Beiträge vom 15. März 2011

VOM GEDANKENSCHRANK ÜBER DEN STEINBRUCH ZUR WUNDERTASSE

Dienstag, 15. März 2011 17:09

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„Ich öffne den Schrank. Ich sehe Regalböden. Die Abstände zwischen den Regalböden differieren. Sie suggerieren Möglichkeiten. Hier dicke Pullover, dort Unterwäsche, da klare Gedanken, rechts davon zerknüllte Socken, darüber Unerledigtes, Angedachtes. Auch das Unerledigte scheint ordentlich gefaltet. Es riecht nach: Lavendel, Oleander, Jasmin. Oder nach Sekundärliteratur und Halbwissen. Wie das geballte Fäustchen wuchtig auf die Sperrholzplatte niederrumpelt! Das hätten wir auch noch bemerkt! Fachlaie. Expertenidiot. Doktormami schaukelt den Schlaubär in den Schlaf. Am nächsten Morgen wacht man auf und hat sich ein Loch ins Hirn gedacht. Und weil die Welt kein Vakuum duldet – außer in den Aufrechtgeherlaboren – kommt was nach. Erst wird die Kohle aus der Erde gekratzt, löst sich in Rauch auf, man hatte warme Füße für die eine Nacht oder die andere und dann brechen die Steine an den Rändern. Von unten her drückt das Wasser. Vom Grunde her drückt gründlich Grundwasser ohne Grund. Was leer gemacht wurde, füllt sich schneller als es dem Zweibeiner lieb. Als hätte er vergessen, daß er ohne einen Kreislauf umkippt. Wie der Handwerker gerne bemerkt: Nach fest kommt lose! Linear hätte er es gerne, der Aufrechtgeher! Immer nach vorne! Pöterkratzen einsfuffzig, der Herr! Die Nacht heißt Nacht, weil sie dunkel war. Sieht noch jemand einen Stern in den Urbanwüsten? Das hat Mister Edison gewiß nicht so gewollt. Die Rückkehr der Kerzenzieher ist nicht mehr fern. Kreislauf! Am Rande meines Gedankensteinbruches steht der Gedankenschrank des letzten Jahres und rutscht und rutscht und rutscht so langsam vor sich hin. Das Leben eines Bären ist eine Wundertasse!“

Was man in den Wäldern so alles denkt! Archibald Mahler ist der alten Trasse der Kanonenbahn gefolgt, die unterhalb seiner Grillhütte verläuft. Er erreicht eine Anhöhe. Der Wind pfeift. Weiterhin milde. Das ist gut so. Zu seinen Tatzen die Lahnaue. Direkt vor seiner Nase: ein Loch. Ein wildes Loch. Ein – Darf man das denken? – romantisches Loch. Einen Augenblick lang hat er das Gefühl, dies sei der Ort, wo Old Shatterhand einst seinem Blutsbruder Winnetou das Versprechen gab ihn in Santa Fe und so weiter. Aber rein genetisch bedingt hat Archibald Mahler, Bär über Dorlar, kein wirklich entspanntes Verhältnis zu Rothäuten aller Art. Egal. Später davon. Das Wasser da unten lockt. Der Bär hat Durst. Und dort blühen Weidenkätzchen. “Folge dem Rumpeln des Magens!” Aha! “Kratz Deinen Sterz an der Biegung des Flußes!”

Das Jahr des Herrn Mahler ist noch ein junges Jahr. Es beginnt andererseits recht rasant. Archibald weiß noch nicht so recht, was er davon halten soll. Letztes Jahr hat er den Gedankenschrank erfunden. Jetzt sitzt er am Rande eines Steinbruches. Zweitausendelf scheint sich zur Wundertasse auszuwachsen. Die Welt tanzt eine Walpurgisnacht.

