Vom Bären vom Brandplatz
Einhundert Meter vom abben Bein bis zur Komplettierung sind eigentlich keine Riesenentfernung. Aber für einen Bären, der die letzten Wochen und Monate meist sitzend und liegend verbracht hatte, ist das ein richtiges Stück Arbeit. Da saß also Archibald auf einem Mäuerchen, welches eine Art Park umfaßte, seine untrainierten Lungen rasselten und er war ergriffen. An dieser Stelle hatte all das gelegen, was ein abbes Bärenbein erst zum Komplettbären macht: Herz, Hirn, Bauch und Zweitbein. Hier hatte ihn Ernst Albert einst aufgesammelt und ihn in sein neues Leben getragen. Ja, Archibald war ergriffen und dankbar, obwohl er wußte, daß Dankbarkeit gegenüber den Aufrechtgehern eine zweischneidige Angelegenheit ist. Immerhin hatten sie Jahrhunderte lang großen Spaß daran Archibalds Ahnen zu massakrieren und ihren Lebensraum nachhaltig – auch so ein schwachsinniges Zweibeinerwort, dachte er – zu zerstören. Aber heute war er bereit eine Ausnahme zu machen, hier an der Stätte seiner zweiten Geburt. Und er spürte, daß es Zeit war für ein kleines Bärenritual. Er kratzte sich ausdauernd am Hintern, saugte an seinen Pfoten und rieb sich den Rücken am Eisengeländer, welches das Mäuerchen zierte. Er brauchte einen neuen Namen, eine Art – auch wenn das gräßlich martialisch klänge – Kampfnamen, jetzt wo er es hier draußen mit der Welt aufnähme. Genau, er würde sich taufen, eine originale Bärenselbsttaufe. Nichts gegen Archibald, kein schlechter Name, aber die Aufrechtgeher haben nun mal die Angewohnheit alle Arten von Viechern mit Namen zu etikettieren, die einen leichten Hang zum sogenannten Humorvollen oder Ironischen haben. Heute gefiel ihm das nicht. Und er dachte an die Frau, die ihn vor wenigen Minuten entgeistert angestarrt hatte, als er mit dem Stück Kreide seinen ehemaligen Fundort skizzierte hatte und zu ihrem Begleiter sagte: „Schau, jetzt gibt es schon malende Bären hier auf dem Brandplatz.“ Brandplatz! Ja, das war es! Archibald spuckte dreimal in die Luft und er taufte sich auf den Namen Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz. Nun würde er auf seinen Wanderungen immer wissen, von wo er losgegangen war. Und falls er mal einen Personalausweis beantragen müßte – man weiß ja nie auf was für Ideen die Aufrechtgeher kommen – hätte er auch einen schönen Nachnamen. Was vor dem Brandplatz geschehen war, das hatte er eingesehen, er würde es nie in allen Einzelheiten herausfinden können. Das abbe Bein und der Rest waren wieder zu einer Einheit verschmolzen. Und das war gut so, sagte sich Archibald Mahler, der Bär vom Brandplatz.
Archibald (Mein lieber Bär! Du glaubst doch nicht etwa, daß ich jetzt jedes Mal hier diesen ellenlangen Kampfnamen in die Tasten haue. Schöne Grüße: Der Setzer) stand auf und drehte sich um. Er sah diesen Park, der gerade dabei war sich aus dem Winterschlaf zu schälen. Er wußte nicht, daß dieser Park ein Botanischer Garten war und daß sie in dieser kleinen Provinzstadt sogar behaupten, daß es sich um den ältesten Garten dieser Art im ganzen Lande handelt. Er wußte aber, daß vor wenigen Tagen eine Stimme, es war die Stimme von Horse Badorties gewesen, Archibald hinausgerufen hatte, hinaus in den Park, um dort ruhig und cool, mit seiner ganzen gelösten strahlenden Persönlichkeit, sich der vitalen Meditation und dem Beknabbern von Buschwerk zu widmen. Und er dachte, daß dies ein guter Anfang für eine neue Reise sei. Täuschte er sich, oder erwärmte sich die Luft heute schneller als in den letzten Wochen? Er reckte seine feine Nase in die Höhe. Ja! Tatsächlich!