Das Wasser in der Stadt

wasser1Das Rauschen des Flüßchen Dreisam draußen vor der Neuen Höhle, Archibald war es inzwischen zu einer Art hochgeschätzter Muzak geworden. Er entstieg dem Zauberkasten, der ihn den Berg hinab in die Stadt hatte gleiten lassen und da war es wieder, das Rauschen des Flüßchen. Dreisam und überall. Ein Strahlen flitzte über das Bärengesicht. Dies wiederum erfreute Ernst Albert und so gab er den Fremdenführer. Er erzählte dem Bären, daß die hier ansässigen Zweibeiner zwar gerne mal mißtrauisch und unfreundlich seien, aber auch recht gescheit. So hätten sie schon vor bald siebenhundert Jahren Wasser vom Flüßchen Dreisam abgezapft, in einem eigens angelegten Bach durch die Straßen der Stadt geleitet und sich so das Wasser, welches der schwarze Wald ihnen schenkte, zu Nutzen gemacht. Mühlen, Schmieden, Schlachtereien, Färbereien und Gerbereien siedelten sich entlang dieses Baches an. „Und da, wo Du jetzt sitzt, hängten noch vor siebzig Jahren die Fischer ihre Fischkästen mit lebenden Forellen, Weißfischen, Hechten und Aalen in den dahin eilenden Bach. Mitten in der Stadt!“ Archibald war begeistert. Frischfisch quasi Downtown? „Früher, Archibald, früher! Heute kauft man hier Ansichtskarten, esoterische Kinderbücher und Matratzen, gefüllt mit japanischem Reisstroh. Die Zeiten haben es eilig und müssen sich wohl ändern! Schade!“ Man zog weiter. Früher Sonnenschein und ermutigendes Rauschen! Weiterhin wohlgelaunt!

wasser2Wenig später saß Archibald auf einer Waschmaschine. (Präzise bleiben! Kleine Erinnerung des Setzers!) OK! Er saß auf einem der ungezählten Brunnen, welche jedem noch so kleinem Platz der Stadt ein plätscherndes Zentrum geben. Und wo heute der Besucher entweder gerührt die Digitalkamera zückt oder die überhitzten Handgelenke ins kühle Naß tunkt, schöpften früher die Frauen der Stadt das Trink- und Brauchwasser für ihre Familien oder die Bauern aus der Ebene vor der Stadt, die tagsüber ihr Gemüse den Städtern zum Kauf angeboten hatten, ließen Ochs und Eselein ein letztes Mal Wasser schlotzen vor der Heimkehr. Der Wasserhahn war noch nicht erfunden gewesen. Archibald mochte das sehr. Rechts und links von ihm prasselte es in den Brunnen. Der Fremdenführer E. A. hob wieder an zu sprechen. „Das Haus in unserem Rücken ist ein Kloster. Auch wenn Dir hier die Ohren sausen, ich spreche hier von Adelhausen. Entschuldigung! Kleiner Witz! In diesem Kloster ist zu sehen ein außergewöhnliches Kruzifix. Der Kopf des gekreuzigten Heilands ist extrem nach unten geneigt und er senkt sich weiter. Die Sage geht, sinke der Kopf vollends auf die Brust, gehe die Welt unter.“ Unter diesen Umständen bat Archibald um Aufbruch. „Jetzt, wo Herr Lenz gerade beginnt seinen Auftrag ernst zu nehmen: Hallo! Untergang, nein danke!“ Ernst Albert beruhigte den Bären. „Mein kleiner Freund! Keine Angst! Die Herren Mönche sägten einst am Nacken des Erlösers herum. So gab er der Gravitation nach!“ „Warum?“ „Angst essen Seele auf und machen Kasse voll!“

wasser3Und dann rauschten da allenthalben noch die Bächle. Eine Art Alleinstellungsmerkmal der Stadt, lange bevor man ihr den Dummnamen ‘Green City’ verordnete. Schon im Mittelalter hatten die gescheiten Aufrechtgeher vor Ort ihre Straßen mit kleinen Rinnen versehen und sie mittels eines Stollens mit Wasser aus dem Flüßchen Dreisam geflutet. In Sachen Brandschutz war das damals eine richtige Weltidee. Während ringsherum im Mittelalter die Städte Feuer fingen: hier wurde überlebt. Abgebrannt sind die Anderen. Das ist heute noch so. Klein, aber historisch nicht unbedeutend, nun dieses Bächle neben dem Archibald Mahler als Hobbylimnologe Platz genommen hatte. Er saß auf einer Treppe, die einst, im vierten Jahr der Regierung des Alten aus Bergedorf,  in einen Vergnügungskeller für Langhaarige geführt hatte. Damals tanzte dort Archibalds Fremdenführer so manche Nacht, ausdauernd, trunken, den indischen Heilkräutern zugewandt, einem Weibe in die Stadt gefolgt. Ein roter Punkt im Leben des Herrn Ernst Albert. Vorbeigerauscht. Vergangenheit. Vorbeigerauschte Vergangenheit. Wie das Wasser. Vorbeigerauscht? Pustekuchen revisited! Da hinten in den Meeren, wo alles Wasser landet, steigt es wieder auf, verwolkt sich, kehrt zurück und regnet Dir auf das Haupt. Manchmal! „Komm, Archibald! Laß uns auf den Alten Friedhof gehen!“

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Sonntag, 25. April 2010 18:41
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