr Aufrechtgehern füllten samt deren dicken und rollenden Reisekartons. Und dann immer noch nicht untergingen und fröhlich und gelassen auf dem Wasser vor sich hinschaukelten. Sachen gibt das. Der Bär war fasziniert. Und er roch die Ferne. Und er roch die Heimat seiner Urväter, dort auf der anderen Seite des vielen Wassers. Nordwyoming und Kamschatka, die Kodiakinseln und die dichten Wälder rechts hinter Fairbanks. „Nehmt mich mit!“ Aber da kam dann schon wieder so ein Kerl mit orange – gestreifter Weste und guckte nordisch indifferent. Ist das jetzt unfreundlich oder schon Euphorie?

Aber dann wurde es Käptn Archibald Mahler doch etwas mulmig bei der Vorstellung, er wäre Passagier – und höchstwahrscheinlich ein blinder – auf so einem monströsen Pott. Da wäre dann doch zuviel Gewusel und Aufrechtgehergezappel. “Nee, lass mal stecken hier!” Die Tatsache, daß Archibald Mahler, eher Wasserbeschauer als Wasserbegeher, bisher nur an diversen Ufern gesessen war, mal ganz außen vor gelassen. Und so packte Herrn Albert, der aus gänzlich anderen und dienstlichen Gründen seit Tagen ein Lied des Herrn Cohen vor sich her summte, seinen kleinen Genossen und sprach die pädagogisch wertvollen Worte: „Auch eine Weltumseglung fängt in der Badewanne an!“ Das verstand Archibald nicht wirklich, aber er machte sich mit seinem Chef zusammen auf die Suche nach dem ersten Schritt. Und rief einfach erst mal: „Ahoi!“ Kann ja nicht schaden. Hier oben.

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FISCHBRÖTCHEN UND TUTENDE HÄUSER

Mittwoch, 27. Oktober 2010 22:12

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Und dann regnet das und der Wind bläst von vorne und ein gnadenloses Grau frißt alle Farben auf und weil das so ist, ist das so und dann ist das auch gut so! Man ist ja nicht aus Z.U.C.K.E.R.! Auch wenn der Pöter trieft und das Fell sich anfühlt wie ein nasses Badehandtuch. Wie sagen die Aufrechtgeher im Norden? „Schietwetter!“ Das sagen sie dann. Ein netter Wesenszug ist das wohl, wenn das Unvermeidliche mit einem schönen Namen garniert wird. Aber Archibald ging es gut. Sehr gut sogar. Ernst Albert hatte sein Versprechen gehalten. Heute und nicht morgen und schon gar nicht – nach guter alter Aufrechtgeherart! – erst übermorgen oder gar nicht. Da kann das auch mal abnieseln bis zum Fellerweichen. Der Bär atmete tief ein, was da zwischen seinen Schenkeln auf den Verzehr harrte und sprach: „Ladies and Gentleman! Would you please welcome: My first FISCHBRÖTCHEN!“ Der Rest ißt Schweigen!

Und dann sprach Archibald mit sich selbst und also mit der Welt. „Was man auf so ein Fischbrötchen alles drauflegen kann. Ich konzentriere mich jetzt mal. Und das kann man da alles drauflegen. Doppelpunkt.“ Und Archibald Mahler konzentrierte sich. Und zählte auf, was man da so drauflegen kann. Doppelpunkt. „Also zum Beispiel: Makrele, Forelle, Butterfisch, Bücklingsfilet, Makrelenfilet, Räucheraal. Den aber erst ab Donnerstag. Heute aber schon Stremellachs, Heilbutt, Fleckmakrele. Immer im Angebot sind Bismarckhering, Matjeshering, Kräuterhering, Brathering und Sherryhering. Sonst noch und manchmal auch nicht hätte man Bückling, Fischfrikadelle, Krabben und Seelachsschnitzel. Au Backe! Ernst Albert?“ „Yes, Bär?“ „Wir dürfen hier erst wech, wenn wir alle Fischbrötchen einmal probiert haben! Iss das gebongt?“ „Geht klar, Käptn Schlaubär!“ Archibald wollte sich noch mehr konzentrieren, falls dies zwei Wochen vor Antritt des Winterschlafes überhaupt geht und nachdenken, was man sonst noch alles auf ein Fischbrötchen draufpacken kann. Da waren aber die weißen Raben vor.