Thema: Thoughts From The Woods | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth

LET ME BRING YOU THOUGHTS FROM THE WOODS

Dienstag, 15. März 2011 14:17

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“Welche Welt wird das werden in diesem Jahr? Welches Jahr wird das werden in dieser Welt? Welcher Welt? Der Welt, die mir vor die Füße fällt? Die Welt hinter der Welt, die mir durch die Hirne jagt, von der ich nichts weiß, nur von ihr vernehme, gefiltert, gekämmt, gebürstet, mit Angst und Trugschluß vollgesogen? Die Welt, die in meine Augen eindringt und Spuren hinterläßt, ungefiltert, ungebürstet, ungekämmt? Ameisengedanken. Gewimmel. Himmel. Die Nasenwelt? Was ich rieche, weit weg, weiter als weg? Vibrationen, Ahnungen, Behauptungen? Blöde und schlau und wieder so blöde, daß man einschlafen mag, einschlafen beim Blick in den Spiegel, ob dieser entsetzlichen Langeweile, die einen befallen kann, wenn man feststellt, daß man schon wieder derselbe Bär ist, der Gesternbär, der Schonwiederbär? Oder jubeln, bei der Feststellung, daß der gute alte, wiedererwachte, milde Frühlingswind sanft über den noch müden Nacken des Immernochbären streichelt. Den Schonwiederbären umdeuten? In einen Immernochschönbären? Wird die Welt mir zur Herdplatte? Eine Minute mit dem nackten Pöter auf der Herdplatte Welt ist verflucht lang. Wird die Welt mir zum lüsternen Bärenweib? Eine Minute im Schoße einer Bärengöttin? Schweig, Bär. Und denke nach. Wen hast Du soeben zitierend geehrt? Woher soll ich das wissen, wenn der Gedanke mich durchfährt wie ein ungebremster Zug den Tunnel? Duze ich mich, bin ich mir ein Sie? Und wenn die Welt zurückschaut auf mich? Schließe ich den Fensterladen? Bleibe ich im Rahmen? Wo bleiben die Gedanken, die kamen? Wird sich gar durchs Jahr gereimt? Was ist der Plan, der in Dir keimt? Läßt, was der Bär bedenkt im Wald, die meisten Aufrechtgeher kalt? Oder gibt es wackre Seelen, die sich mit der Lektüre quälen? Oh! Ist das jetzt ein Milan oder ein Falke, der über mich hinweg fliegt? Ich stelle fest, ich habe vergessen mitzunehmen: ein Vogelbestimmungsbuch, ein Pflanzenbestimmungsbuch und einen Umgebungsplan der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen. Und vielleicht sollte jetzt mein Hirn einfach mal die Schnauze halten!“

Archibald Mahler ist mit der Linie 24 schwarzgefahren, stadtauswärts. Keiner hat ihn erwischt. Manchmal hat eine etwas geringere Körpergröße Vorteile. Hinter Kinzenbach ist er ausgestiegen. Und einfach losmarschiert. Da war das Schild: Zur Grillhütte! Nicht daß Bären große Grillgutfanatiker wären. Aas schmeckt auch roh, blutig, sogar leicht angegoren. Aber ein hungriges Auge liest das Wort „Grill“ einfach gerne und folgt dem Hinweisschild! Gerade wenn der Umgebungsplan nicht im Rucksack. Und falls es regnet? Ein bißchen Schutz ist immer gut. Und wer rausschauen will, muß erstmal irgendwo rein. Und Pöter auf Fenstersims heißt: Denken. Aber daß sein Hirn sich gleich wieder in einen solchen Drehzahlbereich hochschrauben muß. Der Bär im Umland blickt um sich ins Land. Keine Aufrechtgeher. Keine Hunde. Rechts auf der Anhöhe grasen junge Gallowayrinder. Schwarzfellig. Es riecht nach Gülle. Im Märzen der Bauer die Felder bespritzt. Und der Wind und seine Milde. „Das ist ein Genuß!“

Das hat der Bär gerade sehr laut ausgerufen. Er erschrickt. Vor sich selbst. Wer die Einsamkeit sucht, sollte sich in Sachen Lautstärke runterpegeln. Schauen ist still. Erst die Stille macht schauen möglich. Man ist ja kein Plapperbär. Aber so ein neues Jahr ist wiederum verdammt aufregend. Es riecht. Und ist schön. Und die halbe Welt fliegt in die Luft. Der Schmerz und der Zwiespalt. Ohnmacht. Die Machtlosigkeit desjenigen, der beschlossen hat, weiterzuleben. Was soll er auch sonst tun? Gedanken aus dem Wald.

Thema: Thoughts From The Woods | Kommentare deaktiviert | Autor: Christian Lugerth