RESTERAMPEN, HALBVERNARBTES UND WENN DAS HIRN DANN ERKRANKT

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Archibald, Bär im Lenz bei Kinzenbach, hirnt heute über die Angewohnheit der Aufrechtgeher ständig und überall Spuren hinterlassen zu müssen. Burgruinen, Gummireifen, Gedankenschrott. Zerstörtes, Unkaputtbares, Halbvernarbtes. Die ganze Welt ein einziges großes: „Entschuldigung, wenn ich das gerade mal hier fallenlassen dürfte!“. Ein einziges großes: „Ach, das wußte ich nicht, daß das hier nicht abgeholt wird.“ Oder noch schlimmer ein gigantisches: „Das tut uns jetzt aber leid, das mit dem Restrisiko war uns nicht so klar gewesen. Na ja! Was soll man da machen?“ Und dann liegen die Reifen rum bis zum Sankt Nimmerleinstag, außer ein Zweibeiner gießt ein wenig Brennsaft drüber und anschließend stinkt es gottserbärmlich zum Himmel und was dann an Kleingetier und Krabbelviechern draufgeht, wenn sie sie wegfackeln wollen, ihre Hinterlassenschaften. Aber das ist dem Aufrechtgeher schnuppe. Weiß man ja. Haben die denn alle keine Keller, Garagen und Hinterhöfe, um dort die Hinterlassenschaften ihrer Existenz zu stapeln? Obwohl, was der gemeine Aufrechtgeher ab und an in seinen Kellern, Garagen und Hinterhöfen treibt. Der Bär möchte es gar nicht wissen. Seltsame Brut! Aber prinzipiell sitzt sich bequem auf diesen Gummidingern. Und riechen tun sie auch nicht schlecht. Wenn man es mag.

Und die zwei Burgruinen in seinem Rücken? Na ja, eigentlich ganz nett, so zwei klare Punkte hier oben in der Weite. Das Auge hält sich fest, der innere Navi weiß nun, wo man sich befindet und wenn man den Berg erklommen hat, kann man weit gucken. Trotzdem: woher kommt dieses tiefsitzende Bedürfnis immer etwas hinklatschen zu müssen, was Bestand für alle Ewigkeiten hat? Es sollen ja einst Aufrechtgeherstämme gelebt haben – das haben Archibald die Ahnen aus Kamschatka und Wyoming zugeflüstert – die sich selbst als die Durchreisenden bezeichnet haben, als Wesen, denen der große Manitou ein wenig Zeit in den Wäldern und Steppen zur Verfügung gestellt hat und sie zur Einhaltung der Prämisse „Bitte verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorgefunden haben!“ verpflichtet hat. Kennt man ja von Zugtoiletten und man weiß, was der gemeine Aufrechtgeher usw. Aber die Durchreisenden haben sich dran gehalten, haben in mobilen Hütten aus Tierhäuten genächtigt und wenn das Gras abgefressen und die Beeren geerntet waren, zogen sie weiter und nichts blieb zurück. Nur die feine Nase eines Bären konnte riechen, wer auf dieser Lichtung noch vor wenigen Tagen genächtigt hatte. Daß die Durchreisenden ab und an mal einen von Archibalds Urahnen getötet, verspeist und sein Fell zu Mützen oder Schlafsäcken verarbeitet haben, das sei ihnen verziehen. Als Gegenleistung haben sie den Bären als das klügste unter allen Tieren verehrt und ihm magische und heilende Kräfte zugeschrieben.

Und die heutigen Zweibeiner? Die reichen, weißhäutigen, halbvernarbten Luxus – und Klagetierchen? Da finden sie einen „süüüüüß!“ Und dann soll man auch noch das Klima retten! Und sich tagtäglich begaffen lassen und in Fernsehkameras winken. Und so lustig tolpatschig auf dem Betonboden im Gehege rumhoppeln. Und Politikern, die plötzlich im Käfig stehen, nicht ins Bein beißen oder auf die feinen Treterchen urinieren. Und irgendwann kommt einer der Aufrechtgeher auf die glorreiche Idee, Deine Frau Mama, die Dich nach der Geburt nicht mit dem Eisbärenarsch angeschaut hat, mit Dir in ein Einraumgehege zu sperren. Und noch zwei andere Weiber, damit Du denen Kindlein machst, wo Du noch nicht mal das Wort Erektion buchstabieren kannst. Wo die zooleitenden Aufrechtgeher doch in jedem Handbuch nachlesen könnten, daß wir Herren Bären es lieber ein bißchen einsamer haben. Und zwischen Beton und Eisschollen zumindest ein gradueller Unterschied besteht. Und dann wird Dein Hirn krank und Du plumpst ins Wasser, was ursprünglich Dein eigentliches Element war und durch Deinen Schädel jagen Blitze, durch Deinen schlappen Leib zucken Krämpfe und Du ersäufst elend. Und denkst vielleicht im letzten Moment: „Wie pervers, eigentlich hätte mich eine Kamera erschlagen müssen! Hätte eher gepasst!“ Und Archibald Mahler, entfernter Verwandter der armen toten Socke, ist ganz froh in diesen Moment keinen Aufrechtgeher zu erblicken. Rechts nicht, links und so weiter. Man möchte sich ja nicht in einen unschuldigen Wanderer verbeißen. Wegen der emotionalen Resterampe und so. Und während er über den Tod und die Risiken der Existenz nachdenkt, bekommt der Bär einen riesigen Hunger. Nach Rohkost. Nach Leben. So ist das eben. Da bleibt man wach. Und jemand singt Dir kein Gutenachtlied. „Viel zu bedenken, dieses Jahr! Wach bleiben! Jetzt: fressen!“ Der Waldrand ruft. Der Bär folgt.

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Autor: Christian Lugerth
Datum: Donnerstag, 24. März 2011 11:49
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