Sind das vielleicht Nervbrocken? Da wendet man mal das Bärenauge kurz hinwech vom Mahl der Wahl – Brathering war es im übrigen! – und schon schielt das Möwenauge rüber und die Meute startet flatternd und kreischend einen Scheinangriff. Nun gut, ab und zu wedelt der ehrenwerte Herr Ernst Albert mit dem langen Arme und sorgt für Ruhe, aber die fettesten dieser weißen Raben wiegen sicherlich zweimal soviel wie Archibald Mahler inklusive sein schon so gut wie verzehrtes Bratheringsbrötchen und da darf man schon mal nervös werden. „Kann man hier bitte mal in aller Bärenruhe fressen und verdauen? Potzrembel und die Waldfee aber auch bitte schön! Geht doch selber fischen, ihr Luftguidos!“ Doch Rettung naht. Ein Geräusch. Ein Ton, ein Dröhnen, welches die ganze Stadt durchbebt, tief, vibrierend, vom Wasser her kommend. Und dann dreht Archibald sich um. Ein Haus! Ein riesiges blauweißes Haus. Mit runden Fenstern. Ein Haus, das tuten kann. Und noch viel mehr kann dieses Haus. Sogar die weißen Raben suchen das Weite. Und dann fliegen sie dem riesigen Haus mit der Tute hinterher. Richtung mehr. „Ja lüch ich denn?“ Das fragte sich der Bär. Und noch Meer.

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SO ISS DAS DANN WOHL!

Dienstag, 26. Oktober 2010 15:49

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„Aha!“, dachte der Bär, und: “So iss das dann wohl!“ Das erste Mal in seinem Leben blickte er aufs Meer, oder zumindest auf ein Gewässer, welches man als den Beginn oder Anfangs eines Meeres bezeichnen konnte. Natürlich jubelte es in ihm und sein Herz schlug ihm bis in den sprachlosen Hals, aber da er sich hoch im Norden befand und als feinfühliger Reisender die doch ganz andere Atmosphäre hier oben erschnupperte, zeigte er das nicht. Da bleibt man dann nordisch gelassen, sollen die am Alpenrand oder über dem großen Meer wegen jedem Furz hysterisch rumschreien und jubeln. Und daß man am Rande eines Gewässers sich eher ruhigen Ausdrucksweisen zuwendet, hat er schon während seiner sommerlichen Wassertage erkennen dürfen. Aber es schaut sich hier besonders komfortabel, das muß man schon anmerken dürfen, denn die Aufrechtgeher hier an der Förde haben ein ganz besonderes Händchen bei der Wasserrandgestaltung. In regelmäßigen Abständen haben sie große und runde Eisenklötze ans befestigte Ufer gebaut, auf denen ein Bär wunderbar sitzen und sich seiner Lieblingsbeschäftigung, der Wassermeditation hingeben kann. „Viel aufs Wasser schauen macht offenbar gescheit!“ Das dachte Archibald Mahler, heute ein Pollerbär.

Dann schaute er nach oben. „Aha!“, dachte er, und: „Die haben hier weiße Raben! Und wie viele! Und was die für einen Krach machen!“ Und die Möwen kreisten über ihm und Herr Ernst Albert, der hinter ihm saß und die Möwen schauten recht interessiert auf die beiden ruhigen Wasserschauer herunter und machten einen Heidenkrach und das was aus ihren kleinen Augen blitzte war Hunger, mehr noch: Gier. Und Archibald fühlte sich ein wenig unwohl, aber Ernst Albert hinter ihm schien das Gezeter und hektische Rumgefliege zu gefallen und er erzählte irgendwas von Hitchcock und wildgewordenen Vögeln, was der Bär gar nicht verstand und dann roch es nach Fisch. Und Archibald sah, was die Möwen sahen und weshalb sie den Bären und seinen Chef kreischend umkreisten. Herr Ernst Albert hielt etwas in den Händen. „Das will ich auch! Unbedingt!“ „Kriegst Du! Morgen!“ „Versprochen?“ „Versprochen!“ „Aber Du mußt dann die weißen Raben fernhalten!“ „Besser ist das wohl!“

Und dann hat ein Aufrechtgeher, der eine orange – gestreifte Weste trug, die zwei gebeten – natürlich sprach er mit Ernst Albert, denn wasserschauende Bären aus Mittelhessen nimmt das gemeine Nordlicht nicht wahr und wenn, dann zeigt er das nicht – sie mögen bitte aufstehen und gehen, denn dies sei Hafengelände. Und das haben sie gemacht und Ernst Albert hat sich ein Buch gekauft, ein Buch, in dem die kürzlich gestorbene Frau des Alten von Bergedorf von ihrem ereignisreichen Leben erzählt. Und wenn der Mann, der sie interviewt hat und das alles aufgeschrieben hat, sie zum Beispiel fragte, ob dies und das damals denn wirklich so geschehen sei, was sagt sie dann? „Na, dann war das wohl so!“ Das las Ernst Albert dem Bären vor und der hörte gerne zu.

