Beiträge vom März, 2011

WER SICH NICHT IN GEFAHR BEGIBT!

Donnerstag, 17. März 2011 8:49

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Aufrechtgeher wollen herausgefunden haben, daß, wer nur wenig oder gar nicht geschlafen hat, bereit ist höhere Risiken einzugehen, daß Schlafentzug also den Leichtsinn befördert. Dies hieße nun im Umkehrschluß, daß wer zum Beispiel einen viermonatigen Winterschlaf hinter sich gebracht hat, nach dem Erwachen die anstehenden Aufgaben mit ganz besonderer Vorsicht oder fast schon Ängstlichkeit angeht. Pustekuchen! Archibald Mahler, Bär am Rande eines stillgelegten Steinbruches über Dorlar, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Hier ist offensichtlich wieder jemand einer der Lieblingsbeschäftigungen der Aufrechtgeher nachgekommen: Man hat eine Verbotstafel aufgestellt. Man hat eine Verbotstafel aufgestellt und sie mit einem der Lieblingswörter der Aufrechtgeher bestückt: LEBENSGEFAHR. Gut, da unten ist ein kleiner Krater, mit Wasser vollgelaufen, kaltem Wasser und das Ufer ist steil. Und ein kleines Bärenhirn denkt dann: „Nicht anfassen, nur gucken. Man muß ja nicht gleich besoffen in den Teich hüpfen und sich zu nahe an den Kraterrand stellen. Oder?“ Diese Denkleistung scheint aber ein durchschnittliches Zweibeinerhirn zu überfordern, deshalb: Verbotstafel. Archibald aber denkt nach.

„Und warum weisen die Aufrechtgeher eigentlich nicht auf die wirklichen Gefahren hin. Hängen sich zum Beispiel Schilder um den Hals, auf denen zum Beispiel steht: ‚Achtung, ich bin ein sehr dummer Mensch, der nicht begreifen will, daß es vollkommen sinnlos ist mit einer Blechmilbe mit mehr als hundertdreißig Kilometer durch die Lande zu rasen, deshalb brauche ich alle hundert Meter eine Verbotstafel, die mich drauf hinweist, ich möge auf die Bremse treten. So find ich dann das Gaspedal leichter.’ Oder: ‘Hallo, ich bin ein Konsument. Sie können mir jeden Dreck andrehen. Aber schreiben Sie bitte drauf: Kein Atomstrom drinnen.’ Oder: ‚Guten Morgen. Gehen Sie davon aus, daß, wenn ich Sie freundlich angrinse und mit einem Schönen Tag noch verabschiede, ich Sie für eines der größten Arschlöcher auf Gottes Erdboden halte! Danke, daß Sie auf mich reingefallen sind.’ Oder: ‚Servus, ich bin ein sogenannter Kompetenzdarsteller und mache eigentlich Werbung für Haargel.’ Oder: ‚Mein Geländewagenpanzer frißt zwar zwanzig Liter auf hundert Kilometer, aber ich kaufe nur im Reformhaus ein und erziehe meine Kinder rein biologisch.’ Oder: ‚Habe die Ehre. Arbeite lediglich den göttlichen Auftrag ab und mache mir die Erde untertan.’ Oder einfach nur: ‚Hirn im Streik.’ Ja, da haben die Herren und Damen Aufrechtgeher doch noch einiges zu evaluieren und zu optimieren und zu positionieren und zu kümmereien, aber ich will mir das jetzt mal in die Haare, die ich nicht habe, schmieren, weil ich nämlich einen Riesenhunger haben.“

