ZWEI BURGEN, AMBIVALENZEN, YING UND YANG (UNENTSCHIEDEN IST DOOF!)

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Man hat den Steinbruch verlassen. Jetzt vor Nase und Auge des Bären: Felder. Zartes Grün. Wintergetreide, unter Schnee und Eis ausgetrieben,  dem ersten Hauch von Wärme entgegenwachsend. Warum liegen diese runden Gummiteile auf den erwachenden Äckern? Sammlerleidenschaft? Der Bauer verunstaltet sein eigenes Territorial? Künstler waren es gar, oder Kunstakteure, dem Alltag entnommen haben sie den Gegenstand, der Natur ward er zurückgegeben? Nun behaftet mit Bedeutung? Der Reifen, der einst zum Rollen brachte, nun der Muttern entledigt, liegt, steht still und kompostiert doch nicht? Mahnmal? Menetekel? Manifestation? Drauf gepupst! Tatsache ist, Archibald Mahler, Bär am Waldesrand von Kinzenbach, erklimmt einen riesigen Haufen von Traktor- und Lastwagenpneus, die irgendein Landwirt hier oben an den Rand seiner Äcker geworfen hat. Vorteil: der Blick schweift weiter. Was ist das da hinter seinem Rücken? Zwei Erhebungen, Hügel. Jede Erhebung, jeden der zwei Hügel ziert eine Burg, genauer eine Burgruine. Fast scheint es, sie blicken sich an die Burgruinen. Die eine Burg und die andere Burg.

Und des Bären Phantasie sattelt das Geschichtenpony und stürmt los. Ist die rechte Ruine nicht jener magische Ort, vom dem Heino Runkel von Rübenstein einst hinaus zog in die Welt, der Liebe seiner angebeteten Adelaide von Möhrenfeld verlustig gegangen, jenes bezaubernden Burgfräuleins, welche auf der Burg gegenüber gegen ihren Willen dem schrecklichen Diktat des Grafen von Kuckucksberg ausgeliefert war? Hört das empfindliche Ohr des Bären aus der Ebene zwischen den zwei erloschenen Vulkanen, die in Blechbüchsen gewandete Aufrechtgeher vor langer, langer Zeit mit Bergfried, Ringmauer, Mantelmauer, Schildmauer und Palas bestückten, um das Ganze dann Ritterburg zu nennen, noch das Klirren aneinander rasselnder Kurzschwerter und Morgensterne hinübertönen? Old School batteling? Analoges Scheppern? Und was spricht der gute Ritter Runkel an wahren Worten dort unten mitten in der Schlacht? „Ein Ritter ungeharnischt taugt so gut wie gar nischt? Ein Ritter kämpfe nur mit Drachen, das Schreiben sollen andre machen? Wer sich bei Damen schlecht benimmt, der werde fürchterlich vertrimmt? Für Ritter an des Abgrunds Rande ist die Vorsicht keine Schande?“ Archibald Mahler schüttelt sich. So ein volliger Blodsinn! Da hat ihm der Herr Ernst Albert mal wieder was ins Ohr geflüstert, von dem ein Bär gar nücht wissen kann.

Ganz anders ist das alles. Sie schauen sich an, die zwei Ruinen, sind so gleich und doch dann zwei und sind verbrüdert und auch nicht und drohen finster und sitzen oben auf dem Berg und sind gepanzert und wollen anders sein und sind es wieder nicht und doch und wie die Aufrechtgeher es halt gerne tun, mit ihren ausgestreckten Zeigefingern und Parteien und Panzern und Kanonen und Bleistiften und Federkielen und Tastaturen und “Gesichtsbüchern” und kommen alle doch aus einem Topf. Und schauen sich an und können nicht weg und unter ihnen heizt der erloschene Vulkan den Hintern und man schaut in den Spiegel und will nicht sehen, sich selber nicht sehen und schaut hin und weg und hin und Ying und Yang und vor mir selber wird mir bang und irgendwann muß wer gewinnen, weil Unentschieden ist doch doof! Und Archibald Mahler, Bär vom Brandplatz mit zwei Burgbergen im Rücken, denkt, daß das Unentschieden vielleicht doch das der Rasse der Aufrechtgeher am ehesten angemessene Ergebnis ist. Nur wissen die das noch nicht. Bären wissen das. Man kann Aas fressen, Beeren, tote Pferde und alles andere auch. Hauptsache es schmeckt. Und zwar nicht der Burg gegenüber. Sondern einem selbst. Aber ob das alles so seine Richtigkeit hat? Morgen will der Bär da noch mal drüber nachdenken. Aber jetzt bleibt das erstmal so stehen. Oder liegen. Wie diese ganzen Reifen da oben am Rande des Steinbruchs. Nicht so einfach die Zeiten, wenn man sich umschaut. Zur Zeit.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Mittwoch, 23. März 2011 23:05
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