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DAS HAUS RUNTERBRENNEN. HUNDERTPROZENT GETRÄNKE. STRASSENHAUSTRAURIGLIED.

Sonntag, 24. Oktober 2010 15:29

premiere

„Herr Mahler?“ (Stille. Schnarchen. Stille.) „Herr Mahler? Der fällt mir noch vom Hocker. Herr Mahler, kruzitürken!“

(Man erwacht.) „Ähem?“

„Müssten die Koffer nicht schon längst gepackt sein?“

„Da sagen Sie was! Was sagen Sie da? Ach ja! Sicher!“

„Sicher scheint mir bei Ihnen heute nur das Licher, wenn ich mir als angehender Mittelhessenpatriot diesen Kalauer erlauben darf!“

„Nun gut, bester Mister Holtby. Das Haus brannte gestern und man löscht, wo man kann!“

„Sie fallen! Haltung, Herr Mahler! Haltung und fassen Sie sich!“

„Hören Sie das Lied!“

„Der alte und verehrte Ire?“

„Wer sonst?“

„Nicht zu überhören!“

„Hundertprozent!“

„Sicher! Ich mahne lediglich ein zweites Mal. Der Koffer! Die See! Etezeh!“

„Sie haben recht.“

„Bewegung!“

„Ich erwachte des Morgens und gab mir dann ein Bier!“

„Wie meinen?“

„Strassenhaustrauriglied!“

„Von den TÜREN?“

„Von den TÜREN!“

„Na dann halten Sie Ihre Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad!“

„Das macht der Lokführer!“

„Da bin ich aber froh. Hauen Sie schon ab. Ich muß ans Radio. Der BVB!“

„Hömma?“

„Hömma!“

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DAS SCHWERE HERZ DES BÄREN ERLÖST DER RUF DER SEE

Samstag, 23. Oktober 2010 14:40

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So war es passiert. Der Bär war wieder in Liebe gefallen. Eigentlich wollte er es nicht. Aber was sollte er tun? Ihm war nicht zu helfen. Was dann geschieht, dies wissen wir alle. Das klare Denken hat ein Ende und es wird unablässig und im Kreise herum gegrübelt. Die eine Frage nur. „Warum bin ich kein Genie?“ Denn soviel hatte Archibald Mahler, Bär ins Herzensnot, begriffen: dieses Aufrechtgeherweib umgab sich gerne mit Genies, die zwar inzwischen alle tot waren, aber ein Genie mußte man aus Prinzip schon sein, wenn man länger in ihrer Nähe bleiben wollte. Oder verdammt gut Klavier spielen und den Boden wischen können, wie der Mann mit den angeklebten Haaren. Damit konnte der Bär nicht dienen, aber gescheit in die Welt schauen und davon berichten. Ob das aber reicht? Er blieb einfach mal neben dem alten Foto sitzen und staunte. Und schmachtete auch etwas. Das Foto ließ ihn gewähren. Dann schob sich die schimpfende alte Frau wieder über die Bühne und sah der Frau aus dem Buch immer ähnlicher und sang und schimpfte und sang und war traurig und wütend und sang. Und Archibald begriff langsam, daß die Frau aus dem Buch gar nicht mehr lebt und die schimpfende Frau so eine Art Stellvertreterin der Erinnerung war, aber gar nicht die Kopie der toten Frau, sondern etwas ganz eigenes, kein Abziehbild, sondern ein Echo von längst Vergangenem. Und dann sagte Ernst Albert, daß jetzt Schluß sei mit dem Rumgespiele und ein Aufrechtgeher kam und küßte die schimpfende Frau und der war ihr Mann. Und da war Archibald dann etwas verwirrt, alle Männer wären tot, hatte sie doch immer gesagt und jetzt das. Die Musentempelei barg offensichtlich noch etliche Geheimnisse, die es zu erforschen galt. Er brauchte Hilfe. Herr Albert?