Da unten am Rande des Gewässers Bäume. An den Bäumen Äste. An den Ästen Weidenkätzchen. Ein Genuß und der perfekte Einstieg in ein kulinarisches neues Jahr. Archibald macht sich an den Abstieg. Der Weg ist steinig und steil. Beinahe wäre er ausgerutscht. Wer sich nicht in Gefahr. Denkt er. Aber ist nicht gerade das Denken die Gefahr? Selbstständiges Denken? Ein Denken außerhalb der Laufräder, die die Zweibeiner sich so gerne gegenseitig in ihre Käfige stellen, frei wie Hamster? Jeder zweite Hamster stirbt an Herzschlag. Aber sein Aktivitätswahn reißt wenigstens nicht andere Hamster mit in den Sarg. „Ob das nun ein tröstlicher Gedanke war?“ Jetzt rutscht der Bär aus und es haut ihn schmerzhaft auf den Pöter. „Potzrembel, die Waldfee aber auch. Erst eine Sache zu Ende bringen. Dann weiterdenken.“ Konzentriert und gedankenfrei setzt der Bär eine Tatze vor die andere und erreicht den Grund des Steinbruches. Der Pöter schmerzt. Doch der Hunger wird gestillt. Hört Archibald in der Ferne ein Martinshorn?

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VOM GEDANKENSCHRANK ÜBER DEN STEINBRUCH ZUR WUNDERTASSE

Dienstag, 15. März 2011 17:09

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„Ich öffne den Schrank. Ich sehe Regalböden. Die Abstände zwischen den Regalböden differieren. Sie suggerieren Möglichkeiten. Hier dicke Pullover, dort Unterwäsche, da klare Gedanken, rechts davon zerknüllte Socken, darüber Unerledigtes, Angedachtes. Auch das Unerledigte scheint ordentlich gefaltet. Es riecht nach: Lavendel, Oleander, Jasmin. Oder nach Sekundärliteratur und Halbwissen. Wie das geballte Fäustchen wuchtig auf die Sperrholzplatte niederrumpelt! Das hätten wir auch noch bemerkt! Fachlaie. Expertenidiot. Doktormami schaukelt den Schlaubär in den Schlaf. Am nächsten Morgen wacht man auf und hat sich ein Loch ins Hirn gedacht. Und weil die Welt kein Vakuum duldet – außer in den Aufrechtgeherlaboren – kommt was nach. Erst wird die Kohle aus der Erde gekratzt, löst sich in Rauch auf, man hatte warme Füße für die eine Nacht oder die andere und dann brechen die Steine an den Rändern. Von unten her drückt das Wasser. Vom Grunde her drückt gründlich Grundwasser ohne Grund. Was leer gemacht wurde, füllt sich schneller als es dem Zweibeiner lieb. Als hätte er vergessen, daß er ohne einen Kreislauf umkippt. Wie der Handwerker gerne bemerkt: Nach fest kommt lose! Linear hätte er es gerne, der Aufrechtgeher! Immer nach vorne! Pöterkratzen einsfuffzig, der Herr! Die Nacht heißt Nacht, weil sie dunkel war. Sieht noch jemand einen Stern in den Urbanwüsten? Das hat Mister Edison gewiß nicht so gewollt. Die Rückkehr der Kerzenzieher ist nicht mehr fern. Kreislauf! Am Rande meines Gedankensteinbruches steht der Gedankenschrank des letzten Jahres und rutscht und rutscht und rutscht so langsam vor sich hin. Das Leben eines Bären ist eine Wundertasse!“

Was man in den Wäldern so alles denkt! Archibald Mahler ist der alten Trasse der Kanonenbahn gefolgt, die unterhalb seiner Grillhütte verläuft. Er erreicht eine Anhöhe. Der Wind pfeift. Weiterhin milde. Das ist gut so. Zu seinen Tatzen die Lahnaue. Direkt vor seiner Nase: ein Loch. Ein wildes Loch. Ein – Darf man das denken? – romantisches Loch. Einen Augenblick lang hat er das Gefühl, dies sei der Ort, wo Old Shatterhand einst seinem Blutsbruder Winnetou das Versprechen gab ihn in Santa Fe und so weiter. Aber rein genetisch bedingt hat Archibald Mahler, Bär über Dorlar, kein wirklich entspanntes Verhältnis zu Rothäuten aller Art. Egal. Später davon. Das Wasser da unten lockt. Der Bär hat Durst. Und dort blühen Weidenkätzchen. “Folge dem Rumpeln des Magens!” Aha! “Kratz Deinen Sterz an der Biegung des Flußes!”