Mit Herrn Ernst Albert war nun aber rein gar nichts anzufangen. Er hatte noch mal rumgemoppert und ein paar letzte Anweisungen gegeben und dann fiel er in ein Bierglas und in ein kleines Loch der Traurigkeit. Seine Arbeit war getan und jetzt sollten die schimpfende Frau, der Mann mit dem schwarzen Kasten und alle anderen, die da rumwuselten, das Schiff selber übers Meer der Unwägbarkeiten, Hoffnungen und Ungewißheiten steuern. Zeit zu gehen war es und dies fällt nun manchmal schwer, vor allem wenn es notwendig ist. Also drehte sich Herr Albert heute im Kreis. Selbst die wunderbare Eva Pelagia ließ ihren Herrn Albert vor sich hinbrutteln und – bröseln. Dann kann keiner helfen und morgen – nach der Premiere – ist es dann auch vorbei. Und wie Archibald so an die Frau seines Chefs dachte, merkte er, daß es vollkommen blödsinnig gewesen war, sich neu zu verlieben. Er war es schön längst. Wer sich so um ein abbes Bein kümmern kann! Und um Heidelbeermarmelade! Und den Lütten Stan hat sie auch in die Höhle mitgebracht! Also! Aber weil das Verliebtsein an und für sich ein kostbarer Zustand ist, ließ er sein Herz noch ein paar Minuten die sinnlose Schwere genießen und seine Bärenaugen saugten sich an diesem herrlichen Antlitz fest.

Und dann füllte sich das einsame Zimmer der schimpfenden Frau. Stimmengewirr. Gelache. Umarmungen. Ein Fieber köchelte vor und hinter den Kulissen. Lampen an und aus. Gerenne. Geschenke. Die Aufrechtgeher umarmten sich und spuckten sich gegenseitig auf den Rücken und riefen immer wieder: „TEUTEUTEU!“ Was das jetzt wieder soll? Die Luft wurde etwas dick und stickig und man starrte gebannt auf den schwarzen Kasten und das falsche Fenster im Zimmer ohne Fenster. Hinter den Wänden des Zimmers wurde die Luft elektrisch. Der Mann mit den angeklebten Haaren wischte noch mal den Boden des Zimmers, obwohl der schon total sauber war. Warum? Ernst Albert packte seinen Bären. „Komm, Archibald, wir hauen ab!“ „Wohin?“ „Das Meer will Dich sehen.“ „Auweia! So kurz vor dem Winterschlaf?“ „Und es gibt Sprotten ohne Ende!“ „Nein?“ „Und ob!“ „Dann mann tau und Leinen los, Käptn!“ „Ahoi!“

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DER MANN MIT DEN ANGEKLEBTEN HAAREN PASST AUF DIE ALTE FRAU AUF

Freitag, 22. Oktober 2010 12:48

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Dann war Pause im Musentempel. Archibald guckte aus dem Tor heraus, auf das er bis gestern immer nur drauf geschaut hatte. Ein wenig stolz war er schon. In einem richtigen, kleinen Musentempel unbehelligt sitzen zu dürfen, umsonst auch noch und in die draußige Welt zu blicken! Ein Musentempelbär! Gibt es nicht so oft. Ganz vorsichtig formten Archibalds Lippen das Wort „Alleinstellungsmerkmal“, um es im selben Moment wieder zu verwerfen. Wieder so ein Aufrechtgeherschmonzes. Das einzig Alleinige an ihm war, daß er bemerkte, daß er im Moment tatsächlich allein in diesem Raum mit dem falschen Fenster war. Die schimpfende Frau und der Mann vom schwarzen Kasten rauchten und der Rest tratschte und rödelte hinter den Kulissen herum. Der schwarze Kasten, aus dem die Musik kam, der interessierte den Bären. Und da saß er nun auf diesen beweglichen weißen und schwarzen Stäben. Die Stäbe gaben unter seinem Gewicht nach und Musik quoll aus dem Kasten. Etwas unorganisiert, etwas schräg, aber – Pöter hoch, Pöter runter – durchaus rhythmisch. Der Arsch eines Bären ist nun mal kein Artur Rubinstein.

‚Marlene’! Das stand auf dem großen Buch, welches anstelle von Noten auf dem schwarzen Kasten mit dem Namen Bechstein stand. Vorsichtig schlug Archibald das schwere Buch auf und war im selben Moment versunken. Versunken im aufregenden, turbulenten, tragischen, kämpferischen und wilden Leben dieser Frau, die wohl Marlene hieß und von der das Buch erzählte. Und Fotos sah er. Fotos ohne Ende. Fotos aus einer Zeit, als die Welt der Aufrechtgeher anscheinend noch schwarz-weiß war. Und im Zentrum all der Bilder immer diese strahlende Frau, und die Männer standen um sie rum und umschwirrten sie. „Wie Motten eine Glühbirne!“ Das schoß dem Bären durch den Kopf. Diese Frau gefiel ihm. Sein Bärenherz pochte schneller als gewöhnlich, denn für alle Arten von ganz besonderer Schönheit, sind Bären ganz besonders empfänglich. Sei es jetzt ein schöner Lachs, fallende Blätter, ein glitzender Fluß im Sommerlicht oder eine Frau mit solchen Augen. Mit Augen, die die Kameras, welche sie zu Tode fotographiert hatten, aufzufressen schienen. Und ihm fiel auf, daß die alte schimpfende Frau mit dem rollenden Gestell der Frau aus dem Buch in manchen Momenten sehr, sehr ähnlich sah. Und das falsche Fenster? Und der Stuhl mit den zwei großen Rädern rechts und links? Was hatte das alles zu bedeuten?

Die Aufrechtgeher und auch Herr Ernst Albert hatten ihre Pause beendet und jetzt sollte gesungen werden. Archibald räumte seinen Platz. Der blonde Mann mit den gelb-weißen Schuhen hatte sich inzwischen die Haare mit irgendeiner Paste an seinen Kopf geklebt. Er sah ganz anders aus. Er setzte sich an den schwarzen Kasten und holte – im Gegensatz zu Archibalds Pöter – richtig schöne Musik aus den weißen und schwarzen Holzstäben. Die Frau sang. Und egal was und wie sie sang, der Mann mit den angeklebten Haaren paßte immer auf, daß die Musik an dem, was die Frau sang dran blieb und das sich alles wunderbar zusammenfügte, im Ohr und im Herzen des zuhörenden Bären und auch der Anderen. Und dann machten sie zusammen ein Lied, wo der Bär nur die Hälfte verstand, weil die Frau in fremden Zungen sang. Denn auch wenn Archibald massenhaft Verwandte in Nordwyoming oder Kamschatka hat, des Englischen oder des Russischen ist er nicht mächtig. Und in Paris gibt es Bären bestenfalls im Jardin zoologique und an seine eingesperrten Genossen und Knuts möchte er gar nicht erinnert werden. Aber schön war dieses Lied trotzdem. Aber voller Schmerz. Und so wehmütig. Und für eine gewisse Wehmut ist ein Bär, der sich innerlich auf den bevorstehenden Winterschlaf vorbereitet, durchaus anfällig. Archibald setzte sich neben Ernst Albert und fragte, ob er ihm mal – nur ganz kurz – ein Tempotaschentuch ausleihen könnte.

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Donnerstag, 21. Oktober 2010 16:47

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Und weil Archibald Mahler den Alten von Bergedorf schätzen gelernt hatte, war er heute recht traurig. Die Frau des Alten ist gestern gestorben. Wenn alle Aufrechtgeher so tapfer und gerade heraus wären wie diese Frau, dann müßte sich Archibald auch nicht so oft über die Aufrechtgeher aufregen. Das dachte er. Und er dachte daran, was die alte Frau in der Musenhöhle mit dem Rollwagen gestern gesagt hatte. Daß da oben sowieso keine Engel rumschwirren würden, da dran zu glauben wäre albern, und dann könnte man sie auch in einen Müllbeutel stecken, wenn sie tot sei. Weil vorbei vorbei ist. Das Sensibelchen in Archibald zuckte da zwar etwas, aber das stimmt dann wohl und dann ist es auch tröstlich. Für den, der gegangen ist. Vorbei ist für immer vorbei. Für den, der bleiben muß oder will, ist es etwas schwieriger. Und so hoffte der Bär auch, daß die Nachricht vom Tode seiner Frau den Alten von Bergedorf nicht mitnimmt. Wohin auch immer. Das dachte der Bär heute auch noch. Und daß,  jetzt wo überall die alten Fotos von ihr zu sehen sind, diese Frau Loki Schmidt ein beeindruckend lebendiges Gesicht hatte. Ein schönes Gesicht! Ja!