Das Jahr des Herrn Mahler ist noch ein junges Jahr. Es beginnt andererseits recht rasant. Archibald weiß noch nicht so recht, was er davon halten soll. Letztes Jahr hat er den Gedankenschrank erfunden. Jetzt sitzt er am Rande eines Steinbruches. Zweitausendelf scheint sich zur Wundertasse auszuwachsen. Die Welt tanzt eine Walpurgisnacht.

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LET ME BRING YOU THOUGHTS FROM THE WOODS

Dienstag, 15. März 2011 14:17

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“Welche Welt wird das werden in diesem Jahr? Welches Jahr wird das werden in dieser Welt? Welcher Welt? Der Welt, die mir vor die Füße fällt? Die Welt hinter der Welt, die mir durch die Hirne jagt, von der ich nichts weiß, nur von ihr vernehme, gefiltert, gekämmt, gebürstet, mit Angst und Trugschluß vollgesogen? Die Welt, die in meine Augen eindringt und Spuren hinterläßt, ungefiltert, ungebürstet, ungekämmt? Ameisengedanken. Gewimmel. Himmel. Die Nasenwelt? Was ich rieche, weit weg, weiter als weg? Vibrationen, Ahnungen, Behauptungen? Blöde und schlau und wieder so blöde, daß man einschlafen mag, einschlafen beim Blick in den Spiegel, ob dieser entsetzlichen Langeweile, die einen befallen kann, wenn man feststellt, daß man schon wieder derselbe Bär ist, der Gesternbär, der Schonwiederbär? Oder jubeln, bei der Feststellung, daß der gute alte, wiedererwachte, milde Frühlingswind sanft über den noch müden Nacken des Immernochbären streichelt. Den Schonwiederbären umdeuten? In einen Immernochschönbären? Wird die Welt mir zur Herdplatte? Eine Minute mit dem nackten Pöter auf der Herdplatte Welt ist verflucht lang. Wird die Welt mir zum lüsternen Bärenweib? Eine Minute im Schoße einer Bärengöttin? Schweig, Bär. Und denke nach. Wen hast Du soeben zitierend geehrt? Woher soll ich das wissen, wenn der Gedanke mich durchfährt wie ein ungebremster Zug den Tunnel? Duze ich mich, bin ich mir ein Sie? Und wenn die Welt zurückschaut auf mich? Schließe ich den Fensterladen? Bleibe ich im Rahmen? Wo bleiben die Gedanken, die kamen? Wird sich gar durchs Jahr gereimt? Was ist der Plan, der in Dir keimt? Läßt, was der Bär bedenkt im Wald, die meisten Aufrechtgeher kalt? Oder gibt es wackre Seelen, die sich mit der Lektüre quälen? Oh! Ist das jetzt ein Milan oder ein Falke, der über mich hinweg fliegt? Ich stelle fest, ich habe vergessen mitzunehmen: ein Vogelbestimmungsbuch, ein Pflanzenbestimmungsbuch und einen Umgebungsplan der Kleinen Häßlichen Stadt in Mittelhessen. Und vielleicht sollte jetzt mein Hirn einfach mal die Schnauze halten!“

Archibald Mahler ist mit der Linie 24 schwarzgefahren, stadtauswärts. Keiner hat ihn erwischt. Manchmal hat eine etwas geringere Körpergröße Vorteile. Hinter Kinzenbach ist er ausgestiegen. Und einfach losmarschiert. Da war das Schild: Zur Grillhütte! Nicht daß Bären große Grillgutfanatiker wären. Aas schmeckt auch roh, blutig, sogar leicht angegoren. Aber ein hungriges Auge liest das Wort „Grill“ einfach gerne und folgt dem Hinweisschild! Gerade wenn der Umgebungsplan nicht im Rucksack. Und falls es regnet? Ein bißchen Schutz ist immer gut. Und wer rausschauen will, muß erstmal irgendwo rein. Und Pöter auf Fenstersims heißt: Denken. Aber daß sein Hirn sich gleich wieder in einen solchen Drehzahlbereich hochschrauben muß. Der Bär im Umland blickt um sich ins Land. Keine Aufrechtgeher. Keine Hunde. Rechts auf der Anhöhe grasen junge Gallowayrinder. Schwarzfellig. Es riecht nach Gülle. Im Märzen der Bauer die Felder bespritzt. Und der Wind und seine Milde. „Das ist ein Genuß!“

Das hat der Bär gerade sehr laut ausgerufen. Er erschrickt. Vor sich selbst. Wer die Einsamkeit sucht, sollte sich in Sachen Lautstärke runterpegeln. Schauen ist still. Erst die Stille macht schauen möglich. Man ist ja kein Plapperbär. Aber so ein neues Jahr ist wiederum verdammt aufregend. Es riecht. Und ist schön. Und die halbe Welt fliegt in die Luft. Der Schmerz und der Zwiespalt. Ohnmacht. Die Machtlosigkeit desjenigen, der beschlossen hat, weiterzuleben. Was soll er auch sonst tun? Gedanken aus dem Wald.

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AUCH EINE SONNE DER ERINNERUNG WÄRMT UND DANN AUFBRUCH

Montag, 14. März 2011 15:07

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Manchmal nehmen sie es aber auch sehr genau, die Herren und Damen Aufrechtgeher. Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz unter Plagiatsverdacht, sieht sich also gezwungen das ein oder andere richtig zu stellen:

Ja, der Deutsche Wetterdienst hat vollkommen recht, wenn er den Bären darauf hinweist, daß gestern die Sonne über Mittelhessen nicht schien und wenn, dann lediglich zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr kurz durch die Wolken lugte. Sollte zu dieser Zeit der Bär immer noch auf der Lehne des roten Sofas gesessen haben, könnte ihn niemals ein Sonnenstrahl gewärmt haben, da das Fenster des Wohnzimmers der Höhle eher gen Südosten weist. Herr Archibald Mahler gesteht hiermit ein, sich gestern vorrangig an der Sonne der Erinnerung gewärmt zu haben.

Ja, das Foto, welches den gestrigen Beitrag headerte, war schon mal auf dieser Seite veröffentlicht worden und zwar ganz genau vor einem Jahr. Allerdings ein anderer Bildausschnitt und ein anderes Format und auch thematisch in einem anderen Zusammenhang. Der Bär dankt der INFO (Internationale der Netzforscher) für den Hinweis. Außerdem möchte der Bär – um weiteren Mahnungen Vorschub zu leisten – darauf hinweisen, daß obiges Foto auch aus dem Jahre 2010 stammt (Aufnahmezeitpunkt 3. 3. 2010, 11:13h).  Allerdings ist er – natürlich in enger Absprache mit dem Deutschen Wetterdienst – berechtigt, zu bemerken, daß heute in Mittelhessen die Sonne scheint, insbesondere auch zwischen elf und zwölf Uhr vormittags und somit Foto, Sonne und Text zumindest wieder in einem gewissen Sinnzusammenhang stehen.

Nein, der Bär denkt nicht an Rücktritt, sondern lediglich an Aufbruch. Er möchte dem Mann mit den angeklebten Haaren, dessen Rücktrittskonzert er vorgestern mit Frau Eva Pelagia im Bilderapparat gesehen hatte, lediglich fragen, warum er sich nicht dieses Lied für den Nachhauseweg gewünscht hat. Aber wahrscheinlich sind da zu viele Noten drin, die sich die Blaskapelle nicht merken kann. Oder diese ekelhaften Reichsparteitagsfackeln brennen nicht so lange. Oder selbst der größte Schmierenkomödiant schafft es nicht zehn Minuten lang Rührung zu spielen.

„Menno, diese Aufrechtgeher! Ganz schön anstrengend!“ Archibald kratzt sich am Pöter, wie er das nun mal gerne tat, tut und weiterhin tun wird. Ist er jetzt schon wach oder nicht? Um ihn herum samstägliches Leben. Eva Pelagia rauscht durch die Höhle und räumt. Sie bringt den Müll nach unten. Die Haustür steht offen. Archibald hadert. „Jetzt schon?“ Herr Ernst Albert röchelt hinter verschlossener Türe. Er liegt im Bett. Der Magen rumort. „Magen! Sehr gutes Stichwort!“ Es ist nun mal gute, alte Bärensitte nach dem Ende des Winterschlafes Magen und Darm einer grundsätzlichen Reinigung zu unterziehen. Ein Bär tut dies indem er in den ersten Wochen nach dem Erwachen eine Blätter – und Grasdiät hält. Also? Noch steht die Türe offen. Der Wald ruft. Eine Woche Zweibeiner reicht. Schritte im Treppenhaus. Schnell! Der Bär macht sich vom Acker.

(Nachsatz aus aktuellem bzw jetzt nicht mehr aktuellen Anlaß: Donnerstag ist natürlich nicht vorgestern und heute nicht samstägliches Treiben. Aber obiges sollte schon längst gesagt gewesen sein, doch der Netzbediener war zweieinhalb Tage außer Gefecht. Dig it!)

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ARCHIBALD M. UND DIE ENTLEHNUNGEN

Freitag, 11. März 2011 12:11

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„Von Kamelle befreit sind Tisch und Fell

Durch der Scheibe schlierig verstaubtes Glas,

Sieh, narrenleere Straßen. Zu Ende der Spaß.

Der alte Winter, nicht allzu schnell

Zog sich in rauhe Berge zurück

Und rumpelt dort ein letztes Drohen.

Ein Sofa ist des Bären Glück.

Auf roter Lehn, vor weißer Wand,

Die Nase von der Sonn geleckt

Wacht auf ein Geist und denkt sich was,

Ein neues Jahr hat er entdeckt.

Zufrieden jauchzt er, atmet ein:

Hier bin ich Bär, hier darf ichs sein!

Archibald Mahler hat sich aufs rote Sofa gesetzt. Wenn die Sonne scheint und der Baum vor dem Fenster noch nicht wieder vollständig beblattet ist, ist das hier ein kostenfreies Sonnenstudio. Zwischen elf und zwölf am Morgen. Genau das, was ein verpennter Denkbär braucht. Und was gibt es Schöneres als ein neues Jahr mit einem eigenständig handgedachten Poem zu begrüßen?

Ernst Albert stürmt in den Raum. „Geht das auch was dezenter?“, murmelt der Bär. Wieder wedelt Herr Albert mit einer Zeitung. Soll ihn das jetzt das ganze Jahr über begleiten, die wedelnde Printmedie? Archibald Mahler kräuselt die sonnenwarme Stirn. „Plagiate! Quellen! Fußnoten!“ Der Bär versteht kein Wort. „Der Bärenartikel von Mittwoch. Wer? Wo? Wann? Quellenangabe!“ Ernst Albert entdeckt das Jahresbegrüßungsgedicht seines kleinen Haus – und Höhlenreimers. Entsetzen. Hände schlagen über dem Haupt zusammen. Luft vibriert. „Man entlehnt! Man entlehnt dreist beim heiligen Geheimrat! Bei allen Musen dieses Erdenballes! Kaum erwacht, schon fremdgedacht!“ Reuig neigt der Bär das Haupt, jedoch sich keiner Schuld bewußt. Ernst Albert berichtet, was der Herr Mahler verschlafen. Die wundersame Geschichte von Ken und Barbie zu Guttenberg – Bismarck, welche so gerne König und Königin geworden wären, aber zu eitel waren, um so klug zu sein, sich nicht beim Bescheißen erwischen zu lassen. Von Kohorten von zukünftigen Untertanen und Speicheltrinkern, die ihre Steuerhinterziehereien, Rechtsüberholereien und sonstigen Linkereien durch den Herrn Baron und seine spendenhinterziehende Begleitpuppe im Lichte allzumenschlichem Märtyrertums gespiegelt sehen wollen. Und von schuhschwenkenden Intelligenzlern, die ihre eigenen Doktorarbeiten vielleicht doch noch einmal durchsehen sollten. Könnte ja sein?

Was das jetzt bedeute für einen Bär auf einem roten Sofa, möchte Archibald Mahler, momentan perplexer Bär vom Brandplatz, von seinem Chef und Aufrechtgeher wissen. „Alle Entlehnungen angeben, kapiert!“ Und rauscht ab der Herr. In den Musentempel. „Fängt ja gut an, dieser Berg von Jahr!“ Aber da seine geistige Integrität ihm am Herzen liegt, vermerkt der Bär folgendes: Die Erkenntnisse des Aschermittwochs über den Winterschlaf sind hier entlehnt und was kursiv im Poeme oben, hat der ehrenwerte und hochgeschätzte Geheimrat gedichtet! Weia! George Harrison hilf!

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EIN ATEMZUG PRO MINUTE ENTLASTET DIE WELT

Mittwoch, 9. März 2011 14:50

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Am Aschermittwoch ist alles vorbei. So ein Quatsch aber auch! Archibald Mahler versucht – und das ist mühsam genug – zu erwachen und sein System wieder in Schwung zu bringen. Er betrachtet sich nicht als Anfänger, Wiedereinsteiger oder Neustarter, nein, er macht lediglich weiter. Er war nie weg! Er hat geschlafen. Und „alles vorbei“ ist Zweibeinerkokolores. Spurenelemente von allem, was da mal geschah, machen das aus was man nennt: Meine Identität. Zumindest bei einem nachsinnenden Bären. Aber so weit war Archibald noch gar nicht. Mental und in Sachen Tiefenschärfe. Also sitzt er auf dem Küchentisch und weil er noch nicht die Kraft und Laune hat unter dem Kamellenberg hervorzukrauchen und auch keiner der werten Aufrechtgeher in seiner Höhle es für nötig gehalten hat ihn freizubuddeln, sitzt er eben da wo er sitzt und atmet ein und wieder aus. Pustekuchen!

Ernst Albert kommt von der Arbeit. Er schwingt eine Zeitung durch die Küchenluft. „Lausche Bär, man spricht von Dir.“ Und er liest dem Bären vor: „Seinen Stoffwechsel fährt der Schwarzbär im Winter auf ein Viertel der im Sommer üblichen Rate zurück. Erstaunlicherweise sinkt seine Körpertemperatur nur um fünf oder sechs Grad auf etwa 30 Grad Celsius. Daß ein Tier bei dieser vergleichsweise hohen Körpertemperatur monatelang überleben kann, obwohl sein Stoffwechsel nur minimal arbeitet, überraschte auch die Forscher. Hinzu kommt, daß der Bär nach dem Ende seines Winterschlafes bis zu drei Wochen braucht, bis er seinen Stoffwechsel wieder vollständig auf den Sommermodus hochgefahren hat. Sehr sparsam gehen die Bären im Winter auch mit ihrem Atem um: Lediglich ein oder zwei Mal pro Minute holen sie Luft. Nur während dieses Momentes haben die Tiere eine annähernd normale Herzschlagrate von 55. Doch nach einem Atemzug können bis zu 20 Sekunden vergehen, ehe das Bärenherz erneut schlägt. Im Durchschnitt kommen die Tiere so auf einen Puls von 14.“ Tja, sogar die überregionale Presse beschäftigt sich mit dem Archibald Mahler der letzten Monate. Welche Ehre!

Der Bär, noch zu müde um stolz zu sein, bittet Herrn Albert um die nochmalige Verlesung eines bestimmten Satzes.

„Welcher denn, mein Freund!“

„Der mit dem Sommermodus!“

„Gerne! Hier: Hinzu kommt, daß der Bär nach dem Ende seines Winterschlafes bis zu drei Wochen braucht, bis er seinen Stoffwechsel wieder vollständig auf den Sommermodus hochgefahren hat!

„Nimm Dir das zu Herzen, Chef!“

Selbstredend begreift Herr Ernst Albert den Wink seines Bären. Er hat ja selber in den nächsten Wochen ausreichend zu ackern, zu rödeln und zu sein. Da soll auch der Herr Bär sich seine Zeit nehmen. Und er liest dem andächtig lauschenden und atmenden Archibald Mahler, wieder öffentlich anwesender Bär vom Brandplatz, den restlichen Artikel vor. „Und während ein Mensch, der monatelang im Bett liegt, erheblich an Muskel- und Knochenmasse verliert, bleiben Bären von diesem Problem verschont. Unumstritten ist, daß sich Tiere aktiv auf den Winterschlaf einstellen. Die Details bleiben bisher jedoch unklar. Sicher spielt die Kombination von Tagesdauer und Außentemperatur eine Rolle – doch was genau läßt Bär oder Murmeltier im Winter einschlafen und Monate später aufwachen?“ Und irgendwo in den Tiefen seiner Synapsen verspürt Archibald schon wieder die Lust. Die Lust am Nachsinnen. Gähn! Was war da noch mit dem Atmen? Erst mal Energiesparen. Doppelgähn! Später denken, genauer denken. Archibald nickt ein.

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EIN BÄR VERMISST DAS MEER

Montag, 7. März 2011 23:51

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Ruhe war eingekehrt in der Höhle. Eva Pelagia war, wie jeden Morgen, früh aus dem Hause gegangen. Wenn der Turm der Stadtkirche läutet, ruft ihr Büro. Einige Stunden später hatte sich auch Ernst Albert auf den Weg gemacht. Am Abend sollte am hiesigen Musentempel für ihn ein neues Projekt beginnen. Wohlgemerkt am Abend des hilligen Rusemondaach, wie die Kölschen sagen. Heftige Verwünschungen ausstoßend, aber durchaus gutgelaunt, da ihm zur Zeit das Leben recht viel Spaß macht, polterte er das Treppenhaus hinunter und hielt einen Vortrag darüber, daß es wohl nur wenige gäbe, die das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden könnten und daran kranke der gesamte Erdball und was weiß der Teufel alles. „Mit wem redet der eigentlich gerade?“, dachte sich Archibald Mahler, der auf einem mittelhessischen Küchentisch unter karnevalistischem Wurfmaterial begraben saß und – gezwungenermaßen – gerade dabei war seinen Winterschlaf zu beenden. Doch was soll`s! Der Bär genießt die eingetretene Stille.

Der Blick eines Erwachenden richtet sich naturgemäß erst mal zurück. Entgegen aller Versprechungen der Werbung und entgegen all der Sprachhülsen von Motivationstrainern, Politikern und Kulturmanagern schaut man am Beginn eines neuen Vorhabens nicht schwungvoll in die aufgehende Sonne, sondern zuerst hirnverknotet und desorientiert nach hinten, um festzustellen, ob der Mond noch über einem steht, diese oder jene Nacht noch dunkelt und überhaupt. Dies tut auch und gerade ein Bär. Wo kam er her? Wohin hatten seine Augen geblickt, bevor sie sich für lange Wochen und Monate geschlossen hatten? Was klebte ihm noch am Fell? Und da riecht er es:  Spuren von Salzkristallen. (Wer sich letztes Jahr ab und zu mit des Bären besonderen Fähigkeiten auseinandergesetzt hat, weiß um die phänomenale Empfindlichkeit einer Bärennase! Wer nicht, klicke sich durch die Archive rechter Hand! Schönen Gruß vom Setzer!) Und was spürt er auf der Haut unter seinem Fell? Reste von Sand. Algenstücke. Woher? Warum? Langsam setzt sich ein Bild zusammen, doch bevor es vor seinem inneren Auge auf die Mattscheibe des erwachenden Bewußtseins geworfen wird, trifft der Stich das Bärenherz. Ein Bär vermißt das Meer.

Die Strandkörbe, die Fischbrötchen, die Schiffe und der Wind, der sein Fell mit Sand und Salz mariniert hatte. Und der Blick einmal um die Welt und wieder zurück. Das hatte er sehr gemocht, damals, bevor ihm die Augen zufielen. Dort hatte er eigentlich auch wieder aufwachen wollen. Der Blick hinaus auf kabbelnde Wasser. Er seufzt. Auch davon wird man etwas wacher. Sein Blick fällt auf eine der vielen, vielen Postkarten, die Ernst Albert von seinen Arbeitsausflügen nach Hause geschickt hatte. Archibald sieht darauf Schiffe, große Schiffe und ein klein wenig Meer. Das tröstet. Und das wiederum macht noch ein Stückchen wacher. Im Hintergrund hört er den Lütten Stan jubeln. „Ja lüch ich denn. Dat Bärenviech iss sich die Ehre seiner neuerlichen Präzenz am Geben tun. Hömma, wat Du am verpassen warst in Deine winterliche Rekreationsphase! Neunzehn Punkte Vorsprung auffen bajuwarischen Comedyclub! Glaub ich dat woll?“ Gut zu hören und dies macht natürlich noch etwas präsenter – äh – wacher! Archibald beschließt einen nächsten Schritt zu tun. Er atmet ein, er atmet aus, kratzt sich am Pöter – wie gehabt – und sagt: „Na also.“ Die Jungs sind wieder in der Stadt.

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ARCHIBALD MAHLER KRIEGT EIN KAMEL AN DEN KOPF UND WACHT AUF

Montag, 7. März 2011 10:33

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Was singt da der ehrenwerte Herr Albert die ganze Zeit vor sich hin? Ein Lied, welches davon erzählt, daß am Fastenabend Kamele auf die Stadt mit dem schönsten Dom Deutschlands – Quatsch! -  der ganzen Welt niederregnen? Archibald Mahler, eigentlich noch gar nicht wieder vorhandener Bär, Meditierkünstler und Weltenschauer begreift nicht, aber spürt eine Art von Erwachen. Das Ende seines Winterschlafes war auf den Aschermittwoch 2011 datiert worden und da Herrn Archibald Mahler durchaus ein Hang zur Genauigkeit und Pünktlichkeit innewohnt, waren er und sein noch schlafender Leib selbstverständlich gewillt nach Plan vorzugehen. Unverhofft kommt aber oft. Kölle Alaaf!

Der Rosenmontag ist der erste und heiligste Feiertag der Menschen in der Stadt mit dem Dom, der selbstverständlich in der Stadt bleiben muß, denn was soll er denn woanders, das hat ja keinen Sinn. Ernst Albert hatte lange Jahre dort mit Freuden und Freunden gelebt, daselbst seine Ausbildung zum Musentempler gemacht und auch sonst die ein oder andere Nacht zum Glühen gebracht. Und er hat, nach sachkundiger Einführung durch Eingeborene, auch die lokalen Feiertage gerne und ausgiebig durchlebt. Es ist schon lange her, daß Ernst Albert diese Stadt am Rhein verlassen hat, aber wenn dort oben die Trommeln wieder schlagen und die Jecken durch die Strassen ziehen, packt ihn eine Sehnsucht nach diesen Feierlichkeiten und er brabbelt pünktlich zum Startschuß elfuhrelf am Wieverfastelovend den Dialekt der Kölschen vor sich hin und singt eben auch gerne eines der vielen, vielen Lieder, die an diesen Tagen durch die Strassen, Säle und Kneipen schallen. Textsicher übrigens,  wie sonst in keiner Stadt des Landes. Und ausdauernd. Es wird behauptet, Ernst Albert habe dies sogar unlängst während der Abschlußfeier seiner Musentempelarbeit oben an der Kieler Förde getan. Weia! Minsche Alaaf!

Das alles kann Archibald natürlich nicht wissen, denn die Beziehung von Bären zum Kölner Karneval ist noch nicht eindeutig erforscht oder geklärt worden. Jedenfalls findet sich der verschlafene Bär auf dem Küchentisch der Höhle in der kleinen häßlichen Stadt in Mittelhessen wieder und Kamele regnen auf ihn nieder. Durch das Küchenfenster strahlt eine kaiserliche Sonne. Ernst Albert und die teure Eva Pelagia hatten den Narrenumzug der Mittelhessen besucht, ein bißchen fade das alles, aber ein paar kleine Licher und Sunneschingk im Hätze, dann geht das auch in dieser Stadt. Und Kamele aka Kamelle aka Süßigkeiten wurden auch hier unters Volk geworfen. Und wer unter uns kein Jäger und Sammler ist, der werfe die erste Kamelle! Nun präsentierte man Archibald die reiche Ausbeute. Auch galt es Herrn Alberts Heimkehr zu feiern. Vier Monate sind eine lange Zeit. Und dann wurde noch das ein oder andere Lied skandiert und noch ein bißchen Getränk zu sich genommen. Wie heißt es doch so schön: „Drink doch ene mit, stell Dich nit so an, Du stehst he die janze Zick heröm, häste auch kein Jeld, dat ess janz egal, drink doch ein und kömmer Dich nit dröm!“ Leeve Alaaf!

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