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EINE ALTE FRAU SCHIMPFT, SINGT LIEDER UND DIE GRÜNE LAMPE IST TOLL

Donnerstag, 21. Oktober 2010 13:20

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Als wirklichen Profi im Musengewerbe würde sich Archibald Mahler, Bär der heute mal die Strassenseite gewechselt hatte, nicht bezeichnen. Aber etwas Erfahrung in der Darstellerei und anderen Musentempelaufgaben hatte er doch schon gesammelt, als er diesen Sommer zusammen mit Herrn von Lippstadt-Budnikowski (seit neuestem Mister Holtby genannt) unten am Lausebacher See die Sommerseespiele auf die wackligen Bretter gestellt hatte. Nach der Premiere jedoch war er sich recht sicher, daß es für einen Bären, der so gestrickt war wie er und dessen Lieblingsbeschäftigung das aus dem Fenster schauen und das über die Welt nachdenken ist, nicht zu vergessen der regelmäßige und konzentrierte Verzehr von Thunfischpizza, Heidelbeermarmelade und Honigkuchen, nur bedingt ratsam ist, in der doch recht hektischen und nervenaufreibenden Theaterwelt sein Glück zu suchen. Doch mit einem gewissen Abstand und der rosaroten Brille der verzückten Rückschau auf der empfindlichen Bärennase? Na ja, vielleicht doch.

Er hatte von seinem Fensterplatz im Hause gegenüber schon öfters mal interessiert auf dieses große Eisentor auf der anderen Strassenseite geblickt. Manchmal öffnete sich das Tor, rauchende Aufrechtgeher standen davor, seltsame Möbelstücke würden rein und raus getragen, gedämpftes, manchmal buntes Licht drang aus dem großen Raum hinter dem Tor und das am hellichten Tage. „Die sperren sich selber in einen fensterlosen Raum, die Zweibeiner und haben auch noch Spaß dabei! Seltsam!“ Gut, um einen ordentlichen Winterschlaf hinzulegen, ist das schon vernünftig sich eine fensterlose, dunkle Höhle zu suchen. Aber einfach so und sogar, wenn die Sonne scheint? Ganz schön dämlich. Nichtsdestotrotz, wunderfitzig wie der Bär nun mal war, das würde er doch gerne wissen, was hinter diesen Türen vor sich ging. Manchmal vernahm er leise Musik, Pistolenschüße, gerne auch mal wildes Gefluche und viel und gerne gelacht wurde in der Finsternis auf der anderen Seite seiner Straße offensichtlich auch. Und nun stand auch noch sein Herr und Meister, der ehrenwerte Ernst Albert seit ein paar Wochen fast jeden Tag morgens wie abends vor diesem Tor, um dann regelmäßig in der Zauberhöhle zu verschwinden. Und spät abends kam er heim und summte ein Lied. Jeden Tag ein anderes.

Jetzt also saß Archibald in der Höhle, ein großes Fenster, das gar kein Fenster war, aber wie ein Fenster aussah, leuchtete in bunten Farben, in Farben, die es draußen vor der Türe und hinter richtigen Fenstern gar nicht gibt, aber trotzdem waren es schöne Farben und der Bär guckte gerne hin, fragte sich aber trotzdem, warum die Aufrechtgeher nicht einfach einen großen Hammer nähmen und ein richtiges Fenster in die Wände dieser großen Höhle hackten. Dann müßten auch diese großen Lampen nicht immer brennen. Doch bevor er diesem Gedanken weiter nachgehen konnte – Oh diese hektischen Aufrechtgeher! – kam eine ältere Frau auf die Bühne und hielt sich an einem Eisenteil mit Rädern fest, wohl damit sie nicht umfällt, und schimpfte. Und sie sah aus, als ob sie nicht ganz gesund sei, und Archibald dachte, die wäre auch besser im Bett geblieben und hätte sich auskuriert, anstatt in einer Höhle mit falschem Fenster rumzuschimpfen. Und dann stellte sie das Rollding in die Ecke und sang ein Lied. Genau das Lied, das Ernst Albert, gestern abend als er heim kam, vor sich hergesungen hatte. Nur sang die Frau, die jetzt plötzlich ganz gesund war, das Lied viel besser! Und auf dem Tisch, wo sie saß, brannte diese Lampe. „Die will ich haben!“ Die Lampe, nicht die Frau. Weil, vor der hatte Archibald nämlich etwas Schiß, genau so wie der blonde Mann mit den gelb-weißen Schuhen, der ab und zu Musik machte, an dem riesigen schwarzen Kasten saß, wo die Musik rauskam und dort sitzend von der Frau ausgeschimpft wurde, trotzdem aber immer freundlich blieb und keine falschen Noten spielte. „Komischer Vogel!“ Das dachte der Bär.

Thema: Musentempel | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth